Parteiübergreifende Rufe nach neuen Corona-Auflagen
- von Andreas Rinke und Holger Hansen
Berlin (Reuters) - Bund und Länder bereiten neue Verschärfungen der Corona-Auflagen vor.
Zwar sanken laut Robert-Koch-Institut (RKI) die gemeldeten Neuinfektionen am Montag erneut. Aber angesichts der Sorge vor hochansteckenden Virus-Mutationen plädierten Gesundheitsminister Jens Spahn, Vizekanzler Olaf Scholz und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff für neue Beschlüsse bei dem Treffen von Kanzlerin Angela Merkel mit den 16 Ministerpräsidenten am Dienstag. Scholz sprach von einer möglichen Verlängerung der Corona-Auflagen von zwei Wochen, Spahn von einem Zeitraum von zwei bis vier Wochen. Nach Spahns Angaben sind dabei Ausgangssperren, mehr Druck auf Homeoffice sowie eine generelle FFP2-Maskenpflicht etwa im öffentlichen Nahverkehr im Gespräch.
Merkel und die Ministerpräsidenten kamen bereits am Montagabend in einer Schaltkonferenz zusammen, um von Wissenschaftlern Aufklärung über die Gefährlichkeit der Mutationen zu bekommen. Auf keinen Fall dürften sich die Mutationen so ausbreiten wie in Großbritannien und Irland, haben mehrere Regierungsmitglieder in den vergangenen Tagen betont. Die Kanzlerin hatte solche Expertengespräche bereits vor der letzten Bund-Länder-Runde angesetzt, um den Ministerpräsidenten die aus ihrer Sicht weiter große Dramatik der Lage deutlich zu machen. Bisher gilt der Lockdown mit der Schließung von Gastronomie, Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen bis Ende Januar.
Die Debatte um zusätzliche Maßnahmen wird allerdings dadurch komplizierter, dass das RKI derzeit sinkende Zahlen an Neuinfektionen meldet und auch die Zahl der Intensivpatienten in Krankenhäusern laut Spahn "um zehn bis 15 Prozent" gesunken ist. Die Kultusminister drängen deshalb in vielen Ländern darauf, dass es eine Öffnungsperspektive zumindest für Grundschulen geben müsse. Das RKI registrierte am Montag nach einigen Nachmeldungen rund 8800 neue Fälle, deutlich weniger als vor einer Woche.
"GEHT IN DIE RICHTIGE RICHTUNG"
Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Fallzahlen über eine Woche pro 100.000 Einwohner, sank laut RKI auf 134,4 von zuletzt 136. Sie geht damit zwar erneut zurück, ist aber immer noch weit von dem Zielwert von 50 entfernt, den Bund und Länder ausgegeben haben, um das Virus unter Kontrolle zu bringen und das Gesundheitssystem zu entlasten.
Das Kanzleramt dringt auf eine konsequentere Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen und punktuell auch auf Verschärfungen. Vizekanzler Scholz sprach sich für eine Verlängerung des Lockdowns bis etwa Mitte Februar aus. Es komme jetzt darauf an, die Kontakte weiter zu reduzieren. Gesundheitsminister Spahn wiederum sprach von einem Zeitraum von "zwei, drei, vielleicht vier Wochen", nachdem man hoffentlich Richtung Lockerungen gehen könne. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach forderte im "Vorwärts" sogar Ausgangssperren ab 20.00 Uhr.
Damit stößt Lauterbach aber auf den Widerstand einiger SPD-geführter Länder. Zu Ausgangssperren sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), er sei dagegen, "es verbindlich für alle zu regeln, auch für die, die niedrige Infektionszahlen haben". Eine Verschärfung privater Kontaktbeschränkungen lehne er ebenfalls ab. "Wir werden keine Verschärfung der Kontaktbeschränkungen vorschlagen", sagte auch der Chef der niedersächsischen Staatskanzlei, Jörg Mielke, laut "Handelsblatt". Eine Ausgangssperre finde keine Unterstützung aus Niedersachsen, dessen Inzidenzwert bei 97,4 liegt.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte an, die Regeln für den Corona-Schutz am Arbeitsplatz verschärfen und den Druck auf Arbeitgeber erhöhen zu wollen, mehr Homeoffice zu ermöglichen. Damit soll auch die Zahl der Nutzer im Öffentlichen Nahverkehr reduziert werden.
Die Wirtschaft warnte vor zu starke Eingriffen oder gar Betriebsschließungen, die allerdings nicht im Gespräch sind. "Wir hoffen, dass uns die Politik den Freiraum lässt, weil es volkswirtschaftlich gesehen der bessere Weg ist", sagte der Chef des baden-württembergischen Arbeitgeberverbandes Südwestmetall, Wilfried Porth. In den Betrieben seien alle Hygienemaßnahmen umgesetzt, ergänzte Porth, der zugleich Personalchef von Daimler ist. Auch Gewerkschaft und Metall-Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen warnten vor einem pauschalen Herunterfahren ganzer Betriebe oder Branchen. In den Betrieben würden Gesundheitsschutz und Hygiene hochgehalten, sie seien keine Corona-Hotspots, sagte IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler.
SPAHN VERPFLICHTET LABORE ZUR SUCHE NACH MUTATIONENGesundheitsminister Spahn stellte am Montag eine Verordnung zur Gensequenzierung vor. Ziel ist es, dass Labore künftig mindestens fünf Prozent der Positivproben auf Gen-Mutationen untersuchen. Wenn die täglichen Fallzahlen unter 10.000 sinken, soll der Anteil auf zehn Prozent steigen. Aus Sorge vor den Mutationen hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bereits am Sonntag Grenzkontrollen ins Spiel gebracht. Seit Montag gilt in Bayern zudem eine FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in allen Geschäften.
Auch Spahn fordert verstärkte Tests von Berufs- und Grenzpendlern. Es müsse verhindert werden, dass hochansteckende Virus-Varianten nach Deutschland hineingetragen würden, sagte der CDU-Politiker und verwies vor allem auf die Lage in Tschechien. In Bayern sollten Pendler bereits ab Montag getestet werden. Kanzlerin Merkel will am Donnerstag mit ihren EU-Kollegen über die Zusammenarbeit bei der Corona-Bekämpfung sprechen. Etliche Optionen bezüglich der Grenzen lägen auf dem Tisch, betonte das Innenministerium.