Bund und Länder beschließen harte Maßnahmen gegen Ungeimpfte

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

- von Andreas Rinke und Alexander Ratz

Berlin (Reuters) - Bund und Länder haben im Kampf gegen die Corona-Pandemie die Regeln für Ungeimpfte deutlich verschärft.

Die Ministerpräsidentenkonferenz beschloss am Donnerstag drastische Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich sowie eine 2G-Regelung im Handel und bei Freizeitveranstaltungen. Damit können nur noch Geimpfte und Genesene an weiten Bereichen des öffentlichen Lebens teilnehmen. Der designierte Kanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte dies mit dem Hinweis, dass jede die Chance gehabt habe, sich zu impfen. Wirtschaftliche Schäden etwa für den Handel würden finanziell abgefedert.

Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel sprach nach der Schalte mit den 16 Ministerpräsidenten von einem "nationalen Akt der Solidarität", um die Corona-Zahlen zu senken und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Merkel und Scholz bekannten sich zu einer allgemeinen Impfpflicht, die sie vor Monaten noch ausgeschlossen hatten. Die Lage habe sich geändert, weil sich nicht genug Menschen hätten impfen lassen, sagte der SPD-Politiker. Sie würde im Bundestag für eine Impfpflicht stimmen, betonte auch die CDU-Politikerin, die allerdings dem neuen Bundestag nicht mehr angehört. Eine allgemeine Impfpflicht soll laut Beschluss "etwa ab Februar 2022" eingeführt werden. Der Ethikrat soll bis Jahresende eine Empfehlung vorlegen. Eine Impfpflicht für Personal etwa in Pflegeheimen soll zuvor beschlossen werden.

INFEKTIONSSCHUTZGESETZ WIRD WIEDER GEÄNDERT

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) betonte, dass das Infektionsschutzgesetz von der Ampel-Mehrheit im Bundestag wieder geändert werde. Dies habe Scholz zugesagt. Dabei sollen "angemessene zusätzliche Maßnahmen" wie eine zeitlich befristete Schließung von Gaststätten oder Einschränkungen bei Hotelübernachtungen möglich sein, heißt es in dem Bund-Länder-Beschluss. Darüber hinaus soll die bis zum 15. Dezember geltende Übergangsfrist für Schutzmaßnahmen nach dem alten Infektionsschutzgesetz verlängert werden.

Die Ampel-Parteien hatten zunächst mit Hinweis auf das gerade geänderte Infektionsschutzgesetz ein Vorziehen der für den 9. Dezember vorgesehenen MPK abgelehnt gehabt. Scholz betonte, dass nun einer nationaler Kraftakt nötig sein. "Ich bin froh, dass in dieser schwierigen Lage der Schulterschluss funktioniert, die Parteipolitik in den Hintergrund tritt", betonte der designierte Kanzler.

Eine erneute Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes ist bereits in Arbeit - ebenso wie ein Gesetzentwurf zur Einführung einer Teil-Impfpflicht für Einrichtungen mit besonders gefährdeten Personen wie Alten- oder Pflegeheime. Dieser soll kommende Woche in den Bundestag kommen. Der Bundesrat könnte Änderungen in einer Sondersitzung am 10. Dezember zustimmen.

RKI MELDET WIEDER ÜBER 73.000 NEUINFEKTIONEN

Hintergrund der Debatte sind die sehr hohen Zahlen an Neuinfektionen und Covid-19-Kranken. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Donnerstag 73.209 neue Corona-Fälle. Die Sieben-Tage-Inzidenz sank den dritten Tag in Folge leicht und liegt nun bei 439,2 nach 442,9 am Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben. Allerdings ist unklar, ob der Rückgang der Zahlen auf ein Abflachen der Pandemie-Welle zurückzuführen ist oder auf eine zunehmend fehlerhafte Erfassung durch überlastete Gesundheitsämter. 388 weitere Menschen starben in Zusammenhang mit dem Virus. Die Zahl der Corona-Intensivpatienten in Krankenhäusern stieg am Donnerstag weiter auf 4774.

NEUER BUNDESWEITER INZIDENZ-SCHWELLENWERT VON 350

Bund und Länder einigten sich auch darauf, dass an Silvester und Neujahr ein bundesweites Versammlungsverbot gilt. Der Verkauf von Pyrotechnik wird generell verboten. Ähnlich wie für den von Schließungen betroffenen Betrieben wird den Produzenten eine Kompensation im Rahmen der Wirtschaftshilfen zugesagt.

Bund und Länder zogen zudem einen neuen Schwellenwert für Corona-Beschränkungen ein: Spätestens ab einer Inzidenz von 350 sollen Clubs und Diskotheken in Innenräumen geschlossen werden. Oberhalb dieser Inzidenz müssen alle Kontakte reduziert werden - also auch für Geimpfte. Großveranstaltungen sollen maximal 15.000 Zuschauer haben. Es könnten auch 2G-plus Regeln vorgeschrieben werden, bei denen Geimpfte und Genesene sich zusätzlich testen lassen müssen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller betonte aber, dass Fußballvereine wegen des Infektionsgeschehens auch freiwillig auf Zuschauer verzichten könnten. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisierte, dass nicht die gesamte Fußball-Bundesliga vorerst ohne Fans in den Stadien stattfindet.

In den Schulen soll in allen Alterstufen eine Maskenpflicht gelten. Viele der Beschlüsse müssen nun in den Ländern umgesetzt werden. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach sich gegen ein Vorziehen der Weihnachtsferien aus.

SCHOLZ WILL "WENN IRGENDWIE ERREICHBAR" 30 MILLIONEN IMPFEN

Bund und Länder streben zudem an, bis Weihnachten bis zu 30 Millionen Menschen zu impfen. "Wenn irgendwie erreichbar" solle man dies tun, sagte Scholz. Zur Beschleunigung der Impfkampagne wurde ein erweiterter Bund-Länder-Krisenstab im Kanzleramt eingerichtet. Trotz einiger Klagen über mangelnden Impfstoff beschleunigte sich das Impf-Tempo weiter. Am Mittwoch wurden in Deutschland laut RKI fast eine Million Menschen geimpft.

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