Ist die EZB am Ende ihrer geldpolitischen Möglichkeiten?

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Bruderschaft der internationalen Notenbanken hat seit der Immobilienkrise 2008 und in Europa nach der Finanzkrise ab 2010 alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Finanzwelt vor dem Ruin zu retten. Auch die EZB hat mittlerweile den Leitzins abgeschafft. Und das Niederregnen von Zentralbankgeld, mit dem Mario Draghi Staatspapiere aufkauft, erinnert an tropische Wolkenbrüche.

Die EZB hat erfolgreich gegen die Herrschaft der Staatsanleihekrise geputscht

Da stellt sich die Frage, ob die EZB in ihrem Tun erfolgreich war, ob sie einen guten Job gemacht hat. Auf den ersten Blick könnte man mit Ja antworten. Durch die geldpolitische Drückung der Schuldzinsen sind in vielen Euro-Ländern die Renditen der Staatspapiere sogar unter den Meeresspiegel, unter null gefallen. Die Bedienung der Staatsschulden ist ohne teure Zinsen und den unangenehmen Zinseszinseffekt wieder locker zu leisten. Also ein Happy End wie im Märchen? Leider sagt der zweite Blick Nein . Denn es ist eher ein Alptraum. Die EZB hat an den Anleihemärkten die Marktwirtschaft abgeschafft und Planwirtschaft eingeführt. Die Preisfeststellung von Staats- und mittlerweile auch Unternehmensanleihen orientiert sich nicht mehr an so profanen Dingen wie Bonität, nationale Reformpolitik oder Unternehmenserfolg, sondern nur noch am dicken Portemonnaie der Notenbank. Honecker hätte sich über so viel Neo-Sozialismus bei einer westlichen Notenbank gefreut. Er würde argumentieren, dass er es immer gewusst hat: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Die Angst vor einer neuen Euro-Finanzkrise ist so groß, dass man die Zinsen ins Gefängnis gesteckt hat. Sie können nicht fliehen im Sinne von steigen. Nicht zuletzt soll sich damit ein Staat wie Italien günstig refinanzieren können, um schwindsüchtigen italienischen Banken den Kapital-Rollator zur Verfügung zu stellen.

Die alte Bankenkrise ist tot, es lebe die neue

Leider finden Banken die finanzpolitische Happy Hour eines zinslosen Kapitalismus überhaupt nicht lustig. Dadurch geht den Banken ihr früheres Brot und Butter-Geschäft verloren: Das Zinsgeschäft - Geld günstig bei der Notenbank aufnehmen und zu höheren Konditionen als Kredit ausleihen oder grundsätzlich über Zinserträge - ist ausgetrocknet wie eine Regenpfütze nach sommerlicher Hitze. Die letzten Geschäftsabschlüsse der Banken dokumentieren diese verheerende Entwicklung prägnant. Die eurozonalen Banken sind ausgerechnet durch die geldpolitische Barmherzigkeit Mario Draghis in die Ertragskrise geraten. Darüber kann auch ein geschönter Bankenstresstest der EZB in der Eurozone nicht hinwegtäuschen. Von vornherein war doch klar, dass er keine bösen Botschaften vermitteln sollte. Ein hartes Deflationsszenario in Europa hatte man vermieden und ein zahmes gewählt, um das geneigte Finanzpublikum bloß nicht zu verunsichern. Leider hat damit der Bankentest nur die Qualität einer Fahrtüchtigkeitsprüfung eines Gebrauchtwagens, der lediglich darin besteht, das Auto im ersten Gang vom Gelände des Händlers zu fahren.

Zu Risiken und Nebenwirkungen der EZB-Rettung fragen Sie die Rendite Ihres Sparbuchs, Ihres Festgelds oder Ihrer Staatsanleihe

Durch den wegfallenden Zinseszinseffekt ist auch den Sparern das Lachen vergangen. Denn immer noch basiert die Altersvorsorge der Deutschen zu über 75 Prozent auf Zinsanlagen. Damit wird sie zu einer tickenden Zeitbombe. Nicht umsonst fordert die Bundesbank zur Sicherung des Niveaus der Alterssicherung die Rente erst mit 69. Die heute noch sehr junge Generation kann sich schon einmal darauf einstellen, später erst ab 75 in Vorruhestand gehen zu können. Ansonsten heißt es: Unsere Nachkommen haben kein Auskommen mit ihrem Einkommen. Insgesamt wird die geldpolitische Rettung der Finanzmärkte mit hohen Kollateralschäden bei Banken und Anlegern erkauft.

