Warum Wachstum beim Investieren eine viel größere Rolle spielt als Bewertung und Profitabilität

Bernd Schmid · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Vermutlich jeder langfristig orientierte Anleger kann eine Geschichte von einer besonders erfolgreichen Investition erzählen. Bei mir ist das bis jetzt noch der Elektroautopionier Tesla. Die Aktie habe ich im Jahr 2011 und 2012 bei einer Marktkapitalisierung von 4 Milliarden US Dollar in mein Portfolio aufgenommen und zu einer der größten Positionen aufgebaut (damals war mein Portfolio noch sehr klein im Verhältnis zu meinem Einkommen).

Im Jahr 2013 stand Tesla (wieder einmal) ein paar Tage vor dem Bankrott. Die ganzen Vorreservierungen für das gerade in die Produktion gegangene Model S wurden nicht in Bestellungen umgewandelt. Während Tesla also weiter fleißig Kapital in den Ausbau der Produktion und der Service- und Supercharger Netzwerke fließen ließ, kam kaum frisches Kapital in das Unernehmen und man hatte nicht mehr so viel Geld auf dem Konto.

CEO Elon Musk soll damals praktisch das ganze Unternehmen dazu gebracht haben, die Potentiellen Kunden anzurufen, die bereits Fahrzeuge reserviert aber noch nicht bestellt hatten. Dem Unternehmen gelang es, einen Großteil der Reservierungen tatsächlich zu konvertieren. Die Absatzzahlen in dem Quartal waren großartig, die Aktie versechsfachte sich fast in wenigen Monaten und ich realisierte einen Großteil meiner Gewinne.

Dieser Fall war Glück, über lange Zeiträume geschieht so etwas jedoch regelmäßig

Solche Geschichten passieren nicht sehr häufig in dieser kurzen Dauer. Das war pures Glück. Über längere Zeiträume passieren solche Geschichten jedoch relativ regelmäßig. Fast zu jeder Zeit kann man Unternehmen finden, auf die man in 20 Jahren zurückblicken und ähnliche Geschichten erzählen kann.

Das sind dann die Unternehmen, die für einen Investor den großen Unterschied gemacht haben werden. Denn das Pareto Prinzip gilt beim Investieren noch mehr als sonst irgendwo: Am Ende werden nur ein paar wenige Investitionen für den Großteil der Gewinne verantwortlich sein.

Bei dem Mitgründer meines Arbeitgebers The Motley Fool, David Gardner, ist es zum Beispiel nur eine mittlere einstellige Prozentzahl seiner Investitionen, die für den größten Teil seiner weit überdurchschnittlichen Performance verantworlich sind.

Das klingt außergewöhnlich. Ist aber logisch. Denn über lange Zeiträume in die besten Unternehmen investiert findet sich fast zwangsläufig das eine oder andere, dessen Aktie sich verhundertfacht – wenn man nur dabei bleibt. Das geschieht selbstverständlich nicht über Nacht. Aber über zwei bis vier Jahrzehnte ist das gar nicht so außergewöhnlich, wie es klingt.

Aber es sind eben nur ein paar wenige Unternehmen, denen das gelingt. Und die Gewinne einer solchen Investition stecken dann die paar Verdoppler, Verfünffacher und Verzehnfacher locker in den Schatten.

So findet man solche Unternehmen

Was man herausfindet, wenn man diese großen Gewinner analysiert: Die Rendite dieser Investitionen entspricht immer in etwa dem durchschnittlichen Wachstum über den Zeitraum.

Wirecard zum Beispiel ist laut S&P Global Market Intelligence in den letzten 15 Jahren um 27 % im Umsatz gewachsen. Die Aktie hat in demselben Zeitraum ebenfalls eine Rendite von 27 % pro Jahr gebracht.

