Unverstandene neue Zinswelt

Stefan Riße · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Kein anderer Markt wurde von den Finanzmarktanalysten in den vergangenen Jahren wohl so falsch prognostiziert wie die Zinsentwicklung. Fast unisono prognostizierten sie immer wieder steigende Zinsen. Die große Handelsblatt-Prognose, die jeweils zum Jahreswechsel erscheint, legt darüber eindrucksvoll Zeugnis ab. Vor allem in Bezug auf die zehnjährigen deutschen Zinsen lagen die Einschätzungen unglaublich weit daneben. Schon einen Zins von zwei Prozent hielten die wenigsten für möglich. Als wir dieses Niveau erreicht hatten, waren sich die Experten einig, dass es tiefer nun eigentlich nicht mehr gehen könne. Als dann ein Prozent Rendite für zehnjährige Staatspapiere erreicht wurden, sollte endgültig der Boden gefunden sein.

Das Unmögliche wurde möglich

Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Im vergangenen Jahr erreichten selbst zehnjährige deutsche Bundesanaleihen kurzzeitig negative Zinsen. Aktuell liegen sie bei 0,3 Prozent. Was die Analysten bei ihren Prognosen ganz offenbar nicht auf dem Schirm hatten, war die zuvor über Jahre gestiegene Verschuldung in vielen alten Industrieländern. Private Haushalte, Unternehmen, Banken und Staat, in allen Bereichen stiegen die Verschuldungsquoten in Relation zum Bruttoinlandsprodukt immer weiter an. Am Beispiel der noch immer größten Volkswirtschaft der Welt, den USA, wuchs die Gesamtverschuldung von rund 150 Prozent Mitte der 80er Jahre auf deutlich über 300 Prozent. In vielen Ländern Europas sah es nicht anders aus. In Japan erreichten allein die Staatsschulden vor Jahren schon die Marke von über 200 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Dadurch war klar, dass tiefe Zinsen in weiterer Zukunft ein Muss sein würden, weil anders sich diese Schuldenberge nicht finanzieren lassen würden. Nach jahrelangem Irrtum ist das nun so langsam auch durchgesickert. Deutliche Zinssteigerungen sagt aktuell kaum jemand voraus.

Erneutes Unverständnis

So weit so gut. Das sehe ich auch so. Doch beim längerfristigen Blick scheint es mir, dass die Finanzmarktexperten noch immer nicht verstanden haben, dass wir zumindest für eine weitere Dekade in einer anderen Zinswelt leben werden, als wir sie aus der Historie kennen. Denn kommt die Rede auf das Thema Inflation, was zuletzt mit den anziehenden Teuerungsraten wieder häufiger passiert, warnen die Fachleute vor dann wieder deutlich steigenden Zinsen. Damit zeigt sich, dass sie mit der gleichen Reaktion der Notenbanken rechnen wie in der Vergangenheit. Genau hier liegt meines Erachtens nach der nächste Denkfehler. Sollten die Inflationsraten tatsächlich stark steigen, dann will ich nicht ausschließen, dass die Notenbanken auch den Zins sukzessive anheben. Doch sie werden bedacht sein, dass er immer hübsch unter der Inflationsrate liegt. Dass ist jetzt schon der Fall. Und wenn diese Differenz - gesprochen wird vom negativen Realzins - noch größer wird, dürfte es den Währungshütern nur recht sein. Eine wirkliche Inflationsbekämpfung mit scharfen Zinserhöhungen wie Anfang der 80er Jahre wird es eben nicht geben.

Die Zentralbanken haben ein Plan

Der Plan der Notenbanken ist eindeutig. Die zu hohen Schuldenberge sollen über die Geldentwertung abgebaut werden. Und je höher der negative Realzins, desto schneller geht es. Nicht ohne Grund schlugen Volkswirte des Internationalen Währungsfonds (IWF) schon vor Jahren vor, das allgemeine Inflationsziel auf vier Prozent anzuheben. Für den Anleger kann das nur heißen, was ich hier schon seit Jahren propagiere: Auf Sachwerte setzen: Immobilien, Gold und vor allem Aktien!

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