Der Anfang vom Ende

Hermann Kutzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die These vom relativ ruhigen, ereignisarmen Sommer kann beerdigt werden. Ich habe selten erlebt, dass innerhalb von Tagen ein derartiger Stimmungsumschwung eintritt. Fast über Nacht wird die Welt - nicht nur die Welt der Börsen - in düsteren Farben gemalt. Positives findet keine Beachtung mehr. Die Kurse stürzen widerstandslos ab. In führenden Medien werden aktuelle und grundsätzliche Sorgen zu fetten Schlagzeilen: Da wird eine drohende Rezession der Weltwirtschaft beschrieben, gleichzeitig eine riskante Verlängerung der Nullzins-Politik durch die Notenbanken. Und: Der Kapitalismus enttäuscht seine Jünger, denn weltweit fallen die Aktienkurse, obwohl die Notenbanken Billionen in die Märkte pumpen. Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, funktioniere nicht mehr.

Nichts ist mehr auszuschließen. Meine Überschrift betrachten Sie bitte erst einmal als Provokation, als eine These, welche die aktuelle Nachdenklich unterstützt. Sie werden mittlerweile jede Menge Beschreibungen der Ursachen gelesen haben, geschätzte Leser. Ich will all diese Versuche von plausiblen Analysen nicht werten, möchte auch keine eigene Version oben drauf setzen, denn ich bezweifle, dass wir im Zeitalter der Algorithmen die Wahrheit hinter Käufen und Verkäufen tatsächlich erkennen können. Anlässe lassen sich ausmachen, ja, aber dank internationaler Vernetzung findet alles auf globaler Ebene statt. Das macht die Einschätzung nicht leichter. Bei einem bin ich mir allerdings sicher: Es ist Unsinn, alles nur mit China in Verbindung zu bringen. Damit erneuere ich meine Kritik an den „China-Experten“, also an jener Spezies, die schon als Griechenland-Fachleute genau gewusst haben, was falsch gelaufen ist und was jetzt zu tun sei.

Nein, ich sehe meinen schon vor langer Zeit geäußerten Verdacht bestätigt, dass mit der näher rückenden historischen Zinswende in den USA eine ernste Belastungsprobe auf alle Finanzmärkte zukommen wird. Ernst deshalb, weil sie so von Anlagestrategen, Analysten und Händlern so noch nicht erlebt wurde. Es wird zur neuen Erfahrung, was uns Janet Yellen Mitte September (oder vielleicht doch erst später?) verkünden wird. Vielleicht ist es „nur“ der Zweifel, dass der erste Zinsschritt der Fed nach oben locker geschluckt werden kann, der in den vergangenen Tagen zum Abbau vieler Positionen geführt hat - mit der China-Krise als Katalysator. Mehr noch, internationale Investoren ziehen Riesenbeträge aus den Schwellenländern ab. Eine Vertrauenskrise. Zu den bemerkenswerten Phänomenen gehört ja auch, dass es nicht allein um Aktien geht, denn Rohstoffe und Währungen sind ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Nur frage ich mich: Wo sind die Gewinner, die es in der Regel parallel zu den Verlierern auch gibt? Und: Was geschieht mit der zusätzlichen Liquidität, wenn gigantische Anlagevolumen aufgelöst werden?

Schon deshalb möchte ich davor warnen, die Vorschauen auf die neue Woche all zu ernst zu nehmen. Es kann plötzlich auch zur Korrektur der Korrektur kommen. Es kann. Immerhin gibt es deutsche wie internationale Analysten, die Chinas Zukunft weitaus optimistischer einschätzen als man durch die Medien zuletzt vermuten durfte. So wird von manchen Strategen spätestens für das vierte Quartal eine deutliche Dax-Erholung erwartet, weil sich dann auch eine Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft wegen der wieder expansiveren Geldpolitik eingestellt haben dürfte.

Jetzt vorsichtshalber alle Aktien verkaufen? Als neutrale Stimme möchte ich meinen Kollegen Alexander Coels, Chefredakteur des „Champions-Trader“ zitieren. Der schrieb am Wochenende u.a. folgendes: „Natürlich ist der laufende Rücksetzer heftig und hat sicher auch viele Depots durcheinandergewirbelt. Doch clevere Anleger begreifen eine solche Korrektur vielmehr als große Chance! […] Im Jahr 2014 ist der Dax immer wieder am Ausbruch über 10.000 Punkte gescheitert. Insgesamt gab es neun vergebliche Anläufe. Erst im zehnten Versuch Anfang 2015 gelang endlich der Durchbruch. Nach einem solchen Hick-Hack ist es völlig normal, dass die Kurse noch einmal zu diesem Level zurückkehren. Das konnten wir in der Vergangenheit sehr häufig beobachten. Deshalb: Tun Sie sich selbst einen Gefallen und werfen Sie jetzt nicht die Flinte ins Korn! Die Geschichte zeigt, dass solche Rücksetzer stets einmalige Einstiegsgelegenheiten waren.“ Ja, ja. Aber wieviel Mut muss dazu gehören, heute Aktien einzukaufen!?

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