Nemetschek im Wirecard-Check: Alles sauber beim Disruptor des Bauwesens?

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Nemetschek Gebäude

Hat Nemetschek jetzt den Titel der größten deutschen Tech-Aktie übernommen? Wenn man Tech als softwaregetriebenes und schnell wachsendes Geschäftsmodell versteht, dann ist der TecDAX-Wert auf alle Fälle einer der Kandidaten. Grund genug, einmal genauer zu prüfen, ob die Nemetschek-Aktie diese Auszeichnung mehr verdienen würde als Wirecard.

Test 1: Wie verdient Nemetschek sein Geld?

Das Geschäftsmodell von Wirecard war für Außenstehende - und offenbar auch viele Experten - immer schwer zu verstehen. Die Basis stellen auf alle Fälle die digitalen Lösungen des Unternehmens dar, die Händler, Kunden und Banken verbinden. In schneller Folge wurden immer neuen Fintech-Initiativen ausgerollt und neue Partner hinzugezogen. Wirecard war angetreten, um die Bankenwelt und das Bezahlwesen auf den Kopf zu stellen.

Nemetschek hat ganz Ähnliches mit der Bauwirtschaft vor, die genauso konservativ wie die etablierten Finanzdienstleister unterwegs ist: „Seit über einem halben Jahrhundert treibt die Nemetschek Group die Digitalisierung der AEC-Industrie erfolgreich voran“, heißt der Claim, wobei AEC für Architektur, Bauingenieurwesen und Bau steht. Die Softwarelösungen des „weltweit führenden“ Konzerns decken dabei alles ab, von Planung und Design über das Projektmanagement bis hin zur Objektbetreuung.

Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit aller Beteiligten gefördert. Vor wenigen Tagen wurde ein „Paradigmenwechsel in der Bauindustrie“ angekündigt. Er soll eine nahtlose Zusammenarbeit zwischen Architekten, Statikern und Ingenieuren ermöglichen.

Wie bei Wirecard mangelt es auch Nemetschek nicht an großspurigen Versprechen. Allerdings spricht viel dafür, dass diese mit viel Substanz unterlegt ist. Nemetschek-Software genießt in der Branche hohes Ansehen und setzt vielfach den Standard, zum Beispiel was die Stichworte Open BIM und 5D-Planung angeht. Das erinnert mehr an SAP als an Wirecard, weshalb aus dieser Perspektive heraus keine Verdachtsmomente gegeben sind.

Test 2: Laufen Übernahmen sauber ab?

Ein wichtiges Element der rasend schnellen Expansion von Wirecard bestand aus der Übernahme von Wettbewerbern. Da bei jedem Deal jede Menge Berater, Banker und Juristen die Hände aufhalten und viel Geld fließt, sollten Aktionäre immer genau hinsehen.

Auch bei Nemetschek gehört das Ausschauhalten nach attraktiven Übernahmezielen zum Tagesgeschäft. Über die letzten Jahre ist der Konzern mit einer Rate von rund 20 % gewachsen. Über Zukäufe ist das Reich auf 16 Marken angewachsen. Zuletzt wurde im Mai die Übernahme von ADAPT gemeldet, einem amerikanischen Spezialisten zur Planung von Betonkonstruktionen. Im Vorjahr wurden zwei Unternehmen in die Tochter Maxon Computer integriert, wodurch Nemetschek seine Modellierungs- und Visualisierungskompetenz auf die Medien- und Unterhaltungsbranche mit Nachdruck ausweitet.

Nemetschek ist also sehr aktiv, wenn es um Akquisitionen geht. Das Gute dabei ist, dass es bei den einzelnen Deals fast immer um sinnvolle Ergänzungen des Portfolios geht und die bezahlten Preise vernünftig wirken. Lediglich der Kauf von Bluebeam für 100 Mio. US-Dollar im Jahr 2014 wurde von einigen Beobachtern als „teuer“ eingestuft. Allerdings nutzen heute nach Aussage der Tochter 1,9 Millionen Experten weltweit die Software.

Sie setzt den Standard in den USA und einer wachsenden Anzahl von internationalen Märkten, was die simple papierlose Zusammenarbeit zwischen verteilten Bauprojektteams in Echtzeit angeht. Die Software ist aktuell vom australischen Industrieverband als Bausoftware des Jahres nominiert worden und bekommt auf Bewertungsplattformen hervorragende Noten.

Ich kann nicht für jeden einzelnen Deal meine Hand ins Feuer legen, und bei einem so weitverzweigten Konzern ist nie auszuschließen, dass irgendwo nicht ganz sauber gearbeitet wird. Aber insgesamt spricht für mich alles dafür, dass Nemetschek sich an die Regeln hält und mit seiner Übernahmestrategie kontinuierlich Wert schafft für seine Aktionäre.

