Überverkauft: Viel Schlechtes ist schon drin!

Holger Scholze · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Angst ist stärker als die Wirklichkeit Donnerwetter! Das hat ganz schon geknallt zum Ende der vergangenen Woche an den Aktienbörsen. In den Handelssälen wurde es auf einmal laut und hektisch. Im ohnehin bereits sehr unsicheren und wackeligen Marktumfeld sorgte plötzlich echte Kriegsangst für großes Unbehagen. Und bei vielen Marktteilnehmern riss nun offenbar der Geduldsfaden. Der Verkaufsdruck und die Dynamik der Abwärtsbewegung waren vor allem am Freitag erheblich. Der DAX brach bis auf 8.903 Punkte ein und beruhigte sich dann oberhalb der Marke von 8.950 Zählern. Aber was war eigentlich passiert? Einmal mehr ging es um die geopolitischen Risiken. Die Lage spitzte sich in mehreren Krisenherden gleichzeitig zu. Und weil ein jeder Investor bestrebt ist, sein persönliches Risiko zu minimieren, fallen in solchen Situationen die Reaktionen mitunter sehr heftig aus. Das ist durchaus auch verständlich. Ich denke jedoch, dass mittlerweile sehr viel Schlechtes in den Aktienkursen enthalten ist und wir uns möglicherweise bereits in einer Stabilisierungsphase befinden. Eine neue Bodenbildung halte ich für denkbar. Wahrscheinlich sind wir bereits mitten drin, zumindest steht sie uns kurz bevor. Denn gerade in dieser Börsenwoche reagierten die Investoren kaum noch auf negative Nachrichten. Aber gehen wir’s mal der Reihe nach durch... Russlands Säbelrasseln oder viel Lärm um eine Routine-Übung Die Ukraine-Krise hat sich zweifellos zugespitzt. Sie sorgte in den vergangenen Wochen bereits für deutlich fallende Aktienkurse. Und dann kamen am vorigen Donnerstag die Berichte über den Aufmarsch von 20.000 kampfbereiten russischen Soldaten an der Grenze zur Ostukraine dazu. Warnende Rufe waren zuerst von der polnischen Regierung und unmittelbar danach auch von der NATO zu vernehmen. Die Furcht vor einem Einmarsch russischer Truppen in der Ostukraine war enorm gewachsen. Wie sich erst später herausstellte, handelte es sich in diesem konkreten Fall um ein Manöver, welches die Russen bereits im Jahr 2013 angekündigt hatten. Darüber war - einer entsprechenden Erklärung zufolge - wohl auch die Bundesregierung informiert. Damals gab es in der Ostukraine allerdings noch keine kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten. Diese wesentliche Information erhielten die meisten Börsianer aber erst am Freitagabend... Fast zeitgleich wurde verkündet, dass die russischen Streitkräfte ihre Manöver nahe der Grenze zur Ukraine beendet hätten. Die Flugzeuge wären aus dem Gebiet wieder zu ihrem Standort zurückgekehrt. Und die Flugabwehr-Einheiten hätten damit begonnen, ihre Gerätschaften für den Transport in die Standorte zu verladen. Punkt. Das war’s. Oder kommt da noch was? Ein neuer Krisenherd? Von vielen Marktbeobachtern fast unbemerkt, hat Russland am Dienstag auch auf der Inselgruppe der Kurilen ein Militärmanöver begonnen. An der Übung seien 1.000 Soldaten und fünf Kampfhubschrauber beteiligt. Dies ist insofern zusätzlich brisant, als dass damit ein jahrzehntelanger Territorialstreit zwischen Russland und Japan neu angefacht werden könnte. Die Beziehungen beider Länder zueinander sind durch dieses Thema seit dem zweiten Weltkrieg belastet. Damals hatten sowjetische Truppen Inseln im Süden des Archipels besetzt. Japan erhebt jedoch Anspruch auf die Inseln und fordert von der Regierung in Moskau ihre Rückgabe. US-Militär reagiert auf dramatische Situation im Irak Nachdem US-Präsident Barack Obama Luftschläge gegen die vorrückenden Extremisten der Organisation „Islamischer Staat“ im Irak angeordnet hatte, reagierten die Börsianer vor allem im europäischen Handel sehr nervös. Die Sorge vor einer erneuten, länger andauernden militärischen Auseinandersetzung zwischen Islamisten und den USA war mit voller Wucht an die Finanzmärkte zurückgekehrt. Aber anders als in Europa ließen sich die Anleger an der Wall Street in New York am Freitag vom Eingreifen des US-Militärs im Irak kaum beeindrucken. Leichte Entspannung an den Märkten Börsianer hassen Unsicherheit. Wenn ihnen wichtige Informationen fehlen, gehen die meisten Investoren zunächst vom schlimmsten Szenario aus und stoßen im Zweifel ihre Aktien ab. Das Ende des Manövers der russischen Streitkräfte an der Grenze zur Ukraine hatte vielen Marktteilnehmern etwas Unsicherheit genommen. Genährt wurde die neue Zuversicht auch von Aussagen des Chefs des russischen Sicherheitsdienstes, Nikolai Patruschew. Dieser hatte in einem Interview gesagt, dass Russland weiterhin alle Anstrengungen unternehmen werde, um die Spannungen zu verringern. Dazu kam noch, dass die US-Regierung im Irak konsequent ihre angekündigten Maßnahmen umsetzt. Dies ist recht transparent und