Corona-Krise: Dritte Welle und wachsende Lockdown-Müdigkeit setzt die Politik unter Druck – kommt mit einer „Notbremse“ die nächste, schwere Hypothek für die Bundestagswahl?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Es ist eine Krux. Wie in den Wochen vor Weihnachten steht Deutschland auch vor Ostern in der Corona-Krise vor folgenschweren Entscheidungen. Die Infektionszahlen steigen wieder exponentiell an, befeuert durch aggressive Virusvarianten. Doch die Bevölkerung ist pandemiemüde. Für die Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Länder an diesem Montag ist das eine schwierige Ausgangslage. Zwar dürfte die generelle Verlängerung des Lockdowns bis 18. April unstrittig sein. Doch viele Details sind offen – über sie wird es wohl viel Streit geben. Und am Ende womöglich noch mehr Unzufriedenheit bei den Menschen.

Schon am Freitag hatte Merkel aus ihrer Position keinen Hehl gemacht: „Und wir werden leider auch von dieser Notbremse Gebrauch machen müssen“, sagte sie nach Beratungen mit den Ländern zum weiteren Vorgehen beim Impfen. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir ohne diese Notbremse auskommen, aber das wird nicht möglich sein, wenn ich mir die Entwicklung der letzten Tage anschaue.“

Was Merkel meint: Bundesweit ist die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche bereits auf mehr als 100 gestiegen. In manchen Hotspots liegt die Inzidenz gar um ein Vielfaches höher, Spitzenreiter ist der thüringische Landkreis Greiz mit einem Wert von weit über 500. Zur Erinnerung: Der Lockdown soll, so betont es Merkel seit Monaten, die Inzidenz wenigstens wieder auf einen Wert von 50 drücken, besser noch darunter. Fakt ist aber, dass es in Deutschland längst wieder ein exponentielles Wachstum der Corona-Zahlen gibt.

Auch aus den Ländern – etwa aus Bayern – und von Medizinern kommt seit Tagen der Ruf nach einer „harten Notbremse“, wie es CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder am Sonntag nennt. Söder und Merkel ärgert es, dass die am 3. März von Bund und Ländern beschlossene Regelung für Hotspots mit einer Inzidenz ab 100 nicht überall gleich konsequent umgesetzt wird. Genau dies fordert der Beschlussentwurf des Kanzleramts von Sonntagnachmittag daher ein.

Die Notbremse sieht vor, dass die Kontaktbeschränkungen in den betroffenen Landkreisen wieder verschärft wird und Handel, Museen, Galerien, Zoos und botanische Gärten wieder schließen müssen.

Die Forderungen im Entwurfpapier aus dem Kanzleramt gehen aber noch weiter: In Hotspots ab einer 100er-Inzidenz brauche es zur Senkung der Zahlen weitere Verschärfungen – darunter eine nächtliche Ausgangsbeschränkung, die Schließung von allen Schulen und Kitas, in denen Lehrer und Schüler beziehungsweise Erzieher und betreute Kinder nicht zweimal pro Woche getestet werden könnten. Ab einer Inzidenz von 200 sieht der Entwurf generell die Schließung von Schulen und Kitas vor. Ob dieser Passus am Ende aber wirklich eine Mehrheit findet, ist nach den Runden am Wochenende offen. Im Kreis der Ministerpräsidenten wurde damit gerechnet, dass dieser Punkt am Ende abgeschwächt würde.

In den Hinterköpfen der Politiker nimmt die am 26. September anstehende Bundestagswahl derweil einen immer größeren Platz ein. Gerade die in den Umfragen weit hinter der Union und den Grünen hinterher hinkende SPD ist mit ihrem Vizekanzler und Kanzlerkandidaten Olaf Scholz erkennbar bemüht, der Corona-Politik ihren Stempel aufzudrücken.

Dazu passend macht am Wochenende ein Papier der SPD-Länder die Runde, welches nicht etwa die Forderung des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach nach einem schnellen und harten Lockdown aufgreift. Vielmehr wird darin eine Möglichkeit gesucht, den Menschen über Ostern Urlaub unter strengen Auflagen in ihren Bundesländern zu erlauben. Der Hintergrund der SPD-Forderung, die auch in der Union Zuspruch findet, ist die Debatte um die hohe Zahl an Deutschen, die dieser Tage auf Mallorca Urlaub machen, während hierzulande der Tourismus weiter auf Eis gelegt ist.

Das Kanzleramt und die Unionsländer reagieren kritisch darauf. So abwegig die Vorstellung von einem Urlaub in Pandemiezeiten auch für viele Menschen klingt: Das Thema einfach ignorieren kann die Politik im Frühjahr 2021 auch nicht mehr. Laut einer YouGov-Umfrage plädieren nur 25 Prozent der Befragten dafür, dass die Hotels auch in den Osterferien geschlossen bleiben sollten. Der reflexartige Ruf nach Quarantäne und Testpflicht für alle Auslandsreiserückkehrer dürfte da auch nicht ausreichen, um die gefühlte Ungerechtigkeit angesichts der Mallorca-Reisen besänftigen zu können.

Das wissen sie auch in der Union, wo sich zwischen Ostern und Pfingsten entscheiden soll, wer als Kanzlerkandidat um das Erbe von Merkel kämpfen soll. In Umfragen liegt die Union eine Woche nach dem CDU-Desaster bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schon unter der 30-Prozent-Marke. Das dürfte auch die für die Kanzlerkandidatur gehandelten Top-Bewerber unter Druck bringen – CDU-Chef Armin Laschet und Söder. Den gefährlichen Abwärtstrend verdankt die Union nicht nur den schleppenden Corona-Impfungen, sondern auch den Affären um Provisionen beim Maskenhandel oder der Aserbaidschan-Connection.

Ein kritisches Maß hat die Unzufriedenheit mit dem Corona-Management erreicht. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigten sich 34 Prozent „sehr unzufrieden“ und weitere 31 Prozent „eher unzufrieden“ mit dem Agieren der Regierung. Dagegen sind nur 4 Prozent „sehr zufrieden“ und 26 Prozent „eher zufrieden“. 5 Prozent machen keine Angaben.

Fakt ist aber auch, dass durch Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt das Ende der Pandemie länger auf sich warten lassen würde. Söder warnt längst vor einer „Dauerwelle“ bis Juni oder Juli. Damit wäre auch der Urlaub über Pfingsten Ende Mai alles andere als sicher. Von den weiteren Hängepartien für Handel, Kultur und Bildung ganz zu schweigen. Sollte dann auch noch der Sommerurlaub ausfallen, das ist allen politisch Verantwortlichen klar – wäre das für das Ergebnis der Bundestagswahl mit Sicherheit eine noch heftigere Hypothek.

onvista/dpa-AFX

Titelfoto: Viacheslav Lopatin / Shutterstock.com

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