Börsenweisheit: Spekulieren Sie niemals gegen die Notenbank!

Jessica Schwarzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Notenbanken setzen die Märkte auf Entzug, die ultralockere Geldpolitik endet. Investoren macht das extrem nervös. Würgen Fed und EZB den Aufschwung ab? Oder können sie die Börsen doch noch einmal beruhigen?

Von Jessica Schwarzer

In den USA steigen die Zinsen weiter. Aller Kritik von Präsident Donald Trump zum Trotz hat die US-Zentralbank die Zinsen im Dezember erhöht, weitere Zinsschritte sollen folgen. Und die Euro-Staaten verlieren ihren wichtigsten Investor. Die Europäische Zentralbank (EZB) pumpt seit Jahresbeginn kein frisches Geld mehr in den Anleihemarkt. Damit endet auch in der Euro-Zone die ultralockere Geldpolitik langsam.

Seit März 2015 haben EZB und nationale Notenbanken für rund 2,6 Billionen Euro Bonds gekauft, vor allem Staatsanleihen. Damit ist jetzt Schluss, nur noch fällig werdende Papiere werden ersetzt. Die US-Notenbank hat ihr Anleihekaufprogramm längst beendet und im Herbst 2017 sogar bereits mit dem Abbau ihres Bestands von Staats- und Immobilienanleihen im Volumen von damals 4,5 Billionen Dollar begonnen. Dieser Schritt dürfte bei der EZB noch länger auf sich warten lassen.

Bilanzsumme der US-Notenbank Fed (Quelle: fred.stlouisfed.org )

In der Finanzkrise hatten die Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks die Zinsen massiv gesenkt und gigantische Anleiheprogramme aufgelegt. Damit wollten sie die Wirtschaft stützen und eine weitere Zuspitzung der Krise verhindern. Mit Erfolg. An den Aktienmärkten hat die ultralockere Geldpolitik eine jahrelange Rally ausgelöst. Jedes neue Aufflackern der Krise wurde von Fed und EZB im Keim erstickt. Nicht umsonst heißt eine alte Börsenweisheit: Spekulieren Sie niemals gegen die Notenbank!

Eine Börsenweisheit, der Experten viel abgewinnen können. „Die Notenbanken diktieren die globale Liquiditätsversorgung. Und Liquidität ist der ultimative Treibstoff für Wirtschaft und Börse“, sagt beispielsweise Karsten Müller, Fondsmanager und Geschäftsführer von Chainberry Asset Management. Die wirtschaftliche Macht der beiden größten Notenbanken sei sogar noch größer als die der jeweiligen Staatschefs.

Und sie ist sogar noch gewachsen. „Die beiden größten Notenbanken weltweit haben ihren Einfluss auf die Kapitalmärkte seit der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich ausgebaut“, sagt Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank. „Spürbar ist dies vor allem an den Anleihemärkten, wo die massiven Interventionen und Anleihekäufe das Renditeniveau stark verzerrt haben.“ Eine zehnjährige Bundesanleihe mit weniger als 0,2 Prozent Zins spiegele nicht mehr die wirtschaftliche Realität wider, sondern dokumentiere eindrucksvoll den Einfluss der Notenbanken. „An den Aktienmärkten sind beide Notenbanken ebenfalls wesentliche Einflussfaktoren, auch wenn hier die Wirkung eher indirekt - über die bereitgestellte Liquidität und die relative Unattraktivität alternativer Anlagen - erfolgt“, ergänzt er.

Doch diese Liquidität schwindet, das Geld wird wieder teurer. In den USA liegt der Leitzins bereits wieder bis 2,25 bis 2,50 Prozent. Gleich vier mal hat die Notenbank die Zinsen im vergangenen Jahr erhöht. Damit hat sich Fed-Chef Jerome Powell nicht dem Willen des US-Präsidenten gebeugt, der gewohnt lautstark einen deutlich vorsichtigeren Kurs gefordert hatte. Am Aktienmarkt kam die Zinserhöhung im Dezember ebenfalls nicht gut an. Sorgen machen sich breit, höhere Zinsen könnten die Konjunktur abwürgen. Weitere Schritte sollen folgen. Für dieses Jahr hat die Fed die Aussicht von drei weiteren allerdings auf zwei weitere Zinserhöhungen reduziert.

