Kutzers Zwischenruf: Zwischen Konjunkturprognosen und Zinshoffnungen

Hermann Kutzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Es bleibt dabei: Die Börsen werden von Korrekturen der Konjunkturerwartungen und damit verbundenen Zinssenkungshoffnungen hin- und hergerissen. Selbst wenn die alles überschattenden geo- und wirtschaftspolitischen Entwicklungen sowie die Trump-Tweets einmal keinen Anlass für eiligen Ein- oder Ausstieg bieten, halten die Spekulationen über das Wirtschaftswachstum und die Geldpolitik den Aktienhandel in Atem. Der heutige Vormittag lieferte eine besondere Fülle Diskussionsstoff. Ergebnis: Einmal mehr nervöse Richtungswechsel von Süd nach Nord (ich nenne das Intraday-Kurszuckungen).

Zunächst hat das Ifo-Institut seine Prognose vom Frühjahr für das Wirtschaftswachstum 2019 in Höhe von 0,6 Prozent bestätigt. Die konjunkturelle Entwicklung ist gespalten. Das exportorientierte Verarbeitende Gewerbe, in dem etwa ein Viertel der Wertschöpfung erwirtschaftet wird, steckt in einer Rezession. Gleichzeitig verzeichnen die binnenorientierten Dienstleister und die Bauwirtschaft robuste und teilweise kräftige Zuwächse. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass sich die industrielle Schwäche allmählich über den Arbeitsmarkt und tiefe Wertschöpfungsketten auch auf die Binnenkonjunktur überträgt.

Später folgte die mit Spannung erwartete monatliche Umfrage des ZEW: „Starker Rückgang der Konjunkturerwartungen.“ Der Indikator ZEW-Konjunkturerwartungen ist um steile 19,0 Punkte auf minus 21,1 gestürzt (Der langfristige Durchschnitt der Konjunkturerwartungen beträgt plus 22,0 Punkte). Der Konjunkturausblick für Deutschland ist damit wieder ähnlich negativ wie im letzten Quartal 2018.

Zur rechten Zeit wurden deshalb die Inhalte einer Draghi-Rede bekannt - und von der Börse sehr wohlwollend aufgenommen: Die EZB wird aus Sicht des Notenbank-Chefs ihre Geldpolitik erneut lockern müssen, sollte die Inflation im Euro-Raum weiterhin nicht anziehen. Wenn keine Verbesserung eintrete, werde ein zusätzlicher geldpolitischer Anschub erforderlich sein, sagte Draghi am Dienstag auf dem EZB-Notenbankforum: “In den nächsten Wochen wird der EZB-Rat überlegen, wie unsere Instrumente entsprechend der Größe des Risikos für die Preisstabilität angepasst werden können.” Die Inflation im Euro-Raum bewegt sich wieder deutlich weg von der Zielmarke der Europäischen Zentralbank von knapp 2 Prozent. Im Mai legte die Teuerung lediglich um 1,2 Prozent zu.

Was bedeutet all das über den Tag hinaus für die Anleger? Vorläufig wird sich an den Rahmenbedingungen wohl wenig ändern: Konjunkturverlauf unsicher, Prognosen werden immer wieder korrigiert, aber die Notenbanken bleiben der wichtigste Rückhalt für die Börsen - die Fed mehr noch als die EZB. Und was Donald J. Trump tut, bleibt für die Märkte unberechenbar.

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