Das China-Schlamassel

Holger Scholze · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die äußerst verfahrene, schwierige Situation in China bereitet den Börsianern nun schon eine ganze Weile Kopfzerbrechen. Einer ganzen Serie von enttäuschenden Konjunkturdaten aus dem „Reich der Mitte“ schlossen sich zuletzt auch die eingetrübten Einkaufsmanagerindizes an, welche nun bereits seit einem halben Jahr unterhalb der Wachstumsschwelle von 50 Punkten liegen. Weil speziell diese Kennzahl aber als wichtiger Frühindikator gilt, scheinen die Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung berechtigt zu sein.

Enttäuschende Daten

Zu Beginn der Woche erschraken die Ökonomen dann zunächst über den Rückgang der chinesischen Exporte im Juli um erhebliche 8,3(!) Prozent. Denn immerhin haben die Ausfuhren einen Anteil von etwa 22 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Volksrepublik. Und dieses wuchs im zweiten Quartal angeblich noch um 7,0 Prozent. Ob wir dieser Zahl vertrauen können, möchte ich doch nach den jüngsten Wirtschaftsdaten zumindest einmal zur Diskussion stellen. Möglicherweise wurde hier von höherer Stelle angeordnet, das Wirtschaftswachstum als konstant zu verkünden. Denn bereits im ersten Quartal war das BIP in China um 7,0 Prozent zum Vorjahr gewachsen. Vermutlich werden wir uns realistischerweise schon bald auf ein chinesisches Wirtschaftswachstum von fünf bis sieben Prozent einstellen müssen. Dies wird derzeit aber natürlich noch nicht offiziell bestätigt.

Börsianer in froher Erwartung

Kurioserweise lösten nun jedoch gerade die schwachen Exportdaten wahre Kaufwellen an der Aktienbörse aus. So sprang der Shanghai-Composite-Index am Montag um fünf Prozent nach oben. Dabei zeigte sich einmal mehr die ganz besondere Logik der Börsianer. Denn angesichts der Tatsache, dass die Exporte deutlich unter den Erwartungen der Analysten lagen, erhofften sich die Marktteilnehmer nun eine rasche Reaktion der People´s Bank of China (Chinesische Zentralbank) in Form einer nochmaligen Lockerung ihrer Geldpolitik, um die Konjunktur zu beleben.

Auch der DAX startete frohgemut

Eine solche Idee gefiel dann naturgemäß auch den Anlegern hierzulande. So marschierte der DAX am Montag bis auf 11.618 Punkte nach oben. Wenn man bedenkt, dass von den im Zuge der laufenden Berichtssaison bis dahin vorgelegten Zwischenbilanzen immerhin 15 DAX-Unternehmen über den Erwartungen der Analysten und lediglich neun darunter lagen, war dieser Anstieg auch fundamental durchaus nachvollziehbar. Doch dann wurde die Luft wieder etwas dünner. Denn basierend auf den rollierenden 12-Monats-Schätzungen lag das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis der DAX-Werte am Montag bei etwa 13,5 und damit im oberen Bereich der historischen Bandbreite. Der Spielraum war also begrenzt. Wäre kein Störfeuer gekommen, hätte es derzeit vielleicht für einen Anstieg bis auf 12.000 Punkte reichen können, aber daraus wurde ja bekanntlich nichts.

Die große Überraschung

Denn am Dienstag erfolgte zwar tatsächlich eine Reaktion der chinesischen Zentralbank. Allerdings kamen die Währungshüter mit einer Maßnahme um die Ecke, mit der wohl nur ganz wenige Anleger gerechnet hatten. Sie werteten den Yuan zunächst um zwei Prozent ab und betonten gleichzeitig, dass dies ein einmaliger Vorgang wäre. In der Begründung hieß es, dass der Yuan im Vergleich zu anderen weltweiten Währungen noch recht stark sei und von den Markterwartungen abweiche. Deshalb sei es notwendig, den Kurs den Erfordernissen des Marktes anzupassen.

Aber warum?

Ziel dieses Schrittes ist natürlich, die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Produkte auf dem Weltmarkt zu steigern. Für Unternehmen aus dem Ausland sind die Rahmenbedingungen für ihre Geschäfte in China damit aber schwieriger geworden, weshalb chinesische Firmen auch im Inland nun bessere Karten haben dürften. Aus der chinesischen Perspektive heraus ist dieser Schritt durchaus nachvollziehbar, wenn er auch überraschend erfolgte.

Die Koppelung des Yuan an den US-Dollar

An dieser Stelle ist vielleicht der Hinweis angebracht, dass der Yuan keine frei schwankende Währung ist. Vielmehr ist er an den Kurs des US-Dollars gebunden. Die chinesische Zentralbank bestimmt arbeitstäglich einen Referenzkurs, um den der Yuan um maximal zwei Prozent schwanken darf.

