Gefährliche Überraschungen

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Der Handelskrieg zwischen den USA und China eskaliert weiter. Die Chancen auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen schwinden. Negative Überraschungen sind an der Tagesordnung – eine gefährliche Gemengelage.

Donald Trump ist längst zu einem Unsicherheitsfaktor für die Weltmärkte geworden. Der US-Präsident ist immer für eine unangenehme Überraschung gut. Verkündet werden die kleinen oder größeren Schocks für die Börsen via Twitter. Vor allem seine Tweets zum Handelskonflikt mit China und den stockenden Verhandlungen mit der Weltmacht sorgen bei Investoren immer wieder für Aufregung. An den Märkten schwanken die Kurse zuletzt deshalb auch wieder stärker. Kein Wunder.  Überraschungen und Unsicherheit kommen bei Anlegern bekanntlich gar nicht gut an.

Schon André Kostolany sagte einst: „Das gefährlichste an der Börse ist die Überraschung. Dabei können nur die wenigsten Börsianer ihre Ruhe und Objektivität bewahren.“ Zwar ist der Börsenaltmeister schon seit  fast 20 Jahren tot. Seine Aussage stimmt aber auch heute noch. „Daran hat sich tatsächlich nichts geändert“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Wenn Börsen mit einem nicht wirklich umgehen können, ist es Unsicherheit. Oft kommt es dabei zu Überreaktionen.“ Sprich: Negative Überraschungen führen zu unverhältnismäßigen Kursrückgängen. Positive Überraschungen lassen die Kurse zu weit nach oben springen.

Tilmann Galler bestätigt den Wahrheitsgehalt der alten Weisheit ebenfalls. „Es hat sich nichts daran geändert, dass Überraschungen, ob positiv oder negativ, eine Quelle der Volatilität sind“, sagt der Kapitalmarktstrategie bei J.P. Morgan Asset Management. „Gefährlich werden sie jedoch nur, wenn sie in der Lage sind, einen bestehenden Trend nachhaltig zu verändern.“

Der Handelskonflikt und jede weitere Eskalation war und ist eine böse Überraschung für die Märkte. Handelskriege sind für Börsen immer gefährlich, da sie zu geringerem Wachstum in den verwickelten Volkswirtschaften führen und damit zu sinkenden Gewinnen auf Unternehmensebene. „Die Frage ist, wie lange geht ein solcher Konflikt, und wie wichtig sind die betroffenen Wirtschaftszweige für die jeweiligen Länder“, sagt Tüngler. Was die aktuell schwelenden oder bereits laufenden Handelskonflikte angehe, sei eine Prognose aufgrund der nur schwer kalkulierbaren Aktionen insbesondere der US-Regierung kaum möglich.

Die Hoffnung auf Deeskalation schwindet

Der Handelskonflikt zwischen den USA und China - und möglicherweise in sechs Monaten auch Europa - ist aktuell eine der größten Gefahren für die Aktienmärkte. „Während der direkte Schaden, der von den Zöllen ausgeht, relativ gering ist - die US-Exporte nach China machen gerade mal 0,6 Prozent des US-BIP aus und Exporte Chinas in die USA tragen nur 3,6 Prozent zum chinesischen BIP bei - sind die Zweit- und Drittrundeneffekte viel gravierender für die Wirtschaft und Kapitalmärkte“, erklärt Galler. Eine Konsequenz aus dem Handelskonflikt und der ersten zusätzlich erhobenen Zölle des vergangenen Jahres ist die ausgeprägte Schwächephase im verarbeitenden Gewerbe. Die zunehmende Unsicherheit über die zukünftige Nachfrage, die Veränderung von Wertschöpfungsketten und die Verteuerung von Vorprodukten führen nicht nur zu einer Investitionszurückhaltung der betroffenen Unternehmen, sondern auch zu steigendem Margendruck.

