Schlechte Zeiten, goldene Zeiten

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo Leute! Seit dem Sonnenauftakt vom vergangenen Freitag schmeckt mir nix mehr. Selten ist mir ein politisches Ereignis so auf den Magen geschlagen wie der Brexit. Und ich stehe kurz davor, meinen Optimismus-Mantel auszuziehen, um ihn in die Tonne zu schmeißen. Mutiert der olle Börsenfuchs etwa zum Skeptiker? Nee, noch ist es nicht soweit. Und ich werde altersbedingt auch nicht mehr auswandern. Wäre ich 20, 30 Jahre jünger, dann würde ich hier abhauen. Nicht nach Ami-Land, ob mit oder ohne einen Politkomiker wie Donald Trump, aber vielleicht nach Kanada - dort wird gerade beim Lieblingsresort gebaut.

Europa, wo ich mich bisher so wohlgefühlt habe, wird zum Auslaufmodell. Und wenn wir nicht doch noch die Kurve kriegen, werden wir nicht nur die politischen Folgen zu spüren kriegen, sondern auch die wirtschaftlichen. Entscheidend ist, das Volk murrt und ist nicht mehr bereit nur zuzuschauen. Irgendwo hat ein kluger Volkswirt am Wochenende geschrieben „Europa braucht eine Reform“. Jo. Aber es geht nicht um eine einzige gesamtmäßige Neuorientierung, sondern um viele, viele einzelne Maßnahmen. Und bis die europa-harmonisch beschlossen werden können, wird viel Zeit vergehen - vielleicht zu viel. Aber an dieser Stelle kein Jammern, sondern ein Blick auf die Märkte.

Es hat ein Börsen-Beben gegeben (es hätte ein noch Schlimmeres werden können). Ganz so schwarz, wie manche befürchtet hatten, ist der Freitag dann doch nicht geworden. Das sollte uns nicht gelassen stimmen! Vielleicht steht uns das Schlimmste ja noch bevor. Nur nebenbei: Nach Analystenschätzung haben sich durch den Crash weltweit 5 Billionen Dollar an Börsenkapitalisierung in Luft aufgelöst - das entspricht in etwa dem Doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung Großbritanniens. Noch ‘ne Zahl am Rande: Die Frage „Was passiert, wenn wir die EU verlassen” googelten mit einem Plus von 250 Prozent die Internet-Nutzer in Großbritannien in der Nacht erst als sich die Mehrheit für einen Brexit abzeichnete. Gleichzeitig wurde plötzlich sechsmal häufiger nach „Gold kaufen” gesucht. Und doppelt so viele Nutzer wie zuvor informierten sich darüber, wie man Bürger der Republik Irland werden kann, die zur Europäischen Union gehört.

Danach hat sich der Run der braven Bürger auf Gold voll beschleunigt - Sprung um gut 8 Prozent auf das Zwei-Jahres-Hoch von deutlich über 1.300 Dollar je Feinunze. Übrigens der steilste Preisanstieg seit 2008. Als bekennender Aktien-Fan (der ich auch bleibe!) muss ich heute zugeben, für Dax & Co. noch keine neue Peilung zu haben. Ich sag‘s nochmal: Hoffentlich kapiert jetzt auch der letzte Depp unter den „Experten“ und Börsenjournalisten, wie blöd der Spruch von den kurzen Beinen der politischen Börsen ist. Denn im Gegenteil kannst du ohne die politisch-wirtschaftlichen Zusammenhänge heutzutage überhaupt nix nachvollziehen. Europa wird die Finanzmärkte wahrscheinlich noch lange, das heißt jahrelang, beschäftigen. Und mit der These einzelner Analysten, dass sich an der Börse mittelfristig wieder attraktive Kaufchancen eröffnen dürften, könnt Ihr doch so gut wie nix anfangen. Wann ist „mittelfristig“? Wo steht der Dax dann, irgendwo wie jetzt oder nur noch bei 8.000? Ja, ja, hohe Volatilität sagen die Fachleute jetzt voraus. Das ist erstens nicht neu und zweitens kann sich das jeder fortgeschrittene Privatanleger selbst ausmalen. Also vorläufig Vorsicht mit Aktien!

Wenn Ihr Eure Kohle nicht sinnvoll ausgeben wollt (z.B. für den Urlaub), bleiben Euch jedenfalls die nicht-börsennotierten Sachanlagen (z.B. Immobilien). Auf jeden Fall plädiere ich für eine Vergrößerung des Gold-Anteils! Die Edelmetall-Gurus schnappen schon über, übertreffen sich mit Prognosen und Kaufempfehlungen. Ein Anlegerbrief-Autor sieht es als seine Pflicht an, die Leser „auf die Chance des Jahrzehnts bei Gold und Goldminen-Aktien“ hinzuweisen. Das geht ja noch. Ein anderer Goldie weiß mehr: „Der Euro stirbt jetzt einen langsamen Tod!! Gold wird die neue Währung! Mit dem EU-Austritt Großbritanniens wurde der Tod des Euro eingeleitet. Die neue Währung wird „goldgedeckt“ sein, denn nur das kann die drohende Hyperinflation noch abwenden [ … ] Aktien von kleinen Goldfirmen werden jetzt Übernahmeziele und mehrere 1.000% (!!!) steigen und Sie müssen jetzt sofort kaufen, um von Anfang an mit dabei zu sein!!“ Und dann kündigt er „den größten Gold-Gewinn in der Geschichte der Menschheit“ an.

Nicht zum ersten Mal werden von anderen Promotern Goldpreise von 3.000 oder gar 5.000 Dollar an den Horizont gemalt. Müsst Ihr nicht auf die Goldwaage legen, meine Freunde. Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir in absehbarer Zeit neue historische Höchststände oberhalb von 1.900 Dollar sehen werden. Aber das ist auch Wurst. Denn wenn jetzt auch die Performance des edlen Metalls für Fantasie sorgt - es dient in erster Linie doch als wahrer Wert, als Sicherheitselement in der Kapitalanlage. Bitte auch daran denken, bei der Anlageklasse Gold verschiedene Instrumente zu spielen, also neben dem physischen Kauf auch dem Trend zu Goldminenaktien zu folgen oder Zertifikate einzusetzen.

Mit dem Brexit ist es endgültig: Die Finanzmärkte sind nicht nur ein Spiegel von Geldpolitik und Zinsen, von Konjunktur und Unternehmensgewinnen sowie von Kapitalströmen und der Konkurrenz unter den Anlageklassen, sondern sie reagieren immer sensibler eben auch auf geopolitsche Entwicklungen und Krisen. Europa ist zum Sorgenkind geworden (von Problemzonen haben wir eigentlich genug). Nicht nur deshalb macht es Sinn, sich mit goldenen Zeiten im Depot für schlechte Zeiten zu wappnen.

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