Das Problem der Eurozone sind nicht die Verstöße gegen ihre Stabilitätsregeln, sondern die Duldung der Verstöße!

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Wie fing das eigentlich alles an mit dem gemeinsamen Währungsraum? Die Zustimmung zur Wiedervereinigung machte unser linksrheinischer Nachbar damals davon abhängig, dass in Europa  ein gemeinsamer Währungsraum geschaffen wird. Nicht zuletzt erhoffte sich Frankreich davon die gleichen günstigen Renditen für Staatsschulden wie Deutschland, um seinen damals schon schuldengeplagten Staatshaushalt zu sanieren und seine Wirtschaft zu stimulieren.

Wenn es dem Esel zu heiß wird, geht er aufs Eis

Hinzu kam, dass unser linksrheinischer Nachbar von Beginn an eine große Währungsunion haben wollte, die tatsächlich mit 12 Ländern startete. Die Absicht dabei war nicht unbedingt, der Eurozone mehr geopolitisches Gewicht zu verleihen. Primär ging es Frankreich, dass der Stabilitätskultur sicher nicht die größte Liebe entgegenbringt, darum, mit möglichst vielen Gesinnungsgenossen des Club Méditerranée ein gehöriges Gegengewicht gegenüber den Stabilitätsliebhabern Deutschland, Finnland, den Niederlanden oder Österreich zu bilden.

Unter der Bedingung und im Vertrauen darauf, dass sich die Euro-Politiker strikt für die Verfolgung der eisernen Stabilitätsregeln und bei Zuwiderhandlung ebenso streng für scharfe Sanktionen einsetzen, waren die Nordeuropäer und vor allem Deutschland bereit, ihre harten Währungen bzw. seine geliebte Deutsche Mark aufzugeben. Und die Kinderzeit der Eurozone verlief ja auch zunächst gar nicht schlecht. Insbesondere die südlichen Euro-Länder erfreuten sich aufgrund der gesunkenen Zinsen einer massiven Sonderkonjunktur insbesondere durch die Immobilienhaussen. Leider haben die Euro-Staaten diese Happy Days nicht für wettbewerbsverbessernde Strukturreformen, sondern für noch mehr Staatsverschuldung genutzt. Dies sollte sich später noch bitter rächen. 

Die Stabilitäts-Ursünde hat Deutschland selbst begangen und Griechenland perfektioniert

Ausgerechnet Stabilitätsmusterschüler Deutschland verstieß 2001, 2002, 2003, 2004 und 2005 gleich fünfmal hintereinander gegen das Neuverschuldungskriterium. Und wurde er bestraft? Nein, denn in Zusammenarbeit mit Frankreich, Italien und Griechenland (!) konnte die deutsche Bundesregierung Sanktionen vermeiden. Da aber selbst Deutschland gegen die Stabilitätsregeln verstieß, wurde der Regelverstoß hoffähig. Wer wollte da noch mit dem Finger auf andere Stabilitätssünder zeigen?

Und diese Stabilitätssünde nahm wie eine Lawine ihren Lauf. Im Jahre 2004 wies das Europäische Amt für Statistik nach, dass die Athener Angaben zu ihren Haushaltsdefiziten 1997 bis 2000 wie bei Grimms Märchen frei erfunden waren. Tatsächlich lagen sie erheblich über dem Euro-Konvergenzkriterium von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung, was Griechenlands Beitritt in die Eurozone vereitelt hätte. Dennoch wurde das Verfahren gegen den griechischen Schuldenlügner eingestellt. Ebenso verständnisvoll reagierte Brüssel, als bekannt wurde, dass Athens Haushaltsdefizit für 2009 nicht bei 3,7, sondern mehr als viermal so hoch bei 12,7 Prozent lag. Und schon wieder keine Sanktion, kein Rauswurf aus der Eurozone. Und da sprechen Politiker immer noch von Stabilitätsunion, ohne knallrot zu werden. Und dafür haben wir die Deutsche Mark aufgegeben?

