Ökonomen-Stimmen zur Inflation in Deutschland

dpa-AFX · Uhr

FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Inflation in Deutschland ist im Dezember auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren gestiegen. Die Verbraucherpreise legten gegenüber dem Vorjahresmonat überraschend um 5,3 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag nach einer ersten Schätzung mitteilte. Eine höhere Teuerungsrate war zuletzt im Juni 1992 mit damals 5,8 Prozent gemessen worden. Analysten hatten hingegen im Schnitt einen Rückgang der Rate von 5,2 Prozent im Vormonat auf 5,1 Prozent erwartet.

Die Europäische Zentralbank (EZB) verweist seit längerem auf coronabedingte Sondereffekte. Sie hat zwar einen Ausstieg aus ihren Anleihekäufen zur Stützung der Konjunktur eingeläutet. Eine Leitzinsanhebung in der Eurozone ist allerdings noch nicht in Sicht.

Ökonomenstimmen im Überblick:

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank

"Entgegen den Erwartungen ist die deutsche Inflationsrate im Dezember nicht gefallen, sondern weiter auf 5,3 Prozent gestiegen - obwohl sich Energie im Vergleich zum November verbilligte. Der unterliegende Preisdruck ist im Dezember überraschend hoch geblieben. Zwar sollte die Inflationsrate nach der Jahreswende wegen des Wegfalls von Sonderfaktoren sinken. Aber die Inflationsrisiken weisen klar nach oben. Es wird Zeit, dass die EZB den Fuß vom Gas nimmt."

Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank

"Die jüngsten Zahlen sind umso alarmierender, als wahrscheinlich mit dem Benzinpreis ein wesentlicher Preistreiber aus den Vormonaten gar nicht mehr die Ursache für die neuerliche Beschleunigung gewesen ist, sondern eher andere Preise wie etwa die für Dienstleistungen. Es besteht die Gefahr, dass die Inflation auch in Europa ein hartnäckiges Problem wird. Wenn sich diese Anzeichen im Laufe des Jahres verdichten, muss die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik straffen und auch Zinserhöhungen vorziehen."

Ulrike Kastens, Volkswirtin Europa von der DWS

"Insgesamt gehen wir davon aus, dass in Deutschland, aber auch in der Eurozone der Höhepunkt der Inflationsentwicklung im Dezember erreicht sein dürfte. Doch auf eine wirkliche spürbare Entlastung müssen die Verbraucher weiter warten. Nicht nur der hohe Ölpreis, sondern vor allem die drastisch gestiegenen Gas- und Strompreise zu Beginn des laufenden Jahres werden vor allem beim Verbraucher das Gefühl hinterlassen, dass alles sehr teuer geworden ist. Bei von uns erwarteten Inflationsraten von 3 bis 4 Prozent im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland ist dies sicherlich gerechtfertigt. Real bleibt da bei den Haushalten kaum etwas in der Tasche. Dies wird den Ruf nach deutlich steigenden Löhnen, nicht nur in Deutschland, weiter verstärken."

Michael Heise, Chefökonom HQ Trust

"Eine geldpolitische Wende wird angesichts dieser Zahlen dringlicher. Es ist zwar richtig, dass die Geldpolitik keine direkten Auswirkungen auf Energiepreise oder vorübergehende Preissteigerungen durch Angebotsengpässe hat, aber sie kann und sollte die mittelfristigen Preiserwartungen durch weniger Liquiditätszufuhr und Toleranz gegenüber leicht höheren Kapitalmarktrenditen stabilisieren. Sonst können sich inflationäre Prozesse verstärken."

Thomas Gitzel, Chefökonom VP-Bank:

"Die EZB dürfte den neuerlichen Anstieg der Inflationsrate im Dezember gelassen nehmen. Gerade aufgrund der vielfältigen Sondereffekte die im zweiten Jahr der Corona-Pandemie noch immer am Werk sind. Anders sähe es aus, wenn der Trendwechsel im Januar nicht vollzogen würde. In diesem Falle würden im Frankfurter EZB-Hochhaus wohl die Alarmglocken zu läuten beginnen."

Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment:

"Verantwortlich für das hohe Niveau sind zum einen Sonderfaktoren wie das niedrige Preisniveau im ersten Pandemiewinter, der Wegfall der zeitweisen Mehrwertsteuersenkung und die Ausweitung einer einheitlichen CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe. Die Schieflage zwischen knappem Angebot auf der einen und reger Nachfrage auf der anderen Seite hat die Preisdynamik im zurückliegenden Jahr ebenfalls befeuert. Dass Verbraucher angesichts eines weiter schwelenden Infektionsgeschehens ihren Konsumschwerpunkt von Dienstleistungen zu Gütern verschoben haben, trug auch zu den historisch hohen Inflationszahlen bei."

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