Versprochen? Gebrochen!

HANDELSBLATT · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Zwei Euro – das ist nicht viel. Doch um diesen Betrag pro Kind und Monat sollte das Kindergeld noch dieses Jahr erhöht werden. Lange haben die Parteien um das Kindergeld gestritten, denn eigentlich ist es keinem der Koalitionspartner hoch genug. Die CDU war mit einer großen Tüte voller Wahlgeschenke in den Wahlkampf gezogen, darunter auch eine angekündigte Kindergeld-Erhöhung von 35 Euro. Und auch die SPD wollte mehr Geld für Kinder – wenn auch in gestaffelter Form.

Doch nun wird wohl erst einmal nichts aus den vollmundigen Versprechen. Auch nicht aus der entsprechend geplanten Erhöhung des Kinderzuschlags, der vom Staat an Familien gezahlt wird, die neben ihrem eigenen Einkommen noch auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Laut „Süddeutscher Zeitung“ denkt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) darüber nach, das Kindergeld erst 2016 zu erhöhen. Denn Schäuble hat ein Ziel: Er will einen ausgeglichenen Haushalt.

„Es geht nicht darum, ob es eine Kindergelderhöhung gibt. Die wird es selbstverständlich geben“, wiegelt die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, ab. Doch es sei berechtigt zu fragen, ob es nicht sinnvoller sei, die Erhöhung lieber im kommenden Jahr im größeren Umfang wirksam werden zu lassen. Das würde dann auch eine Anhebung des Kinderzuschlages beinhalten.

Die Grünen halten die Argumentation für nicht stichhaltig und werfen der Bundesregierung Wortbruch vor. „Diese Große Koalition wird als Verschiebe-Regierung in die Geschichte eingehen“, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, Handelsblatt Online. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mache sich einen „schlanken Fuß“. „Statt den Haushalt etwa durch die Streichung von Subventionen zukunftsfähig zu machen und die eigenen Projekte zu finanzieren, werden Versprechen wie das Kindergeld oder die Entlastung der Kommunen der nächsten Regierung aufgebürdet.“

Aus Sicht des FDP-Präsidiumsmitglieds Volker Wissing zeigt die Regierungspolitik sogar deutlich, „dass die Große Koalition keinen gemeinsamen Kurs für das Land hat“. „Dringende Zukunftsaufgaben werden nicht nur nicht angepackt, sondern bereits erreichte Reformen zurückgenommen“, sagte Wissing Handelsblatt Online. „Wir haben eine Bundesregierung, die trotz Rekordbeschäftigung und trotz Rekordsteuereinnahmen in die Sozialkassen greifen muss, um den Haushalt überhaupt nur auszugleichen, von einer Schuldentilgung ist schon gar keine Rede mehr.“ Die Große Koalition stehe für „große politische Anspruchslosigkeit“, unterstrich der FDP-Politiker. „Seit der Bundestagswahl ist alles schlechter geworden.“

Gemogelt und verschoben

Das Kindergeld ist nicht das einzige Versprechen der Großen Koalition, dass sich kurzfristig in Luft auflösen hat oder auf die lange Bank geschoben wurde. Die zuständige Ministerin Andrea Nahles (SPD) begeht sogar nachweislich einen klaren Wortbruch. Kurz vor der Wahl warnte sie noch vor einer höheren Mütterrente, falls diese aus der Rentenkasse finanziert würde. Nun ist aber genau dieser Fall eingetreten.

Nach geltendem Recht hätte der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung von 18,9 auf 18,3 Prozent des Bruttolohns gesenkt werden müssen. Die Konjunktur läuft, das sorgt für Überschüsse in der Rentenkasse. Doch diese vorgegebene Senkung hat die Regierung verhindert, um die Mütterrente oder die Rente mit 63 bezahlen zu liefern. Das Gesetz dazu stammt aus dem Nahles-Ministerium, das damit eine Entlastung der Beitragszahler um sechs Milliarden Euro vereitelt.

