Intellektuelle Verlierer

Stefan Riße · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Intellektuelle Verlierer

Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) hat gesprochen. Das Programm zum massiven Ankauf von Staatsanleihen wird bis zum Jahresende 2017 verlängert. Ob das wirklich der Wirtschaft hilft und die Inflation ankurbelt, da kann er sich nicht sicher sein. Sicher sein aber kann er sich seiner Kritiker. Die waren gestern wieder laut zu vernehmen. Es sind vor allem auch diejenigen, die schon lange den großen Untergang voraussagen und deshalb keine Aktien gekauft oder sogar auf fallende Kurse gesetzt haben. Für sie ist Draghi nun der Schuldige. Er verspiele unsere Zukunft – gemeint ist vor allem die Deutschlands – zu Lasten der Schlendrian-Südländer.

Intellektuelle Überhöhung

Bei dieser Hausse jedenfalls wollen die Pessimisten auf keinen Fall dabei sein. Ein wildes Treiben, das nur deshalb stattfindet, weil Draghi mit seinem billigen Geld ihnen in die Suppe spuckt. Aktien sind ja an und für sich nicht mehr billig, gemessen am Kurs/Gewinn-Verhältnis, und die Gewinne der Zukunft vielleicht schon morgen Illusion, wenn die vielen politischen Risiken sich verwirklichen und das Kartenhaus zusammenbricht. Darauf nämlich warten die Pessimisten und trösten sich derweil über ihre Verluste hinweg, indem sie sich in Kommentaren und Internetforen intellektuell überhöhen als diejenigen, die das Spiel durchschaut haben und kopfschüttelnd auf die Unwissenden hinunterblicken.

Es gibt mehr als das Kurs/Gewinn-Verhältnis

In Wirklichkeit haben diese Anleger ein begrenztes Sichtfeld. Sie fixieren sich auf die von ihnen als falsch empfundene Politik im Generellen und speziell der Geldpolitik und stimmen mit ihren Börsenengagements im Grunde gegen diese Politik ab. Ganz nach dem Motto: „Bei dieser Hausse mache ich doch nicht mit!“ Der Party von Mario Draghi wollen sie keinesfalls beiwohnen. Es gibt aber eben noch mehr als das Kurs/Gewinn-Verhältnis. Es gibt auch den risikolosen Zins. Auch dieser hat Einfluss auf die Bewertung von Aktien. Das war schon immer so. Und aktuell haben Aktien demgemäß mit ihrer für 2017 geschätzten Dividendenrendite von 3,4 Prozent im DAX eher großen Nachholbedarf. Natürlich sind die tiefen Zinsen ein Produkt der Geldpolitik. Als Wähler kann ich mich darüber aufregen, als Anleger muss ich es in meine Überlegungen mit einbeziehen.

Etwas Verschwörungstheorie darf nie fehlen

Wer in der Geldpolitik der EZB die große Umverteilung sieht, wie Professor Hans-Werner Sinn, der hat unser Geldsystem nicht verstanden. Die Target-Salden, die da immer wieder benannt werden, nach denen die Notenbanken der Euro-Peripherie große Schulden bei der Bundesbank haben, sind ein Hirngespinst. Natürlich gibt es sie. Doch sie sind irrelevant, solange es den Euro gibt. Solange sind sie ein Saldo. Bricht der Euro zusammen und es werden wieder nationalstaatliche Währungen eingeführt, dann können diese Salden gestrichen werden. Jedes Land und auch Deutschland schöpft dann ausreichend eigenes Geld und fertig. Scheidet nur ein Land aus dem Euro aus, kann im Zweifel die EZB einspringen.

Geld ist bedrucktes Papier - nichts weiter

Es mag schwer begreifbar sein. Aber im Papiergeldsystem gibt es keine Instanz über den Notenbanken. Sie müssen es nicht irgendwoher beschaffen, wie zu Zeiten des Goldstandards, als die Notenbanken Gold zur Geldschöpfung benötigten. Sie drucken es. Es hat ja kein Wert an sich. Es ist nur Tauschmittel und Schmiermittel des Wirtschaftssystems. Zu wenig davon hinterlässt böses Quietschen in Form von Deflation und Rezession, zu viel kann den Motor verölen in Form von Inflation. Letztere ist das Risiko der Zukunft für alle Sparer. Doch auch dann sollte der Anleger eher Aktien und andere Sachwerte haben als Staatsanleihen. Den Steuerzahler wird das geldpolitische Experiment jedenfalls nicht treffen.

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