Energiepreise kennen keine Ölkrisen mehr

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Früher gab es eine ganz klare Wenn-Dann-Beziehung: Bei Konflikten zwischen dem Westen und den Öl und Gas produzierenden Ländern steigen die Energiepreise. Das lag an der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), die dann zunächst aus politischen Motiven ihre Preise drastisch nach oben anpasste. Auf der emotionalen Ebene werden sich die Älteren unter uns noch gut an die erste Ölkrise 1973 erinnern, als ein starker Ölpreisanstieg  die deutsche Regierung u.a. zu autofreien Sonntagen zwang. An die Bilder der zweiten Ölkrise 1979/80 erinnere ich mich persönlich auch noch gut. Die Stirn meines Vaters lag tief in Sorgenfalten, als er nach Auffüllung unseres Öltanks die Rechnung präsentiert bekam. Später kam der volkswirtschaftliche Wunsch vieler OPEC-Länder hinzu, grundsätzlich höhere Öleinnahmen zu erzielen. Als Ölpreistreiber avancierte nicht zuletzt aber auch das Schreckgespenst endlicher Ölvorräte. Ähnlich häufig wie das Amen in der Kirche wurde von den Oil Peak-Anhängern jahrzehntelang verkündet, alle bedeutenden Ölvorkommen seien bekannt und hätten ihren Förderhochpunkt längst hinter sich. Unterstützt wurde diese Vision eines sinkenden Angebots durch eine rasant steigende Nachfrage aus den Schwellenländern. Insgesamt, seit den frühen 70er-Jahren hatte sich der Ölpreis in der Spitze bis 2008 ca. verdreißigfacht.

Wenn nicht jetzt, wann dann wären Sorgen über die Energieversorgung angebracht?

Der alten Logik folgend müsste der Ölpreis munter weiter steigen. Immerhin wollen islamische Terroristen im Nahen Osten die politische Landkarte neu gestalten. Schon viele der dortigen Ölfelder und Raffinerien befinden sich in ihrer Hand. Und für Russland, nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Öl-Exporteur der Welt und ein Global Player in der Gasversorgung, wäre es doch ein leichtes Spiel, als Gegensanktion zu westlichen Strafmaßnahmen Öl- und auch Gas-Pipelines nach Europa zu kappen. Aber was machen der Öl- und der Gaspreis? Nach einer zugegeben drastischen Preisexplosion bei Naturgas Anfang 2014 hat der Gaspreis wieder um 50 Prozent nachgegeben. Und der Ölpreis ruht seit Anfang 2013 still wie der See zur Weihnachtszeit.

Haben Sie etwa den Eindruck, dass die Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine beendet sind? Nein? Und warum fällt dann der Preiszuwachs von Naturgas und erst Recht bei Öl im Vorjahresvergleich so mau aus? 

Der Zwang, Öl- und Gas verkaufen zu müssen

Offensichtlich sind die Energiemärkte aus ihren alten Verlaufsmustern ausgebrochen. Wir haben es mit einem grundlegenden Strukturbruch zu tun. Was ist passiert? Zunächst musste sich die industrialisierte westliche Welt mit den hohen Ölpreisen gezwungenermaßen arrangieren. Der Zauberbegriff lautete hier Energieeffizienz . Die größten Industrieländer der Welt - selbst die für ihre reichliche Energienutzung bekannten Amerikaner - benötigen heute für die Erbringung ihrer Wirtschaftsleistung nur noch ca. 50 Prozent der  Ölmenge der 80er-Jahre. Und alternative Energien, Wärmedämmung oder sparsame Automotoren sind heutzutage keine Begriffe mehr, die man mit Öko-Stalinismus oder Jute statt Plastik in Verbindung bringen würde. Auch die Volkswirtschaften der Schwellenländer haben ihre energieverschwenderische Sturm- und Drang-Zeit hinter sich und konzentrieren sich zwischenzeitlich weniger auf wachstumsrasante Export- und Immobilienphantasien, sondern auf zwar weniger dynamische, dafür aber nachhaltige, binnenkonjunkturelle Wirtschaftspolitik.

