Unternehmen sollen für Mindeststandards in Lieferketten haften

Reuters · Uhr

- von Holger Hansen und Christian Krämer und Markus Wacket

Berlin (Reuters) - In der Bundesregierung nimmt das Vorhaben Gestalt an, per Gesetz Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte in ihren Lieferketten zu verpflichten.

In diesem Ziel sähen sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) durch eine Überprüfung des Nationalen Aktionsplans (NAP) Wirtschaft und Menschenrechte bestätigt, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag aus Regierungskreisen. Die Minister wollten daher im August im Kabinett Eckpunkte für ein sogenanntes Sorgfaltspflichtengesetz auf den Weg bringen. Etwa 7300 Unternehmen mit über 500 Beschäftigten müssten demnach prüfen, ob sich ihre Geschäftsbeziehungen nachteilig auf die Menschenrechte auswirken, etwa durch Zwangs- und Kinderarbeit. Bei den Wirtschaftsverbänden stößt das Vorhaben auf Ablehnung.

In der Bundesregierung müssen der Arbeits- und der Entwicklungsminister noch um Zustimmung zu einer Gesetzesregelung werben. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) machte seine Vorbehalte deutlich. "Schnellschüsse verbieten sich bei so wichtigen Themen wie diesem", sagte eine Sprecherin des Ministers. Deutsche Firmen fühlten sich auch bei ihren Aktivitäten im Ausland der Achtung von Menschenrechten verpflichtet. "Das tun die allermeisten, Deutschland ist hier bereits Vorreiter in Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards."

NUR ETWA JEDES FÜNFTE UNTERNEHMEN ERFÜLLT SORGFALTSPFLICHT

Heil und Müller können sich jedoch auf den Koalitionsvertrag berufen. Darin haben Union und SPD vereinbart, dass sie "national gesetzlich tätig" werden, wenn eine Überprüfung des Nationalen Aktionsplans zu dem Ergebnis komme, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreiche.

Diesen Punkt sehen Heil und Müller nach Angaben aus Regierungskreisen nun erreicht. Sie berufen sich auf eine zweite Erhebung unter den betroffenen Unternehmen, deren Ergebnisse am Dienstag einem Interministeriellen Ausschuss übermittelt wurden, dem zehn Bundesministerien angehören. Veröffentlicht wurde der Befund noch nicht. Aus Regierungskreisen erfuhr Reuters, weitaus weniger als die Hälfte der Unternehmen setze die Anforderungen an die menschenrechtliche Sorgfalt in ihren Lieferketten angemessen um. Die zweite Erhebung bestätige weitgehend das Ergebnis der ersten Befragung im Jahr 2019, wonach nur knapp ein Fünftel (17 bis 19 Prozent) der Unternehmen darlegen konnte, dass sie die Anforderungen des NAP angemessen umsetzten.

ECKPUNKTE-ENTWURF SIEHT HAFTUNG VOR

Ein Reuters vorliegender früher Entwurf der geplanten Eckpunkte sieht eine Haftung der Unternehmen vor - allerdings "nur im Falle einer Beeinträchtigung, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar war". Es hafte nicht, "wenn das Angemessene im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten getan wurde". Unternehmen sollen beurteilen, ob sich ihre Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen nachteilig auf Menschenrechte auswirken. Dazu werden "relevante Risikofelder" benannt, darunter Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, aber auch Verstöße gegen den Arbeitsschutz, problematische Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschäden.

In der Wirtschaft stößt eine Gesetzesregelung auf Ablehnung, während Verbraucherverbände und Gewerkschaften diese fordern. Nach den Spitzenverbänden von Arbeitgebern, Industrie und Handeln erklärte der Bundesverband für Groß- und Außenhandel, ein Sorgfaltspflichtengesetz würde die kleinen und mittleren Unternehmen "an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen". Sie seien durch die Corona-Pandemie "schon genug gebeutelt".

Der Verbraucherzentrale Bundesverband forderte die Koalition dagegen auf, Wort zu halten. "Das Lieferkettengesetz muss kommen", erklärte der Verband. "Wenn die Mehrzahl der Unternehmen ihr Versprechen bricht, freiwillig gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung vorzugehen, ist eine Verpflichtung per Gesetz die einzig logische Konsequenz." Die Gewerkschaft Verdi und Gesamtbetriebsräte verschiedenen Textilketten erklärten, es seien "rechtsverbindliche Gesetze" erforderlich, um die Rechte von Beschäftigten und die Menschenrechte zu sichern.

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