Boeing: 600 Milliarden Dollar stehen auf dem Spiel - Trägt Trumps Shutdown Teilschuld am Absturz?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Nach dem Flugstopp für seinen bisherigen Hoffnungsträger droht dem US-Hersteller Boeing ein finanzieller wie auch logistischer Albtraum. Zusätzlich zum enormen Imageschaden drohen Schadenersatzforderungen betroffener Airlines und der Verlust von Neuaufträgen, meint der Luftfahrtanalyst Wolfgang Donie von der Landesbank NordLB in Hannover. „Insgesamt betrachtet, ist das ein einziges Desaster“, sagt Donie und warnt auch vor kurzfristigen Engpässen beim Lufttransport. „Der Markt ist schwierig, es fehlt an Ersatzflugzeugen – das könnte schon zu Engpässen führen.“

Boeing wird nicht untergehen, aber die Krise tut weh

Allerdings glaubt er kaum, dass auch ein mehrmonatiges Flugverbot für die Boeing 737 Max 8 den US-Konzern existenziell gefährden könnte. „Boeing kann es verkraften, aber es dürfte sehr weh tun, je länger die Flugverbote andauern.“ Denn dadurch können jetzt diverse neue Maschinen nicht mehr ausgeliefert werden – die vorerst wohl letzte wurde diese Woche noch an den Tui -Konzern aus Hannover übergeben. „Es werden planmäßig weitere Auslieferungen folgen“, sagt ein Tuifly-Sprecher, betont aber: „Da wird Boeing erklären müssen, was mit denen geschieht: Die sind ja noch nicht in unserem Besitz.“

Aufträge in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar in Gefahr?

Mehr als 350 Boeing-Max-Flugzeuge wurden seit der Markteinführung 2017 in diversen Ausführungen an Fluggesellschaften in aller Welt ausgeliefert, weitere 4600 Maschinen des Typs sind bestellt. Nach der zweiten Katastrophe mehren sich bei vielen Kunden jedoch die Zweifel. Wie Bloomberg berichtet, spielen viele Airlines mit dem Gedanken, die Aufträge zu stornieren.

VietJet Aviation JSC, ein vietnamesischer Billigflieger-Anbieter, hatte im letzten Monat seine Aufträge an Boeing auf ein Volumen von 25 Milliarden verdoppelt, will seine Bestellung jetzt aber noch einmal überdenken. Kenya Airways Plc hat ebenfalls Zweifel geäußert und überlegt, auf das A320 Modell des Rivalen Airbus umzusteigen. Die Russische Airline Utair Aviation PJSC fordert nun Garantien zur technischen Sicherheit, bevor sie ihre ersten 30 gelieferten Flugzeuge annehmen. Die indonesische Airline Lion Air plant, einen Auftrag in Höhe von 22 Milliarden Dollar zu stornieren und stattdessen Airbus Jets zu kaufen. Die nationale Airline Garuda Indonesia wird ebenfalls einen Großteil ihrer Bestellungen reduzieren. Die Saudi-Arabische Airline Flyadeal will auch die Untersuchungsberichte abwarten, bevor sie ihre Bestellung von 50 Flugzeugen aufnimmt.

Auch Passagiere und Flugpersonal verlieren Vertrauen

Boeing muss jetzt dringend klare Antworten liefern, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg, der von einem Einschnitt spricht. Die emotional stark aufgeladene Debatte um die Zuverlässigkeit der neuen Maschine habe bei vielen Passagieren und auch Besatzungen Urängste ausgelöst, weil gegen einen Grundkonsens der Fliegerei verstoßen worden sei. „Der besteht ja darin, dass Weiterentwicklungen bewährter Modelle einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn bringen – und das hat die weltweite Luftfahrt in den vergangenen Jahren ja auch gut hinbekommen.“

