Steuerschätzung fällt mies aus und dürfte Haushaltsstreit verschärfen

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- von Christian Krämer und Holger Hansen und Klaus Lauer

Berlin (Reuters) - Die ohnehin schon schwierige Aufstellung des Haushalts für 2025 dürfte durch die neue Steuerschätzung noch wesentlich zäher werden.

"Neue finanzielle Spielräume gibt es absehbar nicht", sagte Finanzminister Christian Lindner am Donnerstag in Berlin. "Wir müssen uns von unrealistischen Wünschen verabschieden." Der Arbeitskreis Steuerschätzung hatte zuvor seine mit Spannung erwartete Prognose für die Jahre 2024 bis 2028 vorgelegt. Demnach müssen Bund, Länder und Gemeinden in diesem Fünf-Jahres-Zeitraum mit insgesamt 80,7 Milliarden Euro weniger auskommen als noch im Herbst 2023 erwartet. Allein auf den Bund entfallen dabei Mindereinnahmen von 41,6 Milliarden Euro.

FDP-Chef Lindner sagte, die Etat-Gespräche der Ampel-Regierung seien intensiv und herausfordernd. Es müsse für 2025 noch eine Haushaltslücke im niedrigen zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich geschlossen werden. "Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren." Neue Sozialausgaben seien nicht drin. Lindner will bei der Einkommensteuer aber die Freibeträge erhöhen und auch die Mittelschicht entlasten.

Er bestätigte das abgesprochene Verfahren mit Spitzengesprächen zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm sowie einer Orientierung am mittelfristigen Finanzplan. Weiter sei geplant, am 3. Juli und damit kurz vor der parlamentarischen Sommerpause einen Kabinettsbeschluss hinzubekommen. Welche Ausgabewünsche nicht gehen, wollte Lindner nicht ausführen: "Das ist zu früh." Teilweise seien die Wünsche aber derart hoch, dass sie das Finanzministerium überhaupt nicht akzeptieren könne. Als Priorität nannte Lindner die Unterstützung der Ukraine, die gegen den Angriff Russlands kämpft. Auch zusätzliche Hilfen seien beim Einhalten der Schuldenbremse darstellbar.

HAUSHALT 2024 KÖNNTE NOCH PROBLEME BEREITEN

Lindner sagte, auch die Umsetzung des Haushalts für dieses Jahr müsse nach der Steuerschätzung im Blick behalten werden. Hier könne es Risiken auf der Ausgabenseite geben. Noch gebe es wegen vorhandener Puffer zwar keinen Grund zur Sorge. Ein Handlungsbedarf könne aber im Jahresverlauf entstehen. Im Bundeshaushalt 2024 drohen Mindereinnahmen von 5,6 Milliarden Euro. Bei der Förderung des Ökostroms gebe es Medienberichte, wonach neun Milliarden Euro mehr ausgegeben werden könnten als geplant, so der Finanzminister.

Der Industrieverband DIHK nannte die Steuerschätzung einen Weckruf. "Die schwachen Wachstumsdaten hinterlassen ihre Spuren", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Lindner verwies auch auf die Stromsteuersenkung, die sich bemerkbar mache. Trotzdem gebe es insgesamt enorme Einnahmen, auf gesamtstaatlicher Ebene von fast einer Billion Euro im Jahr 2025. Der Industrieverband BDI forderte Steuersenkungen, um die Wirtschaft anzuschieben. Der Solidaritätszuschlag müsse für alle abgeschafft werden. Es brauche zudem Investitionsprämien für Digitalisierung und Klimaschutz. Gegenüber der Herbst-Prognose verbucht der Bund für 2025 aber ein Minus bei den Steuereinnahmen von elf Milliarden Euro.

AMPEL-HAUSHÄLTER SEHEN HANDLUNGSDRUCK

Der SPD-Haushaltsexperte Dennis Rohde nahm Lindner mit Blick auf die neue Steuerschätzung in die Pflicht. "Wir erwarten jetzt vom Bundesfinanzminister bis zum Sommer einen Haushaltsentwurf, der die Wirtschaft weiter ankurbelt, die Zeitenwende umsetzt und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land garantiert." Bei seinem FDP-Kollegen Otto Fricke hieß es, man könne den Haushalt nicht mit immer mehr konsumtiven Ausgaben überlasten und Handlungsspielräume weiter einschränken. Die Wirtschaftswende erfordere auch eine Haushaltswende. Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler warnte vor einem "Sparhaushalt auf dem Rücken von langjährigen Beschäftigten oder armen Menschen, zulasten des Klimaschutzes, der demokratischen Infrastruktur oder unserer internationalen Verantwortung".

Die Opposition sprach von einem Warnsignal. "Wir bekommen gerade die Quittung für eine beispiellos schlechte Politik", erklärte der Chefhaushälter der Unions-Fraktion, Christian Haase (CDU). "Deutschland darf nicht weiter das Versuchslabor für eine falsche und grün administrierte Wirtschaftspolitik sein."

(Mitarbeit von Maria Martinez, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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