Hongkong stürzt Koalition und EU in Dilemma um China-Politik

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezieht selten in außenpolitischen Frage deutlich Stellung.

Doch am Sonntag warnte er Chinas Führung davor, dass es "eine nachhaltige negative Veränderung" in den Beziehungen zu Europa geben werde, wenn sich die Politik gegenüber Hongkong nicht ändere. Damit gibt er eine Meinung wieder, die nach Angaben aus Koalitionskreisen in der Bundesregierung vorherrscht. Aber die große Koalition befindet sich ebenso wie die EU im Konflikt, wie man mit der aufstrebenden Supermacht umgehen soll. In strittigen Fragen wie dem Mobilfunknetz 5G, Hongkong oder dem Vorgehen im südchinesischen Meer wird die Bundesregierung durch die USA oder die eigenen Reihen zu einer härteren Gangart gedrängt, was sie lieber vermeiden würde.

Die SPD-Fraktion fordert einen deutlich kritischeren Umgang mit Peking. SPD-Außenpolitiker Nils Schmid wirft Merkel sogar vor, dass sie einer überholten Vorstellung über das Verhältnis zu China anhänge. Dabei sei China längst ein "systemischer Rivale" geworden. In der Unionsfraktion gibt es um den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, eine Gruppe Parlamentarier, die vor allem bei 5G keine chinesischen Netzwerkausrüster wie Huawei zulassen wollen.

In der Regierung setzt sich der Konflikt fort - auch wegen des Drucks aus den Fraktionen, dass man die Einführung des Sicherheitsgesetzes in Hongkong und die drohende Aushebelung der Autonomie nicht unbeantwortet lassen dürfe. "Es kann nicht so sein, dass alles so bleibt, wie es ist", sagte auch Außenminister Heiko Maas nach den Beratungen mit seinen EU-Kollegen am Montag in Brüssel. Deutschland und Frankreich schlugen deshalb Maßnahmen vor, die aber von den EU-Mitgliedstaaten selbst umgesetzt werden müssten: Rüstungsexporte nach Hongkong sollen erschwert werden. Es soll mehr Stipendien-Programme für Studenten aus Hongkong geben. Und die EU-Staaten sollen die Einreise für Wissenschaftler und Künstler aus Hongkong erleichtern.

MAAS WILL AUSLIEFERUNGSABKOMMEN PRÜFEN

Daneben will Maas auch die nationalen Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen mit Hongkong prüfen lassen. "Wenn Völkerrechtsbrüche komplett ohne Konsequenzen bleiben, dann lädt das zu weiteren Regelverletzungen auf", warnte der Grünen-Außenpolitik Omid Nouripour. Ebenso wie sein CDU-Kollege Jürgen Hardt fordert er einen "großzügige-Visa-Politik" der EU-Staaten für die Menschen aus Hongkong.

Unter den 27 EU-Regierungen ist dies nicht unumstritten. Bei EU-Diplomaten gelten etwa Länder wie Ungarn oder Griechenland als kritisch, weil sie Peking wegen chinesischer Investitionen nicht verärgern wollen. In Berlin wiederum warnen Wirtschaftsminister Peter Altmaier, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und auch Kanzlerin Angela Merkel, trotz aller Kritik nun nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. "Es war immer die Politik der westlichen Staatengemeinschaft, auch der EU, dass internationale Handelsbeziehungen nicht allein daran ausgerichtet werden können, wie demokratisch ein Land ist", betont Altmaier.

Diese Haltung hat zwei Gründe: Zum einen verweist der Wirtschaftsminister darauf, dass auch frühere Bundesregierungen diese realpolitische Haltung eingenommen hätten - unabhängig davon, welche Partei regierte. Zum anderen gelten gerade angesichts des Wirtschaftseinbruchs in der Corona-Krise die Beziehungen zu China als wichtig. Im vergangenen Jahr wurden laut Statistischem Bundesamt Waren im Wert von 205,7 Milliarden Euro zwischen beiden Staaten gehandelt. Fast noch wichtiger: Während sich die Corona-Infektionen in den USA immer weiter ausbreiten, vermeldet China wieder ein Wirtschaftswachstum. Gerade deutsche Autokonzerne sind in hohem Maße vom wachsenden chinesischen Markt abhängig.

In der Regierung wird darauf verwiesen, dass China zwar innenpolitisch immer restriktiver auftrete und seine Interessen vor allem in Südostasien härter vertrete. Auf der Weltbühne verfolge es aber anders als die USA derzeit einen multilateralen Kurs, sei also Partner etwa beim Klimaschutzabkommen, dem Atomabkommen mit Iran, der Stärkung der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Welthandelsorganisation WTO - zumindest solange es dies auch im Interesse Peking sei. Die Bundesregierung will sich deshalb auf keinen Fall auf die von US-Präsident Donald Trump forcierte Abkoppelung von China einlassen. Die Entwicklung in Hongkong sei "besorgniserregend", sagte Merkel, fügte aber hinzu: "Das ist alles kein Grund, nicht weiter mit China im Gespräch zu bleiben."

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