Spätestens 2010 kam dann die Europäische Stabilität in die Pubertät. Aufgrund des drohenden Bankrotts Griechenlands bekam das Land ein Rettungspaket über 110 Mrd. Euro, obwohl zwischenstaatliche Kredithilfen in den EU-Verträgen ausdrücklich verboten sind. 2012 kam es zu einem mehr oder weniger erzwungenen Schuldenschnitt der privaten Gläubiger Griechenlands, bei dem Banken und Versicherer - und damit auch ihre Kunden - auf etwa 70 Prozent ihrer Forderungen verzichten mussten. Diese insofern künstlich verbesserte Bonität der griechischen Staatsfinanzen war aber Bedingung für die Vergabe eines zweiten Rettungspaktes über 130 Mrd.   

In die absoluten Flegeljahre kam die Europäische Stabilität in diesem Jahr. Wie Ochsen ließen sich die Euro-Politiker und EZB-Direktoren von Tsipras durch die Manege führen, obwohl dieser die Reformen seiner Vorgänger rückgängig machte und die Gläubiger gemeinsam mit seinem spielfreudigen Finanzminister wie Gegner im Boxring behandelte. Und dennoch haben die Gläubigervertreter - allen voran Herr Juncker - nichts Besseres zu tun, als das Matthäus-Evangelium anzuwenden: Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.

Das eurozonale Totschlagargument: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa

Offensichtlich geht die Politik davon aus, dass der Euro scheitert, wenn Griechenland geht. Um diesem Schicksal zu entgehen, wird die Rettung Griechenlands um jeden Preis, auch jeden Stabilitätspreis betrieben. Griechische Ideologen können die Stabilitätsspielregeln ändern wie sie wollen und dennoch erhalten sie von Gläubigerseite nicht nur nicht die rote Karte. Im Gegenteil, sie spielen auch noch mit: Zuletzt wurde Griechenland ein dramatisch großzügiges Angebot der Euro-Finanzgruppe unterbreitet, bei dem die Reformbedingungen erneut reduziert und die geldlichen Gegenleistungen erneut kräftig aufgestockt wurden. Dieses Angebot ist nichts anderes als eine Belohnung für Euro-schändliche Reformverweigerung aus ideologischen Beweggründen. Damit hat Europa seine stabilitätspolitische Glaubwürdigkeit bereits an den Nagel gehängt. Man ist förmlich zu Kreuze gekrochen. Dennoch lehnte Herr Tsipras dieses Angebot als Erpressung ab. Er will geldliche Leistung ohne reformistische Gegenleistung. Er weiß sehr wohl: Je größer die griechischen Schulden und die Schulden der griechischen Banken bei der EZB, umso größer auch das Erpressungspotenzial mit Blick auf die möglichen gewaltigen Kreditausfälle. Diese Absicht verfolgt auch der jüngste Vorschlag von Tsipras, wonach der Rettungsfonds ESM griechische Schulden für zwei Jahre übernehmen soll. Auf diese neue Athener Finte sollte sich die Euro-Gruppe nicht einlassen.  
Jetzt müssen die griechischen Wähler endlich für klare Verhältnisse in der Eurozone sorgen

Lasst jetzt die griechische Bevölkerung ran. Das Angebot der Euro-Gruppe ist zwar offiziell vom Tisch, doch will Tsipras die griechische Bevölkerung am kommenden Sonntag darüber befinden lassen. Ich finde es gut, wenn wie im Römischen Imperium die Stimme des Volkes  eine endgültige Entscheidung fällt. Sollte die Mehrheit mit Ja stimmen, ist die Regierung Tsipras entzaubert und sollte hingehen, wo die Oliven wachsen. Die Verhandlungen mit einer wie auch immer gearteten griechischen Regierung werden dann erneut beginnen. Reformen sind dann von höchster Stelle genehmigt.

