Keine Angst vor fallenden Ölpreisen!

Stefan Riße · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Wie das Kaninchen auf die Schlange schauen derzeit die Finanzmärkte auf den Ölpreis. Ist er schwach, dann fallen auch die Aktien. Erholt er sich, gehen die Aktien ebenfalls nach oben. Ältere Börsianer müssen verwundert den Kopf schütteln. Wer schon in den 70er Jahren als Börsianer aktiv war, der erinnert sich an das umgekehrte Stigma. Nun war auch ich damals noch zu jung, um die Phase miterlebt zu haben. Börsenlegende Andre Kostolany, mit dem mich eine enge Freundschaft verband, hatte mir zu Lebzeiten aber viel davon erzählt.

Die Zeit der Stagflation

Die 70er Jahre waren die Zeit der Inflation. Ausgelöst wurde diese durch die zwei Ölpreisschocks in dieser Zeit. Die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) hatte die Welt fest im Griff. Sie vereinte über 50 Prozent der täglichen Rohölproduktion. Das verlieh ihr die unbeschränkte Preissetzungsmacht. Die westliche Welt befand sich im Würgegriff der OPEC. Zudem war ihre Abhängigkeit vom schwarzen Gold damals noch bedeutend größer als heute. Weil immer mehr für die Ölrechnung bezahlt werden musste, floss die heimische Kaufkraft in die Ölländer. So rutschte die westliche Welt in die Rezession, bei gleichzeitiger Inflation. Eine Kombination, die eigentlich undenkbar schien, da Inflation nach ökonomischer Lehrmeinung nur bei zu großer Nachfrage entstehen konnte und nicht bei stagnierender. Es entstand der Begriff der Stagflation.

Verkehrte heutige Welt

Die Aktienkurse litten selbstverständlich unter den steigenden Ölpreisen. Als hingegen Anfang der 80er Jahre das OPEC-Kartell und die Ölpreise zusammenbrachen, begann die längste Aktienhausse aller Zeiten. Und heute? Ist es umgekehrt, als wenn die westliche Welt zum Ölproduzenten aufgestiegen wäre. Für die USA ist es noch ein wenig nachvollziehbar, weil deren Schieferölproduktion die Branche noch größer gemacht hat und nun dementsprechend leidet. Doch selbst für die USA dürften noch die Vorteile überwiegen. Für Europa und alle anderen Länder ohne nennenswerte Ölproduktion wie Beispielsweise China und Japan, sind die gesunkenen Ölpreise ein Segen. Gesprochen wird derzeit nur von den sinkenden Einnahmen. Doch was die Ölstaaten weniger einnehmen, das müssen die Ölkonsumenten weniger ausgeben. Für die anderen ebenfalls stark im Preis gesunkenen Rohstoffe gilt dies genauso. Das Ganze wirkt wie eine gigantische Steuersenkung und wird die Konjunktur massiv unterstützen. Das Wachstum wird sich nicht verlangsamen, sondern nur regional verschieben.

Keine Indikatorwirkung

Auch die dem Ölpreis zugesprochene Indikatorwirkung gibt es nicht. Denn die Ölnachfrage lässt ja nicht nach, nur das erwartete Wachstum ist geringer. Dieses trifft auf in der Zeit der hohen Rohstoffpreise erhöhte Kapazitäten. Und es ist immer der eine Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Einziger Unsicherheitsfaktor sind die Staatsfonds der Ölstaaten. Diese sind auch in Aktien investiert und könnten gezwungen sein, Positionen zu liquidieren. Das kann kurzfristig auf die Kurse drücken, was aktuell vielleicht schon passiert. Doch in den Staaten, die profitieren, werden umso größere Vermögen entstehen, die angelegt werden müssen. Langfristig überwiegen daher eindeutig die positiven Effekte.

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