Nawalny nutzt Auftritt vor Gericht für Angriff gegen Putin

dpa-AFX · Uhr

MOSKAU (dpa-AFX) - Der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny hat erneut Russlands Präsident Wladimir Putin angegriffen. "Der nackte Kaiser will bis zum Ende regieren, er hat sich an die Macht geklammert", sagte der Oppositionelle am Donnerstag nach einem Bericht des unabhängigen Internetsenders Doschd in einem Berufungsverfahren vor Gericht. Wenn Putin weiter regiere, werde zu einem bereits "verlorenen Jahrzehnt ein gestohlenes Jahrzehnt" hinzukommen.

Das Gericht bestätigte erwartungsgemäß eine Entscheidung gegen Nawalny von Mitte Februar wegen Beleidigung eines Weltkriegsveteranen. Demnach muss der 44-Jährige 850 000 Rubel (rund 9400 Euro) Strafe zahlen - etwa das Doppelte eines durchschnittlichen Jahresgehalts in Russland. Seine Anwälte kündigten an, vor den Europäischen Menschengerichtshof zu ziehen.

Nawalny wurde zu der Verhandlung per Video aus dem Straflager zugeschaltet - wenige Tage, nachdem er seinen Hungerstreik auf Anraten der Ärzte abgebrochen hatte. Es waren die ersten Bilder überhaupt seit seiner Inhaftierung vor gut 100 Tagen.Die Live-Bilder auf den Fernsehmonitoren zeigten ihn abgemagert und mit kahl geschorenem Kopf. Im Gerichtssaal saß seine Frau Julia.

In seinem Schlusswort zeigte sich Nawalny gewohnt ironisch und sagte in Richtung Putin: "Ich möchte sagen, mein liebes Gericht, dass Ihr Kaiser nackt ist. Und nicht nur ein kleiner Junge schreit das herum, dass der Kaiser nackt ist." 20 Jahre völlig unfähiger Führung hätten zu diesem Ergebnis geführt: "Es gibt eine Krone, die über die Ohren rutscht. Es gibt tonnenweise Lügen im Fernsehen. Und es gibt natürlich ein riesiges persönliches Reichtum."

Hintergrund der Verurteilung war Nawalnys Kritik an einem Video, das das Staatsfernsehen im vergangenen Sommer ausgestrahlt hatte. Darin warben mehrere Bürger - auch ein 94-jähriger Veteran - für eine Verfassungsänderung, die der Sicherung von Putins Macht dient. Nawalny beschimpfte die Protagonisten auf Twitter damals als "Verräter". Das wurde ihm als Veteranenbeleidigung ausgelegt./cht/DP/mis

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