Anleger, setzt das Fernglas auf!

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hermann Kutzer ist der dienstälteste Finanzmarktbeobachter in Deutschland. Jeden Montag analysiert und kommentiert der Wirtschaftsjournalist und TV-Kommentator in seiner OnVista-Videokolumne das Marktgeschehen. Heute erscheint seine Kolumne ausnahmsweise nicht als Video, sondern als Text:

Mein unbedingtes Festhalten an der langfristigen Aktienanlage mag manchen provozieren, geschätzte Leser. Wie kann man so zweifelsfrei bleiben, wenn man eine ganze Problempalette der Weltwirtschaft vor Augen hat? Verkürzte Antwort: Für die global vernetzten Börsen (und damit für die Anleger) ist die extreme Kurzfristigkeit der Nachrichten und deren Kurseinfluss die größte Herausforderung. Deshalb appelliere ich seit langem und immer lauter gerade an die privaten Anleger (nicht an die Trader), über den Tellerrand der Tagesaktualität hinaus zu schauen. Schließlich, und das sollte bekannt sein, überragt die Aktie andere Anlageklassen durch ihre langfristige Wertentwicklung.

Das ich heute schreibe und nicht zu Ihnen spreche, hat technische Gründe. Und ich mache es mir diesmal ziemlich leicht, zugegeben. Denn ich möchte Ihnen den soeben vorgelegten „etwas anderen Ausblick auf das Jahr 2015“ von Allianz Global Investors nicht vorenthalten. Aus einem simplen Grund: Ich unterstreiche diese Betrachtung von der ersten bis zur letzten Zeile. Und das kommt nur ganz selten vor.

These 1: Geld allein macht nicht glücklich. Vorsicht! Es ist anders gemeint, als sie auf den ersten Blick vielleicht glauben. Denn es geht um das zentrale Problem der anhaltenden (und umstrittenen) Finanzrepression. Die Sparer haben einen Großteil ihres Geldes in niedrig verzinsten Anlageformen wie dem Sparbuch und Anleihen hoher Bonität investiert - im Falle Deutschlands sind es ca. 40 % des gesamten Bruttogeldvermögens. Und die Sparer zahlen faktisch alle bereits negative Zinsen. Sie merken es nur nicht unmittelbar, da die Wirkung der Inflation auf dem Kontoauszugsdrucker nicht sichtbar wird. Mit der Einführung negativer Einlagezinsen für Banken hat die Europäische Zentralbank im Juni 2014 aber eine neue Stufe der finanziellen Repression eingeläutet.

Die Folge: Vereinzelt haben Banken begonnen, ab bestimmten Sparguthaben von ihren Kunden negative Zinsen zu verlangen. Von der Wirkung ist das kaum anders als der (unsichtbare) Kaufkraftverlust durch die Inflation. Aber die Wogen der Diskussion schlagen hoch. Die Erkenntnis: Geld allein macht nicht glücklich, besonders nicht, wenn es auf dem Sparbuch liegt.

Wo aber hin mit dem Geld? Was sind die Alternativen? Dies ist eine drängende Frage, denn sicher ist: Über die letzten Jahre hat die von den großen Zentralbanken ausgehende Liquiditätsflut zwar alle „Boote“ gehoben, d. h. Aktien wie Anleihen legten zu. Aber am Ende, und das ist eine wichtige Aussage, kann nur ein Szenario eintreten: Entweder die Weltwirtschaft kippt in die viel diskutierte Deflation, dann wären die Anleiheinvestoren die „Gewinner“. Oder es kommt zu einem soliden Wachstum, dann hätten die Aktieninvestoren auf das richtige Pferd gesetzt. Wohin also geht die Reise?

Ich teile trotz der an den Märkten weltweit verstärkten Konjunkturzweifel in Verbindung mit dem Preissturz des Rohöls die Erwartung, dass wir 2015 ist mit einer Fortsetzung des moderaten Wachstumstrends der Weltwirtschaft rechnen dürfen. Die Zentralbankpolitik ebnet die Bahn. Und das Set an globalen, makroökonomischen Indikatoren bestätigt einen Wachstumsausblick, wenn auch die Abwärtsrisiken für den Euroraum während der letzten Monate gestiegen sind.

These 2: Von den Dakota-Indianern lernen. Auch dieses Bild der AllanzGI-Strategen ist plausibel: Es gilt von den Dakota-Indianern zu lernen. Diesen wird die schöne Erkenntnis nachgesagt: „Sitzt Du auf einem toten Pferd, musst Du absteigen.“ Und tote Pferde gibt es einige: Da wären u.a. die hier beschriebene, falsch verstandene Sicherheit, die Anleger an Sparbuch und Anleihen festhalten lässt, oder einzelne Aktien, bei denen ein Anleger seit Jahr und Tag darauf wartet, dass sie endlich wieder auf den alten Einstiegskurs klettern.

These 3: Aktienzins statt Sparzins. Das ist die Konsequenz: Besser also umsatteln. Aber welches Pferd gehört auf jeden Fall in den Stall? Es bleibt dabei: Das größte Risiko ist, kein Risiko einzugehen. Ohne Kursschwankungen geht es also nicht. Beispiel: Aktien.

Bei Aktien beteiligt sich der Anleger an Unternehmen und damit an deren Gewinnen und den unternehmerischen Risiken. Ein Teil der Gesamtrendite liefern die Kurssteigerungen, aber ein bedeutender Teil kommt aus den Dividenden, also den ausgeschütteten Unternehmensgewinnen. Im Falle europäischer Aktien trugen Dividenden über die letzten fast 35 Jahre knapp 40 % zur Gesamtrendite bei. Und sie entwickelten sich dabei deutlich stetiger als die Aktienkurse, was im Depot für Stabilität sorgte.

Dazu kommt noch, dass Kurse von Unternehmen, die Dividenden zahlen, selbst wiederum weniger schwanken als Kurse von Unternehmen, die keine Dividende ausschütten. Wenn man dann noch weiß, dass die Dividendenrendite im Euroraum derzeit bei ca. 3 % (teils deutlich höher!) liegt, stellt sich schon die Überlegung, ob der „Aktienzins“ nicht doch attraktiver ist als der nicht mehr vorhandene Sparzins oder der von der Inflation geschluckte Kupon der Anleihen.

Schlussfolgerung der AllianzGI für 2015: Anleger sollten nicht nur auf Aktien, sondern auf mehrere Pferde zu setzen. In meinen Augen heißt das, Chancen und Risiken über verschiedene Anlageklassen hinweg zu streuen. Denn eine Herausforderung des kommenden Jahres lautet: Die Schwankungen dürften zunehmen. Neben die Geduld sollte nach meiner Einschätzung auch eine gewisse Bescheidenheit treten, man könnte auch von Demut sprechen. Denn die Performance der letzten Jahre, die vor allem eine Aufholbewegung im Zuge der Finanz- und Schuldenkrise war, dürfte sich so nicht fortschreiben.

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