Oder das Thema Oppositionsrechte: Grüne und Linke stellen im Bundestag nur rund 20 Prozent der Abgeordneten. Damit kann die Opposition für viele Rechte nicht die erforderlichen Quoren aufbringen. Doch selbst die Regierung ist da auf Seiten von Linken und Grünen: SPD-Chef Sigmar Gabriel fiel jüngst ein, dass eine Opposition unter 25 Prozent zur lahmen Ente zu werden drohe. Er versprach deshalb: „Wir werden der Opposition mehr Rechte zugestehen, nicht als Gönnergeste, sondern als Herzensangelegenheit für die Demokratie.“

Doch noch ist nichts Konkretes vereinbart. Linkspartei und Grüne können bislang nicht aus eigener Kraft einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Damit wird der Fall Edathy zu Nagelprobe. „Für uns wird das ein Prüfstein, ob es mit den Bekenntnissen zur Wahrung der Oppositionsrechte ernst ist“, sagte Linke-Chef Bernd Riexinger.

Arme Lebensversicherer

Die Große Koalition will auch die Lebensversicherungen reformieren. Da liegt vor allem an den niedrigen Zinsen. Bei der Reform geht es vor allem um Bewertungsreserven auf Staatsanleihen und andere festverzinsliche Wertpapiere. Die müssen die Lebensversicherer zur Hälfte an die Kunden ausschütten, obwohl sie nur durch die Niedrigzinsphase und nur auf dem Papier entstehen. Bis zum Ende der Laufzeit der Wertpapiere sinken sie wieder auf null. Das Geld kommt also nur jenen Kunden zu Gute, deren Verträge jetzt auslaufen oder die kündigen. Das setzt die Versicherer unter Druck.

Mit einem Maßnahmenpaket will die Regierung den Anbietern entgegen kommen. Doch prompt hagelt es Kritik: Es seinen nicht die Versicherer, die Hilfe bräuchten, sondern die Kunden, sagte der Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein. Und die FDP hackt auf der SPD herum: Noch im vergangenen Jahr, in der Opposition, habe die Partei eine Reform der „Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven als Klientelpolitik gegeißelt“, sagt FDP-Präsidiumsmitglied Volker Wissing. Doch nun bringe sie sie gemeinsam mit der Union auf den Weg.

Familienfreundlich? Aber nicht so

Dann gab es da noch mal den Vorstoß von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD). Die wollte nämlich die Familienarbeitszeit einführen: eine 32-Stunden-Woche für Eltern und dafür einen Teil des Lohnausfalls aus Steuermitteln finanzieren. Doch schnell wurde klar: Kanzlerin Merkel will nicht. Dabei steht im Koalitionsvertrag: „Familienfreundlichkeit verankern wir als Leitprinzip der Gesetzgebung.“ Auch in anderen Teilen des Koalitionsvertrags lassen sich Passagen zur Familienfreundlichkeit finden. Beispiel öffentlicher Dienst: „Zur Sicherung der Fachkräftebasis und zur Gewinnung qualifizierten Nachwuchses brauchen wir eine demografievorsorgende Stellen- und Personalpolitik, moderne, attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen sowie partnerschaftliche Personalvertretungen.“ Doch eben nicht so wie von Schwesig vorgeschlagen. Neue Ideen gibt es bisher nicht.

Mogelpackung Genmais

„Wir erkennen die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerung gegenüber der grünen Gentechnik an“, heißt es im Koalitionsvertrag. Und tatsächlich sind die Vorbehalte groß: 73 Prozent der Westdeutschen und 63 Prozent der Ostdeutschen wollen laut einer Forsa-Umfrage keine Gentechnik in der Landwirtschaft. Denn den Deutschen sind die Risiken zu groß. Also wurde der Bürgerwillen mit in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Zugegeben: Dort steht nicht: Wir werden nach den Wünschen der Bürger handeln. Doch wozu sonst sollte eine solche Passage festhalten gehalten werden?

„Wir wollen den Anbau dieser neuen Sorte Pioneer 1507 in Deutschland nicht haben“, machte der der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) klar. Kurz danach musste er in Brüssel über genau die Zulassung dieser Genmais-Sorte abstimmen – und enthielt sich. Doch diese Enthaltung hat schwerwiegende Folgen. Denn nun wird die Entscheidung an die EU-Kommission weitergereicht. Der zuständige EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg gilt als Befürworter.

Für dieses „Jein“ gibt es einen Grund: Die zerrissene Koalition. Denn während die CSU und SPD-Minister gegen die Einführung sind, ist die CDU dafür. Das Ergebnis: ein „Jein“; das jedoch ein „Ja“ im Gepäck hat. Versprochen war etwas anderes.

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