Ukraine-Konflikt reißt globale Gräben auf – ein Szenario wie im kalten Krieg? Was das für die Wirtschaft bedeuten würde

onvista · Uhr

Die westliche Welt hat fassungslos darauf reagiert, dass der russische Präsident Putin den Angriff gegen die Ukraine tatsächlich in die Tat umgesetzt hat. Seit der Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014 hatte sich die Beziehung zwischen dem Kreml und dem NATO-Bündnis bereits deutlich unterkühlt, doch einen tatsächlichen Einmarsch haben die meisten Experten und Politik-Beobachter bis zu dem Ereignis weiterhin für unwahrscheinlich gehalten.

Gut eine Woche nach Ausbruch des Krieges haben sich die westlichen Industrieländer mittlerweile jedoch unerwartet einig gezeigt und mit massiven Sanktionen gegen Russland reagiert, die langfristig erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben werden. Aufgrund der offenbar schlechter als geplant verlaufenden Invasion der Ukraine hat der Kreml sich wirtschaftlich selbst in die Ecke gedrängt und blickt langfristig einer Isolation entgegen.

Eine erste Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) legt bereits offen, dass der Westen wesentlich weniger hart von den Folgen des Abbruchs aller Wirtschaftsaktivitäten betroffen wäre als das Land selbst. Während der Westen sich langfristig Alternativen für Energie und andere aus Russland importierte Waren aufbauen kann, bleibt Russland nur die engere Bindung mit China – doch ob sich das Reich der Mitte darauf einlassen wird, steht noch in den Sternen, denn allzu viele Vorteile hätte China durch einen engeren Schulterschluss mit Russland nicht.

Lesen Sie dazu: Ukraine-Krieg: Russland kann wirtschaftlich alles verlieren, der Westen weniger – auch für China wäre ein Schulterschluss wirtschaftlich wenig attraktiv

Klar ist, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine die politische wie wirtschaftliche Weltbühne massiv verändert hat. Die Zeiten des Friedens nach dem Kalten Krieg, an die sich besonders in Europa lange festgeklammert wurde, sind mit der Aggression Russlands vorbei. Es bleibt unklar, wie die nächsten Schritte Putins genau aussehen werden und welche Pläne der Kreml nach einer möglichen Eroberung der Ukraine verfolgt, doch ein Rückzug scheint ausgeschlossen zu sein, da dies Putins politisches Ende bedeuten würde, auch wenn sich der Feldzug gegen die Ukraine immer mehr als Fiasko herausstellt.

Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht muss man sich dieser Realität stellen: die De-Globalisierung, die bereits durch die Corona-Pandemie und die massiven Lieferkettenprobleme begonnen hatte, wird sich durch diesen Konflikt noch verschärfen und es zieht sich bereits ein wirtschaftlicher Graben zwischen Russland und Europa hindurch – in Form von Sanktionen in selten gesehener Härte und einer Abkehr westlicher Unternehmen von Russland.

Craig Fuller, Geschäftsführer der Fachzeitschrift FreightWaves, fasst die Lage in einem Kommentar gegenüber dem Nachrichtenportal Marketwatch zusammen und warnt vor der Möglichkeit eines neuen kalten Krieges. „Wenn sich die internationalen Auswirkungen des Russland-Ukraine-Konflikts weiter ausbreiten, stehen wir vor der realen Möglichkeit einer sich teilenden Weltwirtschaft, in der sich geopolitische Allianzen, Energie- und Lebensmittelströme, Währungssysteme und Handelswege aufspalten könnten.“ Der Experte sehe eine Rückkehr zu der Situation, wie die Welt sie im letzten kalten Krieg gesehen habe.

„Ganze Lieferketten werden mit neuen Quellen und Partnern umgeschrieben – alles im Interesse der Unternehmens- und nationalen Sicherheit. Dies wird zu massiver Volatilität und Unvorhersehbarkeit führen“, so der Experte. Folgen davon wären unter anderem weiter steigende Preise. „Die Ukraine-Krise ist vielleicht das Ende der Präambel einer langen Geschichte geopolitischer, wirtschaftlicher und militärischer Konflikte zwischen Ost und West im Zweiten Kalten Krieg. Jetzt verdichtet sich die Handlung. Staatliche Akteure wie Russland und China entscheiden sich für regionale Hegemonie statt globaler Integration – wir werden sehen, wie sich dies im Baltikum und im Südchinesischen Meer weiter auswirkt, ganz zu schweigen vom Nahen Osten und dem größeren Pazifik.“

Dieses Szenario beleuchtet auch den weiteren Weg für die Aktienmärkte klar: Unmittelbar wird die Volatilität extrem bleiben und solange der Krieg in der Ukraine weiter wütet, werden die europäischen Märkte ihre Talfahrt wohl fortsetzen. Sobald sich das erste Chaos gelegt hat und eine ungefähre Neuordnung der politischen Situation erkennbar ist, bleibt der Pfad für die Finanzmärkte aufgrund der angesprochenen Neustrukturierung der Wirtschaft ein schwieriger. Die in den USA angekündigte Zinswende und der Kampf gegen die ausufernde Inflation haben bereits ein Umfeld geschaffen, welches es für Wachstumstitel schwer machen wird und die Anleger in Value-Titel flüchten lässt. Eine mögliche Neuordnung der globalen Wirtschaft und die Restrukturierung von Lieferketten wird dieses Umfeld nur noch mehr in diese Richtung lenken. Solide, verlässliche Wirtschaftsbereiche wie Versorger, Energie und generell für die Wirtschaft essenzielle Sektoren werden am besten durch diese Phase kommen, da sie auf eine stetige Nachfrage bauen können. Unterscheiden muss man dabei auch zwischen europäischen und US-Werten, da die europäische Wirtschaft allein aufgrund der geographischen Begebenheiten einem stärkeren Risiko ausgesetzt ist.

Neben Value-Aktientiteln dürften auch Assetklassen, die als alternativer Wertspeicher dienen können, wieder eine zunehmende Bedeutung erhalten. Gold performt seit dem letzten Allzeithoch aus dem Sommer 2020 bisher noch schwach im Vergleich zur Inflationsentwicklung, doch sollten sich die Risiken des Krieges noch verschärfen, dürfte auch das Interesse an dem Edelmetall wieder wachsen. Auch Bitcoin hat sich nach Ausbruch des Krieges wieder als alternativer Vermögenswert in den Fokus gestellt, da er technologisch eine starke Unabhängigkeit gegenüber dem klassischen Bankensystem aufweist. Dies hat man sowohl auf ukrainischer Seite für die schnelle und unkomplizierte Aufnahme von Spenden, als auch auf russischer Seite für eine Flucht aus dem abstürzenden Rubel genutzt. Langfristig könnte sich der Ruf von Bitcoin als alternativer Wertspeicher wieder festigen, nachdem er im Zuge der Einpreisung der Zinswende ähnlich wie der Tech-Sektor noch stark gelitten hatte.

onvista-Redaktion

Titelfoto: Tomasz Makowski / Shutterstock.com

(Anzeige)

Das könnte dich auch interessieren

Meistgelesene Artikel