damit können Investoren umgehen. Kleine Zeichen sagen manchmal mehr als tausend Worte Hört, hört! Inmitten der vielen Streitigkeiten um die Ukraine hat der Öl-Gigant Exxon Mobil eine gemeinsame Öl-Plattform mit der russischen Rosneft in der Arktis gestartet. Kreml-Chef Wladimir Putin selbst soll dem Projekt per Videokonferenz grünes Licht gegeben haben. Ob die Weltmächte derartige Geschäfte wirklich künftig gefährden wollen? Dieses Beispiel zeigt zumindest, dass es genug Möglichkeiten gibt, um aufeinander zuzugehen. Ich glaube jedenfalls daran, dass die beteiligten Seiten durch Verhandlungen mit viel Geschick und Geduld zu einer Lösung der Ukraine-Krise kommen können. Und dies würde natürlich auch den Aktienkursen wieder auf die Sprünge helfen. Die Börse reagiert kaum noch auf schlechte Daten Hoch interessant ist, dass sich die Börsianer in dieser Woche selbst von trüben Konjunkturdaten kaum noch beeindruckt zeigten. Die Aktienkurse stabilisierten sich nicht nur, sie erholten sich sogar. Und das ist ein Zeichen dafür, dass der Markt deutlich „überverkauft“ ist. Beispiele gefällig? 1.) Japans Wirtschaft schrumpfte im zweiten Quartal so stark wie seit der Tsunami-Katastrophe im März 2011 nicht mehr. Der Konsum ging aufgrund der deutlichen Anhebung der Mehrwertsteuer (von fünf auf acht Prozent) um fünf Prozent zurück. 2.) Das Geschäft der Einzelhändler in den USA hat im Juli überraschend stagniert. Die Umsätze entwickelten sich so schwach wie seit dem Januar nicht mehr. Damals hatte die US-Wirtschaft aber mit dem harten Winter zu kämpfen. Der Einzelhandel ist maßgeblich für rund dreißig Prozent des privaten Konsums in den USA. Und dieser wiederum steht für rund siebzig Prozent der US-Wirtschaftsleistung und gilt deshalb als zuverlässiges Stimmungsbarometer für die gesamte Konjunktur. 3.) Die Industrie im Euro-Raum hat ihre Produktion im Juni überraschend um 0,3 Prozent gedrosselt. Dabei hatten Ökonomen mit einem Plus von 0,3 Prozent gerechnet. Das Wirtschaftswachstum für das zweite Quartal könnte deshalb schwächer ausfallen als ohnehin schon angenommen. Bisher gehen Ökonomen von einer Steigerung des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 0,2 Prozent aus. 4.) Die Konjunkturerwartungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gingen für Deutschland überraschend deutlich um 18,5 auf 8,6 Punkte zurück. Das ist der tiefste Stand seit Dezember 2012! 5.) Aufgrund der geringeren Kosten fürs Heizen und Tanken ist die Inflation in Deutschland auf 0,8 Prozent und damit den niedrigsten Wert seit viereinhalb Jahren gedrückt worden. Fazit Angst und Ungewissheit haben die jüngste Korrektur des DAX ausgelöst und begleitet. Inzwischen haben sich die Marktteilnehmer aber offenbar an schlechte Nachrichten und trübe Daten gewöhnt. Außerdem sind viele Investoren aufgrund der Sommermonate im Urlaub, so dass sie derzeit als Käufer in Schwächephasen des Marktes ausfallen. Darüber hinaus dürften die Notenbanken angesichts der beschriebenen Lage ihre expansive Politik konsequent fortsetzen. Und selbst die von einigen Experten erwartete Zinsanhebung in den USA im Frühjahr des kommenden Jahres ist weder sicher noch würde sie deutlich ausfallen, wenn sie denn wirklich kommen sollte. Weitere Aufschlüsse hierüber bringt aber sicherlich das Notenbanker-Treffen in Jackson Hole am 21. August. Interessant ist auch, dass die globalen Fondsmanager nach einer Umfrage der Bank of America ihre Barreserven im August auf ein Zweijahreshoch angehoben haben. Gleichzeitig sind Absicherungen gegen deutliche Kurseinbrüche auf dem höchsten Niveau seit Oktober 2008. Was meinen Sie, wie schnell das viele Geld wieder in Aktien fließen würde, wenn die aktuellen Unsicherheiten weichen sollten... Wie bereits oben angedeutet, steht der Aktenmarkt - meiner Meinung nach - vor einer Stabilisierungs- und Erholungsphase oder ist bereits mitten drin. Nach einem Kursrutsch, wie wir ihn zuletzt erleben mussten, verläuft eine folgende Aufwärtsbewegung allerdings meist in mehreren Stufen ab. Gerade in der laufenden Berichtssaison kann es hier auch immer mal positive sowie negative Sondereinflüsse geben. Wichtig ist, dass die Anleger wieder neues Vertrauen aufbauen. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern muss behutsam laufen. Ich rechne damit, dass der DAX nach vollzogener Bodenbildung in Kürze bis in den Bereich von 9.500 Punkten klettern und ab Ende September Stück für Stück wieder zu seiner alten Stärke zurückfinden wird. Dann sollte die Rallye erneut Fahrt aufnehmen. Meine Empfehlung ist also, Schwächephasen des Marktes weiter zum klugen Aufbau von Positionen zu nutzen! Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg und eine goldene Hand! Ihr Holger Scholze

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