Im Übrigen sind die Öl- und Gasförderländer dringend auf Energieeinnahmen angewiesen. Russlands Staatshaushalt bricht ohne Energieverkäufe wie ein Kartenhaus zusammen. Und selbst die islamischen Terroristen bedienen sich zur Finanzierung ihres aggressiven Schreckensregimes des Ölverkaufs. So oder so ist aber eine Verknappung der Ölversorgung aus dem Nahen Osten unwahrscheinlich. Denn die öl- und gasverbrauchenden Länder befinden sich in einer Energie-Koalition der Willigen. Mit Blick auf ihr wirtschaftliches Wohlergehen hat niemand etwas dagegen einzuwenden, wenn islamistische Terroristen unter amerikanischer Militärführung so schnell wie möglich von der Landkarte verschwinden.

Das alte und das neue Öl

Die OPEC hat sich in punkto ihres alten Öls selbst die Zähne ausgebissen. Denn Amerika musste aufgrund seiner Not, von teuren, ausländischen Ölimporten abhängig zu sein, erfinderisch sein. Amerika musste neue Energie-Wege finden und hat sie auch gefunden. Das neue Öl war da. Zunächst hat Amerika das Tiefseebohren im Gold von Mexico revolutioniert. Der neue Energie-Segen stammt aber auch aus einer immer kosteneffizienteren Förderung von Öl und Gas aus Schiefergestein und Teersänden mittels Fracking. Und siehe da, bis 2020 werden die USA nicht nur zum unabhängigen Selbstversorger, sondern sie haben so viel davon, dass sie es exportieren können. An dieser Stelle passt durchaus das genüssliche, schadenfreudige Lachen von J.R. Ewing aus der Kult-Serie Dallas . Ohne Zweifel hat die Fracking-Methode der Energieförderung ihren sehr bitteren umweltpolitischen Nachgeschmack. Aber für die USA hat eine sichere Energieversorgung oberste Priorität. Immerhin schwimmt das Land momentan so sehr in Öl, dass das Fracking gedrosselt werden konnte.

Wohin geht der Ölpreis?

Damit ist für mich ein theoretischer Preisschock der amerikanischen Ölsorte WTI vom Tisch. Steigt der Preis für altes Öl zu stark, wird eben neues tiefseegebohrt oder gefrackt. Ich wage die Prognose, dass der Preis des neuen amerikanischen Öls - abseits von schweren geopolitischen Schocks - nicht nur konstant bleiben, sondern sogar fallen wird. Diese Entwicklung verhindert auch eine Preisabweichung europäischen Öls nach oben. Denn wenn unsere Ölsorte Brent Crude zu teuer wird, dann kommt eben Öl aus Amerika in die Öltanks. Den Motoren ist die Herkunft des Benzins gleichgültig.

So kann unser Öl mittelfristig von derzeit knapp 100 Dollar pro Barrel sogar auf 80 fallen. Für die europäischen Volkswirtschaften käme dies einer massiven Zinssenkung gleich, von der allerdings nicht nur Kreditnehmer, sondern fast alle Europäer profitieren werden. Schon beim Tanken bekämen Europäer ein wohliges Gefühl in der Magengegend, was ihrer Konsumlaune wie ein Energy Drink Flügel verleihen würde. Auch das Verarbeitende Gewerbe in Europa freut sich: Wenn die Einstandskosten sinken, dann steigen auch die Margen, die Unternehmensgewinne und die Aktienmärkte.

Zum Schluss bleibt da nur eine Hoffnung: Möge Vater Staat nicht auf die Idee kommen, den sinkenden Ölpreis als Anlass zu nehmen, die Energiesteuern ausgleichend zu erhöhen, weil es insgesamt damit ja nicht teurer wird. Zuzutrauen wäre es ihm.

Foto: Thaiview/shutterstock.com

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