Coronavirus: Rasante Ausbreitung in Deutschland – Ausgangssperren drohen

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Berlin/München (Reuters) – Angesichts drastisch steigender Infektionszahlen in der Coronavirus-Krise droht die Politik in Deutschland Ausgangssperren an und bringt noch stärkere Hilfen für die taumelnde Wirtschaft auf den Weg.

Die Zahl der Infizierten stieg mit 2800 neuen Fällen in einem Tag um über ein Drittel auf fast 11.000, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Donnerstag bekanntgab. Bayern und auch Gesundheitsminister Jens Spahn schlossen flächendeckende Ausgangssperren nicht aus, sollten geltende Einschränkungen nicht beachtet werden. Spahn sprach von wohl viele Monate dauernden Beschränkungen. Wirtschaftsforscher verzeichneten einen historisch einmaligen Einbruch bei den Geschäfts-Erwartungen der Industrie und rechnen mit einer tiefen Rezession. Regierungskreisen zufolge ist ein Hilfspaket von über 40 Milliarden Euro für fünf Millionen Selbständigen sowie Kleinstunternehmen in Planung. Das Bundesarbeitsministerium rechnet mit etwa 2,35 Millionen Kurzarbeitern.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte bereits vor exponentiell steigenden Fallzahlen bei der Seuche gewarnt, die in Deutschland bislang vergleichsweise milde verlaufen ist. Laut RKI sind bislang 20 Tote registriert. Am stärksten trifft in Europa das Virus Italien, wo bereits 3000 Menschen gestorben sind und das Militär mittlerweile beim Abtransport von Leichen hilft. Örtliche Krematorien in der Lombardei sind mit der Totenzahl überfordert. In eine Reihe weiterer Länder ist das Militär nun gefragt: In Deutschland wird die Bundeswehr laut Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer notfalls beim Warentransport helfen. Wenn zivile Kräfte erschöpft seien, werde auch an anderen Stellen geholfen. In Großbritannien wurden Reservisten in Bereitschaft versetzt. In China, dem Ausgangspunkt der Pandemie, werden dagegen Zeichen gesehen, dass die drastische Einschränkungen Wirkung zeigten und der Höhepunkt überschritten sei.

Das Robert-Koch-Institut hatte dagegen gewarnt, wenn Schul- und Geschäftsschließungen und Reise-Beschränkungen in Deutschland nicht wirkten, könne es bis Juni zehn Millionen Infizierte geben. Dies würde das Gesundheitssystem nicht bewältigen können. Man habe ein bis zwei Wochen Vorsprung gegenüber Italien, die Zeit müsse genutzt werden. Die Berliner Krankenhausgesellschaft rief Menschen mit Ausbildung im Gesundheitswesen auf, sich freiwillig zu melden.

Eine Rückkehr zum Normalzustand ist in den nächsten Monaten nicht zu erwarten. „Dass wird eher viele Monate so gehen als viele Wochen“, sagte Gesundheitsminister Spahn mit Blick gerade auf den Schutz von Älteren und Schwächeren. Weitere Beschränkungen schloss er nicht aus. Er sehe leider, dass die Notwendigkeit für die bestehenden Maßnahmen noch nicht bei allen Bürgern angekommen sei. Und selbst wenn Einschränkungen gelockert werden könnten, werde es für bestimmte Gruppen weiter Schutz geben müssen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kündigte im Landtag an, wenn nötig, werde man handeln. „Es gibt viele, die sich nicht an die Empfehlungen halten“, sagte der CSU-Politiker. „Wir können da nicht endlos zuschauen.“ Bayern hatte bereits am Mittwoch eine erste Ausgangssperre für die Kleinstadt Mitterteich verhängt, was aufgrund des ausgerufenen Katastrophenfalls in Bayern möglich ist.

BAYERN ERWÄGT EINSTIEG BEI MITTELSTÄNDLERN

Die Bundesregierung rechnet in der Virus-Krise mit rund 2,35 Millionen Beschäftigten, die aus konjunkturellen oder saisonalen Gründen Kurzarbeitergeld beziehen werden. Dies geht aus einem Verordnungsentwurf des Bundesarbeitsministeriums hervor, der am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters vorlag und über den zuerst das „Handelsblatt“ berichtet hatte. Die Kosten für die Bundesagentur für Arbeit (BA) werden auf über zehn Milliarden Euro beziffert.

Die Bundesregierung will ohne Rücksicht auf Schuldengrenzen zudem mit weiteren Milliarden-Zahlungen sichern, dass Selbständige und Klein-Unternehmen Mieten und Rechnungen zahlen können. Das Paket solle mindestens 40 Milliarden Euro umfassen, sagten Regierungsvertreter. Der Landtag in München kam zusammen, um ein zehn Milliarden Euro schweres Hilfspaket für Unternehmen in Bayern zu beschließen. Weitere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Hessen stellten ebenfalls Milliarden in Aussicht. Alle schon beschlossenen Instrumente reichten wohl aber nicht aus, sagte Söder: „Ich glaube, dass wir noch ein nationales Konjunkturpaket brauchen.“ Das Paket solle 100 oder besser 150 Milliarden Euro umfassen. „Überleben ist alles für die Wirtschaft.“ Der Staat sei bereit, zur Überbrückung der Krise notfalls direkt bei Mittelständlern einzusteigen.

IFO-INSTITUT HÄLT REZESSION WIE IN FINANZKRISE FÜR MÖGLICH

Die Stimmung der vom IFO-Institut monatlich befragten Manager sank dramatisch auf den tiefsten Stand seit 2009, also zur Zeit der Finanzkrise. „Die deutsche Wirtschaft stürzt in die Rezession“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest unter Verweis auf vorläufige Daten. Im Verarbeitenden Gewerbe fiel der Geschäftsklimaindex auf den niedrigsten Stand seit August 2009. „Einen stärkeren Rückgang gab es im vereinigten Deutschland noch nie“, betonte Fuest. Der Rückgang der Erwartungen sei mit Blick auf 70 Jahre Umfragen in der Industrie historisch einmalig. Das Institut hält ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um bis zu sechs Prozent in diesem Jahr für möglich. Das Institut für Wirtschaftsforschung (IfW) will sogar neun Prozent nicht ausschließen.

Wegen der dramatischen Entwicklung greifen auch Notenbanken aus aller Welt der Wirtschaft unter die Arme. So legt die Europäische Zentralbank (EZB) ein Notfallprogramm mit umfassenden Anleihenkäufen von 750 Milliarden Euro auf.An den Börsen ging die Talfahrt dennoch weiter.

Die Tourismus- und Luftfahrtbranche wurde als erstes von der weltweiten Krise voll getroffen. Die Lufthansa hat ihren Betrieb mit bisher 763 Maschinen inzwischen fast vollständig eingestellt. Der kaum noch angeflogene Flughafen Frankfurt stellte eine Landebahn zum Abstellen von Flugzeugen zur Verfügung. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagte, er ging von Verstaatlichungen der Fluglinien in vielen Ländern aus. Sollte es einen feindlichen Übernahmeversuch seines Unternehmens geben, werde er die Bundesregierung anrufen.

Reuters – von Markus Wacket und Alexander Hübner und Holger Hansen

Foto: Soni’s / shutterstock.com

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