Bei Amazon sind es über denselben Zeitraum ein Umsatzwachstum von 25 % und eine Rendite von 31 %. Netflix hat seit seinem IPO ein Umsatzwachstum von 36 % an den Tag gelegt. Die Aktie hat eine Rendite von 38 % gebracht. Starbucks seit seinem IPO: 25 % vs. 24 %.

Das Umsatzwachstum erklärt also über längere Zeiträume praktisch die gesamte Rendite. Viel weniger wichtig ist dabei, zu welcher Bewertung man ein Unternehmen einkauft oder wie gut dessen Profitabilität sich entwickelt.

Das ist erst einmal kontraintuitiv. Denn wenn sich die Bewertung eines Unternehmens über Nacht halbiert, dann halbiert sich doch auch der Aktienkurs. Oder wenn sich der Gewinn auf einmal verdoppelt, sollte das Unternehmen nicht in etwa doppelt so viel Wert sein?

Das ist auch so. Und über kurze Zeiträume spielen diese Faktoren auch eine größere und teilweise die größere Rolle.

Eine Verdoppelung der Bewertung über fünf Jahre käme ceteris paribus einer jährlichen Rendite von 15 % gleich, eine Halbierung des Gewinns über 3 Jahre -21 %.

Über lange Zeiträume sieht das jedoch anders aus. Über 10 Jahre gesehen entsprächen beide Zahlen nur noch plus bzw. minus 7 %.

Kommt noch dazu, dass ein Unternehmen seine Profitabilität nur begrenzt verbessern kann. Eine operative Marge von 10 % lässt sich theoretisch nicht mehr als 3 mal verdoppeln. Der Umsatz? Das hängt vom Markt ab. Amazon hat seinen Umsatz seit seinem IPO 17 mal verdoppelt, Netflix 14 mal und Wirecard in den letzten 15 Jahren 11 Mal.

Der Zeithorizont macht den Unterschied

Diese Anzahl an Verdopplung erreicht ein Unternehmen nicht übernacht. Ganzh im Gegensatz zu Gewinnhalbierungen oder Bewertungsverdopplungen – so etwas kann durchaus über Nacht geschehen. Besonders letzteres. Denn das Sentiment zu einem Unternehmen kann sich schlagartig verändern.

Außerdem sind diese Dinge in der Regel weniger einschätzbar als das mögliche Umsatzwachstum eines Unternehmens. Sicherlich wird man auch hier, außer durch pures Glück, niemals genau richtig liegen können.

Aber wenn ein Unternehmen in einem Markt tätig ist, von dem man ein zweistelliges Wachstum erwartet, und man erwartet, dass dieses Unternehmen Marktanteile gewinnen kann, dann kann man schon eine fundierte Einschätzung treffen. Genauso bei einem Unternehmen mit einem Marktanteil von 50 % in einem Markt, der nicht schneller wachsen wird als das Bruttoinlandsprodukt.

Welches beider Unternehmen ist die bessere Investition?

Das kommt auf den Zeithorizont an. Jemand, der nur auf zwei bis drei Jahre investiert, der könnte auf das zweite Unternehmen setzen wollen. Dann gehört jedoch oft mehr Glück dazu als beim Investieren auf Sicht von 10 oder 20 Jahren.

Zwar lässt sich die Zukunft über lange Zeiträume noch weniger vorhersagen als über kurze Zeiträume. Aber ist es nicht einfacher, heute zum Beispiel einzuschätzen, wie stark ein Starbucks über die nächsten 10 Jahr weiter wachsen kann, als einzuschätzen, welche Gewinnmargen BMW in 5 Jahren haben wird?

Die Aktien beider Unternehmen könnten dieselben Renditen bringen. Bei BMW müssten dafür jedoch ganz andere Dinge geschehen als bei Starbucks, während eines davon zuverlässiger abschätzbar ist als das andere.

Offenlegung: Bernd Schmid besitzt Aktien von Amazon, Netflix, Starbucks und Tesla. The Motley Fool besitzt und empfiehlt Amazon, Netflix, Starbucks und Tesla.

Foto: patpitchaya / Shutterstock.com


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