Test 3: Gibt es Widersprüche bei den Cashflows?

Ungereimtheiten in den Barmittelflüssen sind Alarmzeichen. Der operative Gewinn und die operativen Cashflows können durchaus einmal stärker abweichen, je nachdem, wie sich die Zahlungseingänge im Verhältnis zur Abgrenzung der Erträge und Kosten zeitlich entwickeln. Wirecard fiel zum Beispiel dadurch auf, dass solide Gewinne ausgewiesen wurden, aber die Barmittel trotzdem nie ausreichten.

Eine Analyse der Cashflow-Übersicht aus dem letzten Geschäftsbericht könnte uns folglich Hinweise darauf geben, ob auch Nemetschek möglicherweise mit Tricks arbeitet, die die Zahlen schönen oder die Steuerlast drücken. Ähnlich wie Wirecard bezahlt Nemetschek - im Vergleich zum Aktienkurs, wohlgemerkt - eine mickrige Dividende. Die Anhebung auf 28 Eurocent für das letzte Geschäftsjahr bedeutet gerade einmal eine Rendite von 0,4 %.

Zudem kann man sich Gedanken darüber machen, warum die Abschreibungen auf das Anlagevermögen in den letzten beiden Jahren etwa doppelt so hoch wie die Investitionen in Sachanlagen ausfielen. Oder warum die Veränderung der Bankverbindlichkeiten für Akquisitionen jeweils deutlich negativer war als die tatsächlichen Ausgaben für den Erwerb von Tochterunternehmen.

Letzteres lässt sich dadurch erklären, dass gleichzeitig ältere Darlehen getilgt werden mussten. Die erhöhten Abschreibungen wiederum haben erstens mit der Umstellung auf den neuen Rechnungslegungsstandard IFRS 16 zu tun und zweitens mit Kaufpreisallokationen, die bei Übernahmen über viele Jahre hinweg anfallen - für mich plausibel.

Erfreulich ist auch, dass das Vorsteuerergebnis nur unwesentlich vom operativen Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit abweicht. Das wirkt rund.

Test 4: Lassen sich verdächtige Bilanzpositionen entdecken?

Ebenso interessant ist ein kritischer Blick auf die Bilanz, wo Vermögen und Verbindlichkeiten gegenübergestellt werden, um daraus das Eigenkapital zu ermitteln. Bekanntlich gelang es Wirecard, 1,9 Mrd. Euro aus dem Nichts zu erschaffen. Manchmal steckt Betrug hinter so etwas und ein anderes Mal werden einfach die Bewertungsmaßstäbe etwas zu wohlwollend interpretiert, um Probleme zu vertuschen oder den Erfolg des Managements zu überzeichnen.

Zuerst schaue ich meist auf die Schulden. Die Finanzverbindlichkeiten sind mit 188 Mio. Euro relativ gering für ein hochprofitables Softwareunternehmen mit 557 Mio. Euro Umsatz, zumal die flüssigen Mittel 209 Mio. Euro ausmachen. Da braucht man sich wohl keine Sorgen zu machen.

Interessanter sind die immateriellen Vermögenswerte einschließlich Firmenwerte (Goodwill) und Nutzungsrechte. Sie summierten sich Ende 2019 auf 519 Mio. Euro, nach 346 Mio. Euro im Vorjahr. Bei einer Bilanzsumme von 857 Mio. Euro machen diese Posten satte 61 % aus. Sie übersteigen auch deutlich das ausgewiesene Eigenkapital in Höhe von 349 Mio. Euro. Falls diese Werte aufgebläht sein sollten, hätte Nemetschek vielleicht ein Problem.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, müssen wir den Geschäftsbericht studieren. Solche Werte müssen schließlich jährlich einem Werthaltigkeitstest unterzogen werden. Nemetschek widmet diesem Thema entsprechend mehrere Seiten und die Ausführungen erscheinen mir transparent und nachvollziehbar. Da dürfte nicht viel anbrennen.

Ergebnis: So sauber erscheint die Nemetschek-Aktie

Nachdem ich vor einigen Tagen Delivery Hero in die Mangel genommen habe und zu einem gemischten Ergebnis gekommen bin, habe ich hier nichts Substanzielles auszusetzen. Nemetschek mag ein schnell wachsender Softwarekonzern sein, wird jedoch grundsolide geführt. Die Marktposition ist stark und die regelmäßigen Übernahmen tragen in den meisten Fällen positiv zum Ergebnis bei.

Ob der ambitionierte Aktienkurs gerechtfertigt ist, darüber kann man streiten, aber ein Desaster wie bei Wirecard müssen Nemetschek-Aktionäre sicherlich nicht fürchten.

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Ralf Anders besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.

Motley Fool Deutschland 2020

Bild: Nemetschek

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