Ukraine-Krieg: Russland kann wirtschaftlich alles verlieren, der Westen weniger – auch für China wäre ein Schulterschluss wirtschaftlich wenig attraktiv

onvista · Uhr

Der Westen hat mit erheblichen wirtschaftlichen Sanktionen auf die russische Invasion der Ukraine reagiert. Viele Experten sind optimistisch, dass diese Maßnahmen langfristig ein scharfes Schwert im Kampf gegen Russland sein können. Nicht nur wurde Russland von internationalen Bankensystem SWIFT ausgeschlossen, auch diverse Vermögenswerte und Devisenreserven wurden eingefroren und es wird Investoren untersagt, Geschäfte mit der russischen Zentralbank zu tätigen. Auch auf Ebene der unternehmerischen Tätigkeiten zeigt sich eine weitreichende Abkehr der Weltgemeinschaft von Russland – immer mehr Unternehmen kappen ihre Beziehungen in das Land und beenden wirtschaftliche Kooperationen.

Das Ziel dieser Sanktionen ist klar: Russland soll von der Welt abgeschnitten und die eigene Wirtschaft soll massiv unter Druck gesetzt werden. Dadurch soll sich der Druck auf die politische Führung um Putin, aber auch auf das Volk erhöhen, um Proteste und ein allgemeines Aufbegehren hervorzurufen. Das Ziel sei es, „den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft herbeizuführen“, so drückte es auch der französische Finanzminister Bruno Le Maire in einem Interview mit französischen Medien aus.

Russlands Finanzsystem liegt in Scherben

An den Finanzmärkten sind die Auswirkungen bereits erheblich: russische Finanzwerte werden vom Handel an westlichen Börsen ausgeschlossen, russische Aktientitel sind in den Keller gestürzt und der Rubel wertet immer mehr gegen relevante andere Währungen ab. Die größte russische Bank Sberbank ist an der Börse aufgrund des Verlustes ihrer europäischen Geschäfte und der Isolierung des russischen Finanzsystems vom Rest der Welt zuletzt kollabiert und verzeichnet Verluste von 95 Prozent. Unabhängig davon, wie der Konflikt ausgeht, liegt das russische Finanzsystem bereits jetzt in Scherben und es dürfte umfassenden Reformen und Neustrukturierungen erfordern, um die Schäden zu beheben und das System wieder neu aufzubauen.

Für den Rubel gehen Finanzexperten von einer weiter grassierenden Inflation aus. Die russische Zentralbank hatte in einem drastischen Schritt den Leitzins bereits von 9,5 auf 20 Prozent angehoben, jedoch ohne großen Erfolg. Analysten von Goldman Sachs gehen nun von einer Inflationsrate des Rubel bis Jahresende von 17 Prozent aus, wobei die Risiken aufgrund der Situation laut den Analysten nach oben verzerrt ist – wesentlich höhere Werte sind also möglich. Für das BIP gehen die Analysten mittlerweile von einem Rückgang von 7 bis 10 Prozent aus.

Der Faktor Öl-Exporte ist noch nicht mit eingerechnet

Eine der bedeutendsten Einkommensquellen Russlands ist in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten – die Öl-Exporte machen einen signifikanten Teil des Einkommens der russischen Wirtschaft aus und liefern dem Staat bisher weiterhin einen stetigen Fluss an Dollar und Euro Devisenreserven. Es ist jedoch alles andere als sicher, dass das Öl weiter fließt. Zum einen könnten die Öl-Exporte Teil der Sanktionen werden und europäische Staaten, vor allem Deutschland, eigene wirtschaftliche Schwierigkeiten in Kauf nehmen, um den politischen wie wirtschaftlichen Druck auf Russland zu erhöhen. Auch eine Beschädigung der Pipelines in ukrainischem Gebiet im Zuge der Kampfhandlungen ist möglich und würde zum selben Resultat auf beiden Seiten führen.