„Sollte das Worst-Case-Szenario eintreten, dass der komplette Warenverkehr zwischen China und den USA mit Zöllen belegt wird, könnte das zu einer Abschwächung des globalen Wachstums zwischen 0,4 und 0,6 Prozent führen“, prognostiziert Galler. Eine weitere Konsequenz wäre ein Ansteigen der Inflation, was wiederum die Kaufkraft der Konsumenten schwächt. „Die aktuelle Börsenrally wird von lockerer Zentralbankpolitik, der Erwartung des Erfolgs des chinesischen Konjunkturprogramms und der Hoffnung auf eine Deeskalation in Handelsfragen getragen“, sagt der Kapitalmarktexperte. „Im Falle einer Eskalation würde jedoch auch der erwartete Aufschwung der chinesischen Wirtschaft in Frage gestellt werden, wodurch der aktuellen Aktienrally zwei von drei Stützen wegfallen würden.“ Mit der jüngsten Ausweitung des Handelskonflikts auf die Technologieunternehmen sei das Risiko eines Handelskriegs jedoch größer geworden. Die Chance eines positiven Ausgangs der Verhandlungen sieht der Experte von J.P. Morgan Asset Management bei knapp über 50 Prozent.

„Für einen Crash braucht es mehr als Tweets“

So denken viele Investoren, wie die Kursrücksetzer der vergangenen Handelstage gezeigt haben. Ist ein Handelskrieg also schon eingepreist? Zumindest ist er keine Überraschung mehr. Das wäre – Stand jetzt – wohl eher eine Einigung zwischen den zerstrittenen Nationen. Crash-Propheten rechnen, wie könnte es anders sein, mit dem Schlimmsten. Zu Recht?  „Meistens ist die Ursache eines Börsenkrachs nicht objektive Überlegung, sondern ein massenpsychologisches Phänomen“, ergänzte Kostolany seinerzeit seine Aussage zu den Überraschungen. „Einer entdeckt irgendein Problem, so klein es auch sein mag, und das verbreitet sich wie ein Lauffeuer.“ Da stellt man sich unweigerlich die Frage: Könnte Trump mit seinen hitzigen Tweets einen Crash auslösen? „Da Herr Trump mit hoher Frequenz hitzige Tweets zu den unterschiedlichsten Themen veröffentlicht, hat es an der Börse einen gewissen Gewöhnungsprozess gegeben“, gibt DSW-Experte Tüngler vorsichtig Entwarnung. „Trotzdem bewerten die Marktteilnehmer natürlich genau, was der Inhalt des ein oder anderen Tweets für ihre Investments bedeuten könnte, wenn er denn zu 100 Prozent umgesetzt würde. Trump bewegt die Börse also durchaus, für einen Crash braucht es aber mehr als Tweets.“ Und Galler ergänzt, das Problem für die Märkte seien letztendlich nicht die Tweets selbst, sondern die tiefgreifenden Meinungsunterschiede zwischen den USA und China, die sie offenlegen würden. „Eine Nachricht, dass die Differenzen unüberbrückbar sind, könnte deshalb durchaus zu erheblichen Turbulenzen an den Märkten führen“, warnt der Kapitalmarktexperte.

Doch was heißt das für die kommenden Monate? Müssen Anleger jederzeit mit bösen Überraschungen und mehr oder weniger heftigen Kursrücksetzern rechnen? Tüngler erwartet, dass die Schwankungsbreite relativ hoch bleiben wird. Es dabei aber insgesamt aber wohl eher zur Seite gehen wird. „Die Börse hat schließlich einen Großteil der zurückgehenden Unternehmensgewinne bereits im vergangenen Jahr eingepreist“, sagt er. „Dass die Kurse heute deutlich über denen von Ende 2018 liegen, hat ja auch damit zu tun, dass es dann nicht so schlimm zu kommen scheint, wie die Marktteilnehmer ursprünglich erwartet hatten.“ Auch Galler erwartet in den kommenden Monaten keine Fortsetzung der Aktienrally. Das sei eher unwahrscheinlich.

„Dennoch sollten sich die Anleger bewusst sein, dass trotz aktueller zyklischer Unsicherheit die Aktienmärkte durch die anhaltend niedrigen Zinsen unterstützt werden“ sagt er. „Für den mittelfristigen bis langfristigen Anlageerfolg bleiben sie also ein unverzichtbarer Bestandteil des Portfolios.“ Und das gilt allen bösen oder auch guten Überraschungen zum Trotz.

Von Jessica Schwarzer

Titelfoto: a katz / Shutterstock.com

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