Der lange Schatten des Wolfgang Schäuble

Stefan Riße · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), hat die Markterwartungen mit der Zinsentscheidung und der entsprechenden verbalen Begleitung wieder einmal erfüllt. Es dürfte damit klar sein, dass es wohl noch eine Zinssenkung geben wird, wenn die konjunkturelle Situation in Europa sich nicht überraschender Weise verbessern sollte. Es war wieder der Mario Draghi zu hören, der zu allem bereit ist, um die Eurozone zu unterstützen. Damit wurde noch einmal unterstrichen, dass die Zinsen wohl noch auf Jahre tief bleiben und wir uns womöglich sogar bei den zehnjährigen Renditen auf dauerhaft negative Zinsen einstellen müssen. Diese erreichte für die deutschen Bundesanleihen gestern einen Rekord von minus 0,4 Prozent.

Bundesregierung holt ihren Lottogewinn nicht ab

Leiht sich der deutsche Staat Geld, dann bekommt er also noch 0,4 Prozent pro Jahr obendrauf. Das ist wie ein Lottogewinn für den Staat. Er kann in die Zukunft investieren und für das Geld, dass er sich leiht, bekommt er noch etwas dazu. Doch die Bundesregierung holt ihren Lottogewinn nicht ab. Angela Merkel machte in der vergangenen Woche nochmals deutlich, dass die schwarze Null im Bundeshaushalt von zentraler Bedeutung sei. Das versteht bald keiner mehr. Selbst konservative Ökonomen wie Clemens Fuest vom Ifo-Institut in München und Michael Hüther vom IW in Köln, die nun wirklich keine Verfechter waghalsiger Schuldenpolitik sind, zweifeln bei dieser Zinssituation mittlerweile daran, ob die Strategie der schwarzen Null die richtige ist.

Schäuble ging, die schwarze Null blieb

Als klar wurde, dass Wolfgang Schäuble im neuen Bundeskabinett nicht mehr Finanzminister sein würde, schrieb ich an dieser Stelle hier eine Kolumne mit dem Titel „Die schwarze Null ist weg“. Selten habe ich mich so geirrt. Denn mit Wolfgang Schäuble änderte sich diese Politik überhaupt nicht. Olaf Scholz, obwohl SPD Politiker, hält an diesem unseligen Dogma weiter fest. Natürlich muss man einräumen, dass es ja sogar eine im Gesetz verankerte Schuldenbremse gibt. Doch Gesetze ließen sich im Zweifel auch wieder ändern, wenn deutlich würde, dass sie kontraproduktive Wirkung entfalteten. Doch auch diesbezüglich gab es von Scholz bisher keinerlei Einlassungen.

Falscher Glaubenssatz verhindert wichtige Zukunftsinvestitionen

Hinter der Idee der schwarzen Null steht das sich zunächst vernünftig anhörende Konzept, dass man schließlich ja nur das ausgeben könne, was man vorher erwirtschaftet habe. Doch da ist offensichtlicher Unsinn. Schauen wir doch nur mal auf die Unternehmenswelt und dabei auf die neuen Unternehmen der Internetindustrie, die wir alle so bewundern. Da gibt es Uber, Airbnb, Spotify und viele mehr. Haben die erst erwirtschaftet, was sie dann ausgegeben haben? Nein! Sie haben Millionen und teilweise Milliarden von US-Dollar von Geldgebern erhalten, um ihre Ideen und Investitionen umzusetzen. Die Erntezeit kommt dann erst viele Jahre später. Nichts anderes ist es mit einem Staat, der in seine Infrastruktur, in sein Bildungssystem und moderne Technologie investiert. Irgendwann zahlen sich diese Investitionen durch höheres Wachstum und damit höhere Steuereinnahmen aus. Dann werden kommende Generationen auch nicht mit Schulden belastet, sondern es wird im Gegenteil ein Land übergeben, das hoch wettbewerbsfähig ist und Investitionen aus der ganzen Welt anlockt. Von der schwarzen Null hingegen kann sich niemand etwas kaufen, denn sie bleibt eine Null, auch wenn sie schwarz ist.

Gute Schulden und schlechte Schulden

Staatsschulden zu machen, ist per se natürlich nicht automatisch positiv zu bewerten. In der Eurozone und ihren Krisen der vergangenen Jahre wurde dies deutlich. Doch nicht die Schulden selbst sind das Problem, sondern das, wofür sie gemacht werden. Entstehen sie, um mit der Gießkanne Geld zu verteilen, um so die Nachfrage anzukurbeln, bleibt in der Regel nur ein kurzer Aufschwung, der wie ein Strohfeuer schnell abgefackelt ist. Die Schulden aber bleiben und belasten den zukünftigen Haushalt. Wird das Geld hingegen investiv eingesetzt, wie oben beschrieben für Infrastruktur, Bildung, Integration und Forschung, dann machen sich die Schulden in jedem Fall bezahlt. Und da die Zinskupons negativ sind, würden im Fall von Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern nicht einmal Zinszahlungen den Haushalt belasten, sondern sogar noch unterstützen.

Deutschland verspielt seine Zukunft

Doch diese zwingende Logik will einfach nicht in die Köpfe der Regierung und so verspielt Deutschland seine Zukunft. Und weil wir unser Spardiktat ja auch noch der Eurozone aufzwingen, auch gleich noch die Europas mit. Dem gegenüber stehen die USA und China, die sich mit rund fünf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt neu verschulden, um in die oben genannten Felder zu investieren. Dabei haben die sogar noch positive Zinsen zu berappen, für Deutschland wäre diese Politik erheblich günstiger.

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