Technologieblase 2.0?

Stefan Riße · Uhr

Üblicherweise bilden sich Spekulationsmanien, wenn es der Wirtschaft gut geht, sie also wächst, neue Unternehmen aus dem Boden schießen und es viele Neuemissionen an der Börse gibt. Es gilt der alte Satz des 1999 verstorbenen „Börsengurus“ André Kostolany: Steigt die Börse, kommt das Publikum, fällt die Börse, geht das Publikum.

Daytrading als Zeitvertreib

In der Corona-Krise passieren viele Dinge, die meine Generation und selbst die Generation meiner Eltern noch nicht erlebt haben. Und erstmals entwickelt sich sogar in einer schweren Wirtschaftskrise eine Spekulationsmanie. Natürlich sind die Aktienkurse und insbesondere die der Technologiewerte in den USA zuletzt wieder stark gestiegen, aber es liegt ja keine lange Phase eines Bullenmarktes hinter uns, der dann noch die breite Bevölkerung anzieht und in der Milchmädchenhausse endet. Im Gegenteil, die wirtschaftlichen Umstände sind allen Menschen sehr bewusst, bewusster als in jeder Krise zuvor, weil der wirtschaftliche Stillstand in den Zeiten des Lockdowns so offenkundig zu spüren war. Das verordnete Home-Office und die fast vollständige Einschränkung jeglicher Freizeitaktivitäten wie Vereinssport, Fitness, Urlaub etc. ist wohl eher dafür verantwortlich, dass die Onlinebroker einen massiven Zustrom an Kunden und eine erheblich gestiegene Handelsaktivität erleben. Trading mit Aktien scheint eine Freizeitbeschäftigung geworden zu sein als Substitut für die vorher genannten Aktivitäten. Auch schaut im Home-Office der Chef ja nicht über die Schulter, wenn die Handelsplattform aufgerufen wird. Und so hat sich inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg ein Spekulationsboom entwickelt, der in Bezug auf das Interesse der Privatanleger an den Internetboom Ende der 90er Jahre erinnert. Damals stiegen alle Aktien, die irgendetwas mit Technologie zu tun hatten, bis im März 2000 die Blase platzte und eine langjährige Baisse bei diesen Werten begann.

Einige Modewerte von damals stehen auch heute im Fokus

Die Älteren werden sich noch erinnern, es gab in Deutschland um die Jahrtausendwende ein Börsensegment namens Neuer Markt. An ihm wurden alle jüngeren Technologieunternehmen gelistet. Vorweggenommen in den Kursen wurden der Trend zu mehr E-Commerce, zum digitalen Medienkonsum, die Zunahme des mobilen Internets und sogar der Durchmarsch der Biotechnologieunternehmen in der Medizin. Die Visionen waren gar nicht falsch. Eigentlich haben sie alle zugetroffen, doch die Aktienkurse nahmen zu der Zeit so viele Jahre des Wachstums in den einzelnen Bereichen vorweg, dass es zwangsläufig zwischendrin zu einer Korrektur kommen musste. Und damals wurde fast jedes Unternehmen hochgejubelt, das irgendeine Idee hatte, die man mit dem Internet verbinden konnte. Auch Unternehmen wie Amazon, Google oder auch eBay waren vor 20 Jahren schon die Renner. Wer sie damals kaufte, der ist trotz zwischenzeitlicher schmerzlicher Korrekturen heute erheblich reicher. Viele Unternehmen allerdings - ein Onlinebuchhändler nach dem anderen ging damals an die Börse - konnten sich nicht durchsetzen. Der Ausleseprozess, der heute hinter uns liegt, hat entschieden, wer welche Plattform dominiert. Die Gewinner sind also mithin bekannt. Insofern ist die Situation von heute mit der von damals nicht zu vergleichen.

Spekulationswut mahnt immer zur Vorsicht

Dennoch gibt es auch Parallelen zum Jahr 2000. Sieht man sich die Aktien von Tesla oder Beyond Meat an, dann kann man sich schon an die damaligen Mondbewertungen erinnert fühlen. Und es waren eben auch damals die Privatanleger, die das Marktgeschehen massiv mitbestimmten. Vor allem die Medien konzentrierten sich auf sie als dankbarer Abnehmer von Börseninformationen. Heute sind es die Communitys und die Börsenplattform Robinhood in den USA, auf der Anleger gratis mit Aktien handeln können. Und wir haben eine neue Generation von Börsianern, die offenbar wieder an unendliches Wachstum glaubt und die großen Technologiewerte in den USA auf immer neue Höhen treibt. Keine Frage, Unternehmen wie Amazon, Microsoft, Apple und Co. sind längst nicht so überbewertet wie damals. Ihre Marktstellung gleicht teilweise dem eines Monopols. Ihr Siegeszug dürfte mehr oder minder auch weitergehen, deshalb ist der Vergleich auch nicht angemessen. Die Erfahrung lehrt allerdings sehr deutlich: Wenn Privatanleger in hohem Ausmaß anfangen, Aktien zu kaufen oder bestimmte Gruppen von Aktien zu kaufen, ist der Markt häufig überreizt und anfällig für einen größeren Rückschlag. Denn geht es plötzlich in die andere Richtung, steigen sie auch ganz schnell wieder aus. Nach der Euphorie wird dann Panik ihr Begleiter.

Ein wenig Vorsicht ist daher angebracht. Und nicht alles was hochgejubelt wird, wird auch der Abräumer in seinem Segment.

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