Die EZB dürfte frühestens gegen Ende 2019 zum ersten Mal die Zinsen erhöhen, manche Ökonomen erwarten das sogar erst 2020. Erst müssen die Märkte das Auslaufen des Anleihe-Kaufprogramm verdauen. Die Angst im Euro-Raum ist groß, dass die Renditen steigen, wenn die EZB nicht immer neues Geld in den Markt pumpt. Vor allem Länder wie das hoch verschuldete Italien würde das hart treffen. Schon jetzt liegen die Renditen für zehn jährige Anleihen bei 2,8 Prozent. Ein Vorgeschmack auf das, was kommt? Schon in den vergangenen Monaten hatte die EZB die Dosis an frischem Geld immer weiter reduziert. Zuletzt kaufte sie nur noch Anleihen für 15 Milliarden Euro pro Monat. Auf dem Höhepunkt der Käufe zwischen April 2016 und März 2017 waren es immerhin 80 Milliarden Euro. Nun sind es null Euro.

Und das in einer Zeit, in der die Nerven der Investoren extrem gereizt sind und die Aktienkurse bereits kräftig in Trudeln geraten sind. Führt der Liquiditätsentzug geradewegs in die nächste Krise? Die Unsicherheit ist groß, auch wenn manchen die Korrektur an den Märkten übertrieben scheint. Nun ist die Frage: Werden die Notenbank gegensteuern? Können sie es überhaupt? Müller ist überzeugt: „Die Notenbanken haben das komplette Instrumentarium zu Beruhigung der Märkte in der Hand.“ Es müssten auch nicht immer gleich Liquiditätsmaßnahmen sein. Diese würden sowieso eher mittel- bis langfristig wirken. „Die Vorgänger von Powell haben bewiesen, dass mit etwas Gespür für die Märkte und einer Portion Kommunikationsgeschick viel Vertrauen geschaffen werden kann“, sagt der Fondsmanager. „Beides lässt der aktuelle Fed-Chairman allerdings noch vermissen.“

Auch Commerzbank-Experte Schickentanz glaubt, dass vor allem die Fed die Märkte beruhigen könne. Denn die US-Notenbank habe zur richtigen Zeit den Zinserhöhungszyklus begonnen und damit das Heft des Handelns zurückgewonnen. „Mittlerweile hat die Fed mit den US-Leitzinsen eine ausreichend hohe Fallhöhe erreicht, um im Fall der Fälle Handlungsoptionen zu haben“, sagt er. „Für die EZB sieht es da schwieriger aus.“ Ihr künftiges Instrumentarium sei stärker begrenzt: Zinssenkungen seien auf absehbare Zeit nicht möglich, bei den unkonventionellen Maßnahmen wie Staatsanleihenkäufen gehe ihr angesichts der Restriktionen von Seiten des Gesetzgebers langsam das Material aus.

Max Otte ist deutlich skeptischer: „Nach drei Jahrzehnten des lockeren Geldes und mindestens einem Jahrzehnt des ultalockeren Geldes ist die Markmanipulation durch die Notenbanken an ihren Grenzen angelangt“, sagt der Fondsmanager und Börsenprofessor. Für ihn steht fest: „ 2019, spätestens 2020 wird angesichts der vielen Krisenherde ein Schicksalsjahr.“ Eine düstere Prognose, allerdings ist Otte auch nicht gerade für überbordenden Optimismus bekannt und galt lange als „Crash-Prophet“.

Irgendwann wird der nächste Crash auf jeden Fall kommen. Der aktuelle Aufschwung ist einer der längsten seit dem Zweiten Weltkrieg und läuft nun schon seit Juni 2009. „Obwohl Aufschwünge nicht an Altersschwäche sterben, gibt es ausreichend Warnzeichen dafür, dass die Party zu Ende ist“, gibt auch Rolf Kieckebusch, Vorstand der Kirix Vermögensverwaltung, zu bedenken. Fallende Wertpapierkurse weltweit, erste Schwächen im US-Immobiliensektor, Stagnation in großen europäischen Ländern, das unsichere Niveau der US-Exporte und das Erlahmen der chinesischen Binnenkonjunktur seien handfeste Anzeichen für das Ende des Zyklus. „Die Notenbanken können nicht mehr wirklich gegensteuern“, glaubt er. „Allerdings denken wir, dass die Märkte schon einiges vorweggenommen haben und zumindest ein Seitwärtsszenario bereits eingepreist ist.“

Mit Blick auf die Politik der Notenbanken wird 2019 auf jeden Fall ein spannendes Jahr. Und für Anleger dürfte die alte Börsenweisheit „Spekuliere niemals gegen die Notenbank“ ein guter Rat sein. Denn das gelingt den wenigsten Investoren erfolgreich. Eine der ganz wenigen Ausnahmen ist George Soros, der 1992 erfolgreich gegen das Pfund und die britische Notenbank spekulierte. Für alle anderen gilt die alte Börsenweisheit.

Foto: Orhan Cam / Shutterstock.com

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