Autokorso und Online-Protest - Warnstreiks in der Metallindustrie

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Frankfurt (Reuters) - Tausende, dicht an dicht stehende Menschen mit Trillerpfeifen, roten Fahnen und Käppis kann die IG Metall im Tarifstreit dieses Mal wegen Corona nicht zusammentrommeln.

Aber die Gewerkschaft hat sich einiges einfallen lassen, um nach bisher ergebnislosen Verhandlungen in der Metallindustrie ab Mitternacht mit Warnstreiks für ihre Forderungen Druck zu machen. Schon tagsüber beteiligten sich Tausende an Aktionen in mehr als 150 Orten. "Was die Arbeitgeber uns bisher vorgelegt haben, sind Wundertüten ohne Inhalt", sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Montag. "Krisenbewältigung einseitig auf Kosten der Beschäftigten ist mit uns nicht zu machen." Kurz nach 00.00 Uhr zum Ende der Friedenspflicht wollen bundesweit Beschäftigte vor die Fabriktore ziehen oder sich zum Autokorso ans Steuer setzen.

In bis zu vier Verhandlungsrunden haben sich die Tarifparteien der mit rund 3,8 Millionen Beschäftigten größten deutschen Industrie bisher nicht angenähert. Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung im Volumen von vier Prozent, die je nach Lage des Unternehmens für höhere Löhne oder zum Ausgleich für Arbeitszeitverkürzung in der Krise genutzt werden sollen. Zudem will die IG Metall einen Rahmen für Zukunftstarifverträge auf Betriebsebene abstecken, die Beschäftigung im Wandel zu Elektromobilität oder Digitalisierung sichern sollen. Dass sie Arbeitsplätze erhalten wollen, sagen auch die Arbeitgeber. Doch sie fordern wegen der Corona-Pandemie - wie schon im Krisen-Tarifabschluss 2020 vereinbart - auch für 2021 eine Nullrunde und den Abbau von Tarifstandards. Die geforderten Abstriche an Urlaubs- und Weihnachtsgeld lehnte Hofmann entschieden ab.

Die IG Metall sieht die Autoindustrie und andere Industriezweige nach dem Pandemie-Schock auf Erholungskurs. Dafür seien stabile Entgelte für die Beschäftigten wichtig.

HUPKONZERT BEIM AUTOKORSO

Zu den Warnstreiks beim letzten großen Tarifkonflikt 2018 mobilisierte die Gewerkschaft an einzelnen Tagen weit über 100.000 Mitglieder zu Protesten. Insgesamt legten zwei Millionen im Zeitraum von rund zwei Wochen die Arbeit zeitweise nieder. In der Pandemie fallen die Aktionen wegen der Abstandsregeln kleiner, dafür aber kreativer aus. So hat die IG Metall in Nordrhein-Westfalen einem Sprecher zufolge zwei Laster mit LED-Wänden gemietet und plant damit pro Tag insgesamt vier Veranstaltungen im Autokino-Format. Die Gewerkschaft hat extra UKW-Frequenzen gebucht, damit die Warnstreikenden den Reden in ihren Autos lauschen können. Statt Trillerpfeifen und Buhrufen gibt es dann Hubkonzerte. Die Forderungen werden auch mit Hochleistungsbeamern an die Wände von Fabrikhallen projiziert. Für die Kollegen im Homeoffice gibt es neue Abwesenheitsnotizen: "Ich bin im Warnstreik!"

In Stuttgart sind erste Warnstreikaktionen bei Autozulieferern geplant. Für Dienstagvormittag hat die Gewerkschaft zu einer Kundgebung vor den Toren von Mahle Behr mit anschließender Demonstration aufgerufen. Damit die Auflagen zum Schutz vor Corona eingehalten werden, versammeln sich kleinere Gruppen im "Wechselwarnstreik" Abteilung für Abteilung im Freien, erklärte IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger. Geplant sei auch, Betriebe mit Menschenketten zu umzingeln. Für Bürobeschäftigte sind Protest-Videokonferenzen geplant. Die Warnstreiks "werden sichtbar, sie werden spürbar sein, sie werden Auswirkungen auf die Produktion und Verwaltung haben", betonte Zitzelsberger.

In München trafen sich am Mittag nach einer Sternfahrt aus fünf Richtungen zur Theresienwiese mehrere hundert Beschäftigte von BMW, MAN, MTU und anderen Betrieben in ihren Autos sitzend zu einer Kundgebung.

Das Airbus-Werk in Hamburg und die Mercedes-Fabrik in Bremen gehören zu den Zielen der ersten Warnstreiks im Bezirk Küste. "Mit vielfältigen Aktionen werden die Belegschaften aus Betrieben im gesamten Bezirk in den nächsten Wochen nachlegen", kündigte Bezirksleiter Daniel Friedrich an.

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