Draghisches

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo, Leute! Ich hab ne zeitlang überlegt, ob ich ironisch, zynisch oder gar sarkastisch werden soll. Nee, was gestern alles so abging! Jedenfalls Stoff auch für Kabarettisten. Ein Tag der Medien und der Volkswirte. Und nach den abendlichen Sondersendungen von ZDF und ARD sind viele brave Bundesbürger sicher Furcht erregt ins Bett gegangen: Uns steht ja eine Katastrophe bevor! Schwacher Euro (Pfui!), noch viel mehr Geld drucken (wer soll das bezahlen?), Wirtschaft bleibt lahm (also EZB-Maßnahmen überflüssig) - und das Schlimmste: Es bleibt bei Null-Zinsen. Sparbuch, Lebensversicherung, Altersvorsorge im Eimer. Kameras und Mikrofone sammelten jede Menge Entsetzen. Plötzlich scheint alles anders zu sein.

Und dieser Eindruck ist halt total ärgerlich. Alles, wirklich alles, was jetzt geld- und zinstechnisch passiert, ist doch seit langem Fakt. Die neue Liquiditäts-Flutwelle der Zentralbank ist nur noch höher als mehrheitlich erwartet. So ne Billionen-Zahl beeindruckt die Leute. Deshalb haben sich manche Sender in einen Katastrophen-Modus programmiert. Dem Fernsehzuschauer wurde die (Achtung, Ironie: total überraschende) Information übermittelt, dass er nicht mit steigenden Zinsen rechnen kann. Das ist wirklich draghisch. Wahrscheinlich haben die Redaktionen bisher verpennt, den Menschen immer wieder zu einzuhämmern, dass sie unbedingt selbst was gegen die verdammte „Finanzrepression“ tun müssen.

Unsere Nationalökonomen hatten vorsorglich alle sonstigen Termine abgesagt: Was für eine wunderbare Gelegenheit, in Reiheninterviews die Bedenken gegen den Kurs der Draghi-Truppe zum zigten Mal rauszuposaunen! Und da sag einer was gegen unsere Politiker - allesamt sind wahre Wirtschafts- und Finanzexperten! Deshalb ein Hagel von Zentralbank-Beschimpfungen auch in Berlin, Parteifarben übergreifend.

Zum Schmunzeln muss ich Euch was gestehen, meine Freunde. Die Kanzlerin konnte von Nachrichtensendern bis zu ihrem Schlusswort aus Davos live übertragen werden, weil eine Fahrstuhl-Panne im neuen Frankfurter EZB-Palast den Beginn von Draghis Pressekonferenz um ein paar Minuten verzögerte. Derweil gab ich meinem Notebook schon mal den Auftrag, den Wortlaut der Merkel-Rede auszudrucken, hatte die Mutter der Nation darin doch deutlich gemacht, dass die EZB nichts alles kann, sondern auch die Politik gefordert sei. So, so. Hier ein kurzer Auszug: „Ich stimme all denen zu, die auf diesem Forum gestern und heute schon gesagt haben: Auch die Notenbanken werden die strukturellen Probleme politischer Entscheidungen nicht lösen können. Sie können Brücken bauen … Deshalb bleibt die wesentliche Aufgabe eine politische Aufgabe, nämlich wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Europa zu schaffen, die Spaß auf Investitionen machen, die neue Investitionen ermöglichen, die Wachstum und damit auch dauerhaft wettbewerbsfähige Arbeitsplätze ermöglichen.“ Jo, genau das fehlt, und dass fordern alle EZB-Kritiker (zu Recht!!!). Als ich dann die drei Seiten „Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim Jahrestreffen 2013 des World Economic Forum“ aus dem Drucker nehme, musste ich echt lachen: falscher Text.  Sie hat das zwar gesagt aus gleichem Anlass am gleichen Ort, aber schon vor zwei Jahren. Hallo! Ist denn seither nix passiert, oder was?.

Jetzt zum Vergleich die aktuelle Worte in einer Online-Zusammenfassung: Merkel hielt ihre Rede kurz bevor die Europäische Zentralbank ihre Entscheidung über den massiven Ankauf von Staatsanleihen verkündete. Dabei redete sie der Politik ins Gewissen. „Die Entscheidung der EZB darf nicht davon ablenken, dass die eigentlichen Wachstumsimpulse durch vernünftige Rahmenbedingungen von der Politik gesetzt werden müssen.“ Ich bin schon auf 2016 gespannt..

Es gibt sicher ein paar Leute, die sich über die EZB freuen. Ihr solltet eigentlich dazu gehören, denn Ihr habt ja rechtzeitig Aktien gekauft. Meine Empfehlung: Hört nicht auf das Blasen-Gesabbel (Ihr investiert ja mit Stop-loss) und lasst die Gewinne laufen! Und vergesst meinen Appell nicht, zur Rettung unserer Wirtschaft den Konsum zu fördern!.

boersenfuchs@onvista.de

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