Die irrsinnigen Auswüchse der Geldpolitik

Jessica Schwarzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Eigentlich müssten Investoren sich an die „verkehrte Welt“ gewöhnt haben. Zinsen gibt es nicht mehr, im Gegenteil. Viele Staaten und Unternehmen mit erstklassigen Ratings werden mittlerweile von Investoren sogar dafür bezahlt, dass sie sich Geld leihen. Und es werden immer mehr. Die Renditen an den Rentenmärkten sinken seit Jahresbeginn wieder stärker. Das Volumen der ausstehenden Anleihen, die eine negative Rendite aufweisen, hat weltweit wieder ein Volumen von mehr als 10,6 Billionen Dollar erreicht. Das ist der höchste Stand seit 2016. In der Euro-Zone werfen mittlerweile drei Viertel der ausstehenden Rentenpapiere negative Erträge ab. Auch zehnjährige Bundesanleihen tauchen immer mal wieder unter die Nulllinie, japanische Verhältnisse.

Die Null- und Negativzinsphase geht in die Verlängerung. Auch wenn sich das für die viele Investoren noch immer komisch anfühlt oder doch zumindest eine Herausforderung darstellt, so haben sie sich doch zumindest auf die Situation eingestellt. Ihnen bleibt auch gar nichts anderes übrig. Denn ändern wird sich so schnell nichts. Mittlerweile ist die Zinswende abgesagt, zumindest aber ausgesetzt. Die Fed hat ihren Zinsanhebungszyklus bis auf weiteres unterbrochen und von der EZB erwarten Experten frühestens im kommenden Jahr, eher aber sogar erst 2021 einen Mini-Zinsschritt. Zu schwach sind die Wirtschaftsdaten aktuell, zu niedrig ist die Inflation. Auch das Tapering, also der Versuch der Notenbanken, ihre aufgeblähten Bilanzen abzubauen, geht nicht mehr so voran, wie ursprünglich angekündigt.

Die Situation am Rentenmarkt wird also erstmal angespannt bleiben. Es wird schwierig bleiben, positive Renditen zu erzielen. Investoren müssen immer stärker ins Risiko gehen, um auch nach Abzug der Inflation noch positive Renditen zu erzielen. Damit treiben sie die Preise von Hochzinsanleihen, aber auch von Aktien und Immobilien weiter. Wirklich schwierig ist die Situation für diejenigen, die aufgrund ihrer Anlagerichtlinien nicht oder kaum in Aktien oder Hochzinsanleihen investieren dürfen. Versicherer und Pensionskassen beispielsweise sind deshalb gezwungen, weiter Staatsanleihen zu kaufen. Renditen können sie nur über aktives Laufzeiten-Management – also durch die Kursentwicklung – erzielen. Auf US-Treasuries auszuweichen, die deutlich höhere Renditen bringen, ist aufgrund des Währungsrisikos beziehungsweise der recht teuren Absicherung eben dieses Risikos auch keine Lösung. Es fließt also weiter Geld in den Rentenmarkt und in höher rentierliche Assetklassen.

Manch einer warnt schon vor Blasen am Aktien- und Immobilien-, vor allem aber am Rentenmarkt. Unbegründet ist das nicht. Denn je länger die Nullzinspolitik dauert, desto stärker steigt die Verschuldung der Unternehmen, die sich extrem günstig Geld leihen können. Das könnte zu einer großen Gefahr für die Märkte werden. Und wehe, wenn diese „Blase“ platzt! Die Notenbanken selbst stecken in der Falle: Sie können kaum die Zinsen anheben, ohne Verwerfungen an den Finanzmärkten auszulösen. Schon auf geringste Zinsanhebungen werden Investoren wohl ziemlich verschnupft reagieren. Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, gab es Ende vergangenen Jahres. Mittlerweile gibt es sogar stimmen, die neue Zinssenkungen fordern oder gar prognostizieren, um die lahmende Konjunktur zu stützen. Das wiederum wird an den Märkten wohl auch nicht allzu gut ankommen. Denn wenn die Konjunktur weiter einbricht, belastet das die Unternehmen natürlich und damit den Aktienmarkt.

Keine schöne Gemengelage an den Finanzmärkten, aber eben auch keine neue Situation. Bisher ist das große finanzpolitische Experiment der Notenbanken gut gegangen. Man fragt sich natürlich, wie lange das so weiter geht oder gehen kann. Aber auch diese Frage wurde in den vergangenen Jahren oft gestellt. Und es ging weiter gut. Bisher. Irgendwann wird der nächste Crash kommen, ob nun am Aktien- oder Rentenmarkt oder wie in der Finanzkrise gleich an beiden. Was ihn auslöst, können wir nicht wissen – allen Warnsignalen, Expertenmeinungen und selbsternannten Crash-Propheten zum Trotz. Vielleicht ist die „verkehrte Welt“, in der wir ja nun schon einige Jahre leben, aber auch unsere neue Welt, unsere neue Normalität. Trotzdem schadet es nicht, die Risiken im Depot von Zeit zu Zeit zu überprüfen, nachzujustieren und vielleicht ein wenig den Fuß vom Gas zu nehmen. Und ganz genau auf die Signale der Notenbanken zu achten.

Titelfoto: design.gertect / Shutterstock.com

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