Sollten die Bevölkerung jedoch mehrheitlich für Nein votieren, hat sie Reformen abgelehnt und muss dann die Pleite und den Grexit in Kauf nehmen. Herr Schäuble spricht zwar davon, dass Griechenland auch bei einem Nein ein Euro-Land bleibt. Das geht aber nicht. Wenn auch die griechische Bevölkerung die Spielregeln der Eurozone ablehnt, können sie in der Eurozone nicht weiter mitspielen. Ich glaube aber Herr Schäuble will damit dem blanken Destruktivismus von Herrn Varoufakis den Wind aus den Segeln nehmen, der gegen einen Rauswurf aus der Eurozone beim Europäischen Gerichtshof klagen will. Diesen Gefallen eines Rauswurfs werden ihm die Gläubiger allerdings nicht tun, allein schon, um später keine Legendenbildung aufkommen zu lassen, man habe die Griechen im Stich gelassen. In den EU-Verträgen ist ohnehin kein Austritt vorgesehen.

Herr Schäuble weiß aber, dass die Kraft des Faktischen - wenn es zu keinen Kreditneuverhandlungen kommt - dafür sorgt, dass Griechenland den Weg des Grexit selbst beschreiten muss. Wenn es weder von den Alt- noch von Neugläubigern Geld gibt, ist der Staatsbankrott mit all seinen fatalen Konsequenzen zügig da. Wenn der Zahlungsverkehr und die Banken kollabieren, kollabiert auch die Wirtschaft. Vater Staat kann Pensionen und Gehälter der Staatsbeamten nicht mehr begleichen. Die erhalten dann eine Parallelwährung in Form von Schuldscheinen. Das wäre bereits der erste Schritt zur neuen Währung. Und da diese gegenüber dem Euro dramatisch abwerten und damit an Kaufkraft verlieren würde, müsste die Regierung gezwungenermaßen - um soziale Verwerfungen zu verhindern - die Drachme wieder einführen.

Dümmlich wäre auch der griechische Versuch, die EZB wegen zurückgehaltener Notfallkredite für griechische Banken anzuklagen. Die EZB ist unabhängig und kann auch von Top-Juristen nicht dazu gezwungen werden, ansonsten insolvente Kreditinstitute durchzufinanzieren. Schon die augenblickliche Durchfütterung griechischer Banken gilt rechtlich als halbseiden.

Bei einem Grexit haben wir Kaufkurse

Die Märkte würden bei einem griechischen Nein zwar zunächst nachgeben. Doch würde genau dieses Nein klare Fakten schaffen, an denen man sich orientieren kann. Das Ping Pong-Spiel wäre beendet. Die Aufräum- bzw. Aufbauarbeiten, die die Stabilitätsunion zumindest stabilisierten und Griechenland mit Abwertung und dann auch Schuldenschnitt eine neue Chance gäben, würden beginnen.

Zu einem Crash kommt es nicht, denn es fehlen die Zutaten. Denn die Griechen-Pleite und der Grexit kämen im Vergleich zur damaligen Lehman-Pleite und dem damit verbundenen Beginn der Immobilienkrise nicht über Nacht, sondern mit Ansage. Da zudem die Banken nicht wie damals in Immobilien heute in Griechenland übermäßig investiert sind, ist eine Bankenkrise 2.0 nicht zu befürchten. Und außerdem sind die Rettungsinstitutionen präsent. Rettungsschirme und EZB sind gewappnet, das Überschwappen des griechischen Krisenvirus auf andere Euro-Länder zu verhindern. Da brennt nichts an. Dieses entspannte Bild vermittelt nicht zuletzt ein stabil gebliebener Euro.

Der Euro scheitert nicht, wenn die Griechen austreten. Denn die Euro-Kette wird nicht schwächer, wenn das schwächste Glied entfernt wird. Nur wenn weiter ungehemmt Stabilitätsverstöße geduldet werden, scheitert die Eurozone.

Der Grexit täte der Eurozone, ihren Finanzmärkten und auch den Griechen selbst gut. 

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG:
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