Ein massiver Vertrauensbruch

Doch am Mittwoch wurde das Vertrauen in die Aussagen der chinesischen Notenbanker auf das heftigste erschüttert. Denn von einer einmaligen Maßnahme war plötzlich keine Rede mehr. Vielmehr wurde der Yuan um weitere 1,6 Prozent abgewertet. Und dies sorgte für eine noch größere Nervosität an den Finanzmärkten, als am Vortag. Nicht nur, weil die Aussage vom Dienstag „ad absurdum“ geführt wurde, sondern vor allem auch deshalb, weil die Sorgen um die tatsächliche Verfassung der chinesischen Konjunktur, als wichtige Lokomotive der Weltwirtschaft, extrem schnell wuchsen. Denn warum sonst sollten die Chinesen zu derart drastischen Mitteln greifen?

Der chinesische Wirtschaftsmotor stottert

Konkrete Belege hierfür gibt es ja bereits. So verzeichnete der weltgrößte Automobilmarkt China zuletzt den größten Absatzrückgang seit zweieinhalb Jahren. Die Verkaufszahlen sanken im Juli um 7,1(!) Prozent. Damit waren diese Daten den vierten Monat in Folge rückläufig. Immerhin stiegen die Autoverkäufe in den ersten sieben Monaten insgesamt aber noch um 0,4 Prozent zum Vorjahr. Dennoch schwächelt angesichts der Wirtschaftsflaute die Nachfrage nach Neuwagen. Die Preise sind im Sinkflug. Kein Wunder also, dass die Aktien der deutschen Autowerte BMW, Daimler und VW besonders heftig unter Druck gerieten und im Zuge dessen maßgeblich daran beteiligt waren, dass der DAX sogar unter die 11.000er Marke rutschte.

Warum tendiert der Euro fester?

Viele Marktteilnehmer wunderten sich aber darüber, dass der Euro plötzlich Aufwind bekam. Dafür gibt es mindestens zwei mögliche Gründe.
Erstens haben sich wohl eine Reihe von Anlegern, unter dem Eindruck der Yuan-Abwertung, neue Gedanken zur US-Geldpolitik durch den Kopf gehen lassen. Denn um die Lage für amerikanische Unternehmen jetzt nicht noch zusätzlich zu erschweren, könnten die US-Notenbanker um Fed-Präsidentin Janet Yellen die für dieses Jahr geplante Zinsanhebung möglicherweise doch noch einmal verschieben. Zumindest ist sie nun für den September weniger wahrscheinlich geworden. Und das wiederum schwächte den US-Dollar, so dass der Euro an Wert gewann.
Zweitens könnte die Auflösung so genannter „Carry Trades“ für die aktuelle Euro-Stärke verantwortlich sein. Bei diesen Geschäften nehmen Anleger Kredite in Währungen mit niedrigen Leitzinsen auf - zum Beispiel in Euro - und investieren die Summen in Währungen mit hohen Leitzinsen.

Auch der Goldpreis erholt sich

Am Mittwoch wurden für eine Feinunze Gold wieder mehr als 1.120 US-Dollar bezahlt. Zu Beginn der Woche lag der Preis noch unter der 1.100er Marke. Auch hierbei dürfte der schwächer tendierende US-Dollar geholfen haben, denn für Investoren außerhalb des Dollar-Raums ist es nun wieder attraktiver, Gold zu kaufen, denn das Edelmetall wird auf dem Weltmarkt mit dem „Greenback“ bezahlt.

Die Aussichten für den DAX

Der Aktienmarkt ist nun auch technisch angeschlagen. Auch wenn kurzfristige Erholungen wahrscheinlich sind, besteht aus meiner Sicht ein erstes Abwärtspotential bis auf 10.700 Punkte. Sollte sich die Nervosität noch weiter erhöhen und andere negative Nachrichten hinzukommen, ist auch ein baldiger Rutsch des DAX bis in den Bereich von 10.300 vorstellbar.
Aus meiner Sicht sollte es dennoch spätestens im Herbst wieder aufwärts gehen. Dabei sind durchaus neue Rekordstände denkbar. Denn das übergeordnete Thema bleibt die extrem expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, welche ihr Wertpapierkaufprogramm in Höhe von 60 Milliarden Euro monatlich mindestens bis zum September 2016 aufrechterhalten wird. Besonnene Anleger könnten also die aktuelle Sommerschwäche durchaus für Neuengagements nutzen. Vorausgesetzt, sie teilen meine Einschätzung.

Ihr Holger Scholze

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