Es sei daher ungewöhnlich, dass Flugzeugbezeichnungen in so kurzer Zeit zum Synonym für Unzuverlässigkeit und Unsicherheit verkommen. Kinderkrankheiten seien vor allem bei Neuentwicklungen zu erwarten, weniger bei so bewährten Typen wie der als verlässlich geltenden Boeing 737. „Für die gesamte Industrie ergibt sich dadurch ein völlig neuer Gedankenansatz“, meint Schellenberg. Ob der Konkurrent Airbus von der Lage profitiert? „Wenn die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, kann man das wohl genauer beantworten“, meint der Experte, der sich vor allem bei margenschwachen Airlines einen opportunistisch motivierten Wechsel zur Konkurrenz vorstellen kann. Anhand des Bloomberg-Berichts ist bereits ein erster Schwenk seitens einiger Airlines auf die Airbus-Konkurrenz zu erkennen.

Neue, sparsamere Triebwerke die Ursache?

Boeing hatte unter dem Eindruck des Erfolgs seines Konkurrenten Airbus mit der A320neo auch auf die Weiterentwicklung seines Bestsellers Boeing 737 statt einer kompletten Neuentwicklung gesetzt. Wie Airbus hatte auch Boeing seinem eigenen Erfolgsmodell vor allem neue, sparsamere Triebwerke verpasst – die aber in ihrer Komplexität die Flugeigenschaften der Maschine beeinträchtigten.

Ob die deshalb geänderte Steuerungssoftware, das sogenannte Maneuvering Characteristics Augmentation System, letztlich ursächlich war für die kurz aufeinander folgenden Unfälle von Boeing-737-Max-8-Jets in Indonesien und Äthiopien, muss nun die Auswertung von Stimmaufzeichnungsgerät und Flugdatenschreiber ergeben. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, könnten auf Boeing weitere Schadenersatzforderungen zukommen. Wie hoch das Misstrauen mittlerweile ist, zeigt eine Entscheidung der betroffenen Airline: Sie lässt die Auswertung nicht im Herstellerland USA, sondern in der Airbus-Heimat Frankreich durchführen.

Trägt der US-Shutdown eine Teilschuld an dem Absturz?

Ein weiterer Punkt, den das „Wall Street Journal“ in einem Bericht aufgreift, ist die Rolle des Shutdowns der US-Regierung Anfang des Jahres. Bereits nach dem ersten Absturz einer 737 Max 8 in Indonesien war ein Software-Update für das Flugkontrollsystem der Boeing-Modelle eingeleitet worden. Es sollte mögliche Probleme mit der Steuerungssoftware, die als eine mögliche Absturz-Ursache gehandelt wird, beheben.

Boeing arbeitete seit dem Absturz im Oktober mit der US-Luftfahrtbehörde FAA an einem Fahrplan für das Update, das bereits Anfang Januar hätte abgeschlossen sein sollen. Doch dann kam laut Bericht der von Trump provozierte Regierungsstopp (35 Tage zwischen Dezember 2018 und Januar 2019) zum tragen. Daher wurden die Arbeiten um 5 Wochen verzögert. Die US-Behörde hatte damals entschieden, dass die Verzögerung akzeptabel war, da Boeing betont hatte, dass es keine unmittelbar Sicherheitsgefahr gab. Jetzt hat das Update allerhöchste Priorität bei Boeing und soll bis Mitte April abgeschlossen sein.

Aktie leidet unter dem Vertrauensverlust

Auch aus Anlegersicht ist der Absturz und die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Boeing eine Katastrophe. Das Wertpapier hat seit dem Wochenende gut 12 Prozent eingebüßt, Tendenz weiter fallend. Aktionäre müssen sich angesichts der offenen Fragen und der drohenden Auftrags-Stornierungen sehr wahrscheinlich auf weitere Kursverluste einstellen.

Boeing 5-Tageschart (NYSE)

onvista/dpa-AFX

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Titelfoto: vaalaa/shutterstock

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