Können US-Aktien steigen, während Amerika in Richtung Diktatur abrutscht?

Fool.de · Uhr

Es sind schockierende Bilder, die in den letzten Tagen live aus den USA in die Wohnzimmer der Welt ausgestrahlt werden. Das Regime in Washington hetzt die Nationalgarde auf friedliche Demonstranten* und droht den Gouverneuren — ohne ein Recht dazu zu haben — damit, schwer bewaffnetes Militär in ihre Staaten zu schicken. (*Nachtrag: gemeint ist die Protestkundgebung vom 1. Juni in Washington D.C. Nur dort kam bisher die Nationalgarde zum Einsatz.)

Man würde solche Szenen eher in Venezuela, Russland oder Saudi-Arabien erwarten. Andererseits hat es sich in den letzten vier Jahren abgezeichnet, dass Amerika zunehmend den Weg in die Autokratie geht, mit einem Präsidenten, dessen Sympathien den Diktatoren dieser Welt gehören.

Die USA stolpern von einer übertünchten Schuldenkrise, einer zunehmend spürbaren Klimakatastrophe und aggressiv geführten Handelskonflikten über die COVID-19-Rezession nun in eine gesellschaftlich-politisch kritische Lage. Bisher haben die großen Konzerne nichts von alledem gespürt. Viele Aktien haben im Mai neue Höchststände erreicht, als ob die Lage glänzend wäre.

Daher stellt sich für mich die Frage: Können US-Aktien aufblühen, während das Land in vielerlei Hinsicht geradezu den Bach runterzugehen scheint?

Kapitalismus braucht keine Demokratie

Dass Kapitalismus auch ohne Demokratie funktionieren kann, hat sich in der Geschichte immer wieder gezeigt. Beispiele in Südamerika zeigen, dass häufig die Unternehmenssteuern gesenkt, Gewerkschaften zurückgedrängt und monopolistische Strukturen geschaffen werden, die hohe Gewinne für Konzerne zur Folge haben, welche sich Regierung und Aktionäre auf die ein oder andere Weise teilen.

Auch China ist ein weiteres hervorragendes Beispiel dafür, dass es kein Mehrparteiensystem braucht, um ein erfolgreiches Wirtschaftssystem zu schaffen, das Investoren und Entrepreneuren dient.

Dass das Abdriften in Richtung Diktatur manchmal für fast alle Beteiligten einschneidende Nachteile zur Folge haben kann, zeigt besonders krass das Beispiel Venezuela. Für die Türkei hat es sich ebenfalls nicht gelohnt, den früheren fortschrittlichen Pfad zu verlassen. Der in Euro berechnete DJ Turkey Titans 20 Index hat sich über die letzten zehn Jahre mehr als halbiert.

Noch ist aber natürlich nicht klar, wohin die USA sich entwickeln. Es muss sich erst noch zeigen, ob Militär und Republikaner den antidemokratischen Weg wie bisher weiter mehrheitlich mitgehen oder ob sie sich doch irgendwann auf Besseres besinnen. Bisher ist es dem Land immer wieder gelungen, nach inneren Konflikten einigermaßen zusammenzufinden und die demokratischen Institutionen letztlich hochzuhalten.

Aber angenommen, der in weiten Teilen legitime Protest aus dem Volk radikalisiert sich weiter und der „Commander in Chief“ installiert eine Art Militärherrschaft. Sollte man dann US-Aktien halten?

Wichtige Aspekte, die man bedenken sollte

Erstens spielt es wie gesagt für Aktien keine große Rolle, wie stark die Demokratie eines Landes ausgeprägt ist. Wichtig sind Stabilität in der Geldpolitik, effiziente Prozesse — gerne mit enger Abstimmung zwischen Wirtschaft und Politik — und Platz für die unternehmerische Entfaltung. Die USA werden eine wirtschaftsfreundliche Nation bleiben und der Protektionismus führt zwar zu höheren Preisen für „den kleinen Mann“, aber er hilft den Margen der Konzerne und damit den Aktionären.

Es ist zweitens schwer vorstellbar, dass der gesellschaftliche Konflikt sehr lange anhält. Es gab in den letzten Jahren immer mal wieder Protestwellen, die schnell wieder abgeebbt sind, etwa gegen die freie Verfügbarkeit von Maschinengewehren oder die desaströse Klimapolitik. Die politischen Anstrengungen zur Absetzung des Präsidenten über ein Impeachment-Verfahren fanden ebenfalls nur flauen Rückhalt in der duldsamen Bevölkerung. Von daher ist davon auszugehen, dass es auch dieses Mal wieder schnell „back to business“ geht, unabhängig von der politischen Entwicklung.

Drittens wird Trump vielleicht einige Monate an der Seite von willigen Generälen den Law-and-Order-Mann geben können, aber am Wahltermin im November wird er nicht vorbeikommen. Die amerikanische Demokratie erträgt viele Misshandlungen, aber der Wahlprozess ist heilig. Von daher besteht eine gute Chance, dass der Spuk bis Ende des Jahres vorbei sein wird.

Eine andere Perspektive ist nötig

Insgesamt denke ich, dass allein aufgrund der gesellschaftlichen Konflikte und des Demokratieverfalls für Aktionäre kein direkter Handlungsbedarf besteht. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind im ersten Schritt nicht so groß und wenn du zuvor überzeugt warst, dass deine Favoriten gestärkt aus der Rezession herauskommen werden, dann besteht zunächst kaum Anlass, daran viel zu ändern.

Andererseits könnte es sich lohnen, sich das Gesamtbild ins Gedächtnis zu rufen. Die Proteste der letzten Tage könnten die Ansteckungsrate für COVID-19 in die Höhe getrieben haben und die Fähigkeit der oft klammen Einzelstaaten, wirksame Maßnahmen zur Beherrschung der Pandemie einzuleiten, hat sich nicht gerade verbessert. Dies bedeutet, dass die Coronakrise länger dauern wird, eine Schuldenkrise wahrscheinlicher wird und auch Mittel zur Bekämpfung der Klimakrise — mit all ihren furchtbaren und kostspieligen Folgen — fehlen werden.

Dass die Aktienkurse deshalb zurückgehen, wäre eine Möglichkeit. Eine andere wäre, dass der Dollar entwertet. Beides wäre für europäische Investoren schlecht. Ob man aufgrund dieser Szenarien besser verkauft oder einfach nach dem Motto „Augen zu und durch“ an seinen Werten festhält, hängt von vielen Faktoren ab. Wichtig ist, dass man nüchtern die komplizierte Lage analysiert und dann konsequent handelt.

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Ralf Anders besitzt keine der erwähnten Aktien.

Motley Fool Deutschland 2020

Foto: Getty Images

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