Industrie mit starkem Auftragsplus - "Muss noch mehr kommen"
- von Rene Wagner
Berlin (Reuters) - Inmitten neuer Rezessionssorgen hat die deutsche Industrie im Juni ihr erstes Auftragsplus in diesem Jahr geschafft.
Die Bestellungen wuchsen wegen der anziehenden Binnennachfrage um überraschend starke 3,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einem Anstieg von 0,5 Prozent gerechnet, nachdem es zuvor fünf Rückgänge in Folge gegeben hatte. Einen kräftigeren Zuwachs gab es zuletzt im Dezember 2023.
"Es gibt sie noch, die guten Nachrichten", kommentierte LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch die unerwartete Entwicklung. "Um wirklich mal Zuversicht für die Industrie zu schöpfen, muss noch mehr zusammenkommen. Der Abwärtstrend ist damit nicht gebrochen." Das belegt auch der Quartalsvergleich: Trotz des starken Juni fielen die Aufträge im zweiten Vierteljahr um 1,4 Prozent niedriger aus als in den ersten drei Monaten des Jahres. Daher warnt auch das Bundeswirtschaftsministerium vor zu viel Optimismus. "Eine breitere Belebung der Industriekonjunktur ist angesichts der weiterhin gedämpften Stimmung in den Unternehmen und der noch schwachen Auslandsnachfrage vorerst nicht wahrscheinlich", hieß es. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht ebenfalls noch keinen Grund zur Entwarnung. "In den ersten beiden Quartalen sind die Bestellungen jeweils deutlich gesunken", sagte DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen. "Die deutsche Industrie läuft Gefahr, wegen vielfältiger struktureller Probleme wie hohen Kosten, Bürokratie und Fachkräftemangel an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen."
"BLUTLEERE ERHOLUNG"
Das Geschäftsklima in der Industrie hatte sich im Juli deutlich eingetrübt, wie das Ifo-Institut bei seiner Unternehmensumfrage herausfand. "Insbesondere die Urteile zur aktuellen Lage fielen erheblich schlechter aus", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Auch die Erwartungen trübten sich ein. Die jüngsten Entwicklungen signalisierten allenfalls "eine blutleere wirtschaftliche Erholung in der zweiten Jahreshälfte", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Unternehmen und Konsumenten sind noch zu verunsichert, um positiv auf die abebbende Belastung durch die zurückliegenden Zins- und Energiepreiserhöhungen zu reagieren."
Die positive Auftragsentwicklung im Juni ist insbesondere auf den deutlichen Anstieg in der Automobilindustrie zurückzuführen, betonte das Statistikamt. Hier gab es ein Plus von 9,3 Prozent zum Vormonat. Auch die Zuwächse im Bereich Herstellung von Metallerzeugnissen (plus 9,8 Prozent) und im Sonstigen Fahrzeugbau wie Flugzeuge, Schiffe und Züge (plus 11,7 Prozent) wirkten sich positiv aus. Dagegen sank die Nachfrage bei den Herstellern von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen um 7,9 Prozent.
REZESSIONSSORGEN
Die Aufträge aus dem Inland stiegen im Juni um 9,2 Prozent, die aus dem Ausland legten dagegen nur um 0,4 Prozent zu. Dabei wuchs das Neugeschäft mit Ländern außerhalb der Euro-Zone um 0,9 Prozent, während das mit der Währungsunion um 0,3 Prozent schrumpfte. Ohne die oft stark schwankenden Großaufträge legten die Bestellungen um insgesamt 3,3 Prozent zu.
Wie schwierig die Lage für das Verarbeitende Gewerbe derzeit ist, zeigt ein Blick auf den Umsatz. Inflationsbereinigt sank er im Juni um 0,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat, nach minus 0,3 Prozent im Mai.
Die deutsche Wirtschaft insgesamt blickt auf ein schwaches erstes Halbjahr zurück. Zwar reichte es im ersten Quartal zu einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 0,2 Prozent. Dafür schrumpfte die Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,1 Prozent. Folgt ein zweites Minus im laufenden Sommerquartal, würde Europas größte Volkswirtschaft in einer Rezession stecken. Auch in den USA - dem wichtigsten Kunden von Waren "Made in Germany" - schwächelt die Konjunktur. Die Furcht vor einem wirtschaftlichen Abschwung in den Vereinigten Staaten haben in den vergangenen Tagen die weltweiten Börsen auf Talfahrt geschickt.
(redigiert von Kerstin Dörr und Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)