China wird noch ein wichtiger Faktor für Russland

Angesichts der Geschlossenheit und der Abkehr des Westens von Russland wird China immer wichtiger für den Staat, da nun versucht wird, die wirtschaftlichen Aktivitäten in Richtung Asien zu verlagern. Sollte eine schnelle Umschichtung realisiert werden können, würde das Russland auch bei einem kompletten Stopp der Öl- und Gaslieferungen in den Westen – zu dem dieser immer mehr Bereitschaft signalisiert – eine weitere Finanzierung des Krieges ermöglichen. Russland versucht zudem, auf die chinesischen Bankensysteme auszuweichen und den Rubel weg vom US-Dollar als Referenzwährung und hin zum chinesischen Yuan zu überführen, um den schweren Schlag gegen das eigene Finanzsystem abzufedern. Hier ist jedoch noch vollkommen unklar, wie hoch die Kooperationsbereitschaft Chinas ist. Bisher hält der chinesische Staat sich noch sehr bedeckt und hat den Angriff Russlands auf die Ukraine offiziell noch nicht als Invasion deklariert. Man fördert weiterhin die Diplomatie und Verhandlungen, hieß es dazu aus dem chinesischen Außenministerium. Jedoch könnten China ebenfalls Sanktionen und sekundäre Effekte drohen, sollte man Russland zu sehr in die eigene Wirtschaft und das eigene Finanzsystem integrieren.

Auch rein wirtschaftlich hätte ein solcher Schulterschluss wenig Attraktivität für China. Wie eine jüngste Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) aufzeigt, wären die Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft gering. 2020 gingen knapp 14,6 Prozent der russischen Exporte nach China, allerdings kamen nur knapp 2,8 Prozent der chinesischen Importe aus Russland. Insgesamt würde sich das Realeinkommen in China daher im Modell lediglich um 0,02 Prozent jährlich erhöhen. „Wirtschaftlich wäre China also nicht der große Krisengewinner“, so ein Fazit der Studie.

Russland hat am meisten zu verlieren

Die Studie zeigt anhand der ausgerechneten Auswirkungen auf das BIP der verschiedenen Wirtschaftszonen auf, dass Russland in diesem Konflikt mit Abstand am meisten zu verlieren hat. Die russische Wirtschaftsleistung dürfte jährlich um knapp zehn Prozent niedriger ausfallen als bei einem Fortbestand der Handelsbeziehungen, wie aus der am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung von IfW und Wifo hervorgeht. „Ein Handelskrieg zwischen Russland sowie den USA und ihren Verbündeten würde Russlands Wirtschaft langfristig empfindlich treffen“, sagte IfW-Forscher Alexander Sandkamp. Die westlichen Alliierten dürften zwar kurzfristig ebenfalls zum Teil stark betroffen sein. Auf längere Sicht hätten sie aber insgesamt nur eine um jährlich 0,17 Prozent geringere Wirtschaftsleistung zu befürchten.

Der Grund für die ungleiche Verteilung der Kosten liegt vor allem in der geringen wirtschaftlichen Bedeutung Russlands: Letztere sind in Bezug auf Im- und Exporte für Russland wichtiger als umgekehrt. So war die EU im Jahr 2020 für 37,3 Prozent des russischen Außenhandels verantwortlich, umgekehrt finden aber lediglich 4,8 Prozent des Außenhandels der EU mit Russland statt. Wird dazu noch der intraeuropäischen Handel berücksichtigt, wäre der Russland-Anteil nochmals deutlich geringer.

„Sanktionen zeigen kurzfristig meist wirtschaftliche, aber keine politische Wirkung“, sagte Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr. „Halten sie lange an und sind umfassend, kann sich ihr politisches Wirkungspotenzial vergrößern.“ Nach einer Anpassungsphase im Welthandel werde Russland deutlich geschwächt dastehen. „Der Schaden für die Alliierten ist dagegen überschaubar“, sagte Felbermayr.

Allerdings sind die Kosten der Simulation zufolge auch bei den Alliierten sehr ungleich verteilt. Stärker betroffen wären langfristig osteuropäische Länder wie Litauen (- 2,5 Prozent), Lettland (-2,0 Prozent) und Estland (ebenfalls -2,0 Prozent). Deutschland und Österreich müssten dagegen nur mit Verlusten von 0,4 Prozent beziehungsweise 0,3 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) rechnen, die USA sogar nur mit Verlusten von 0,04 Prozent.

onvista-Redaktion mit Material von Reuters

Titelfoto: corlaffra / Shutterstock.com

(Anzeige)

Das könnte dich auch interessieren

Neueste exklusive Artikel