Die Konjunktur reagiert auf die Geldpolitik der EZB wie der Hund auf vegetarische Kost

Und wie ist der Erfolg der EZB in der Realwirtschaft und bei der Bekämpfung der chronischen Deflation zu bewerten? Alles andere als olympisch, noch nicht einmal Kreisklassenniveau. Selbst die Jubelkommentare über Spaniens Wirtschaft sollten genossen werden wie heiße Brühe, nur mit Vorsicht. Zu unterscheiden ist nämlich zwischen relativ und absolut. Sicher, durch den zuletzt boomenden Tourismus ist es zu großen Basiseffekten, sprich hohen Wachstumsraten gekommen. Dennoch, dies ist vergleichbar mit einem spanischen Restaurant, das durch eine krisenhafte Konsumstimmung im Durchschnitt nur noch eine Paella am Tag verkauft. Durch das Verirren eines Touristen verkauft das Restaurant an einem Tag auf einmal zwei Paellas. Relativ ist das zwar ein Umsatzwachstum von 100 Prozent, das aber absolut betrachtet nicht ausreicht, das Restaurants am Leben zu erhalten.

Die EZB wird extraordinär

Vor diesem Hintergrund ist es für die EZB wirkungslos, den Leitzins noch weiter zu senken. Ginge die EZB unter null würden sich für Banken die Ertrags- und für Sparer die Anlageprobleme noch vergrößern. Genauso wenig Sinn macht es, noch mehr Anleiheaufkaufprogramme aufzulegen. Die Wirksamkeit der bisherigen Programme ist verpufft, bevor es konjunkturell überhaupt Peng gemacht hat. Wer in Europa bis jetzt keinen Kredit zu den aktuellen Schlaraffenland-Konditionen haben will, will es auch nicht bei 0,2 Prozentpunkten Kreditzins weniger. Dazu fehlt den europäischen Wirtschaftsstandorten einfach der reform- und investitionsfreundliche Nährboden, die blühenden Landschaften. Man kommt ja auch nicht auf die Idee, Wassermelonen in der Wüste anzubauen. Im Übrigen, Kapital schwache Banken denken zu allerletzt an neue Kredite, die sie mit neuem Eigenkapital unterlegen müssen. Bezogen auf die normalen Werkzeuge hat die EZB also - Neu-Deutsch formuliert - geloost . Daher rücken jetzt immer mehr neue Instrumente in den Mittelpunkt. Ein bisschen Konjunkturbelebung tut nicht zuletzt dem sozialen Wohlbefinden gut und wirkt so dem Abgleiten der Wähler in extreme Lager entgegen.

Helikopter-Geld als ultima ratio

Grundsätzlich muss die Geldpolitik ihre realwirtschaftliche Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Sie muss die Deflation beenden, ansonsten gilt sie in der Einschätzung der Finanzmärkte irgendwann als lahme Ente. Welche Pfeile hat die EZB also noch im Köcher, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln? Wenn alle, wirklich alle Stricke reißen, wird man zwar an Helikopter-Geld denken, bei der sprichwörtlich Säcke an Geld-Gutscheinen vor den Haustüren der Konsumenten mit der Bedingung abgeworfen werden, dieses zügig in einem bestimmten Zeitraum auszugeben, da sie ansonsten verfallen. Diesen Gefallen würde sicherlich jeder der EZB tun. Doch verursachten diese Maßnahme Abhängigkeiten wie bei Drogensüchtigen. Die volkswirtschaftlichen Akteure würden sich daran gewöhnen und bei jedem konjunkturellen Problem den nächsten Geldabwurf vom Helikopter erwarten. Dieses Freibier für alle würde dem Müßiggang und der Zerstörung des Leistungsprinzips Tür und Tor öffnen, die man nicht mehr schließen könnte. Überhaupt, wenn eine Notenbank, die gemäß ihrem Auftrag, den Wert von Geld schützen soll, dieses einfach so verschenkt, ist nicht zu erwarten, dass Geld seinen Wert behält. An seine Stelle könnten irgendwann Gold und Realtausch treten und dann hat Geld erst recht als Währung ausgedient.

New Deal - Die EZB wird zum direkten Staatsfinanzierer

Die EZB wird eine andere, aber ebenso ungewöhnliche Strategie verfolgen. Sie wird zum direkten big spender der Euro-Staaten und ihrer konjunkturfördernden Wirtschaftspolitik. Infrastruktur- und Bildungsmaßnahmen, Steuersenkungspakete und Haushaltslöcher werden von der EZB ohne Umweg über aufmerksame Finanzmärkte, auf direktem Weg, fast unmerklich finanziert. Man kann jetzt mit Recht einwenden, dass diese Maßnahmen völlig außerhalb des Mandats der EZB sind. Doch zeigte Europa bislang wenig Skrupel bei Regelverletzungen. Warum sollte man also die Regel der Regelverletzung brechen? Ich bin mir sicher, was die Politiker der so begünstigten Staaten hinter vorgehaltener Hand denken: Der konjunkturelle Zweck heiligt alle geldpolitischen Mittel. Die EZB ist am Ende ihrer konventionellen Möglichkeiten, aber erst am Anfang ihrer unkonventionellen Mittel. Sie glauben das nicht. Stimmt, niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen

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