Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Ex-Wirecard-Chef Braun

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DEUTSCHLAND-WIRECARD-ANKLAGE:Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Ex-Wirecard-Chef Braun

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- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Die Staatsanwaltschaft hält den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun für einen der Hauptverantwortlichen für den jahrelangen Bilanzbetrug bei dem zusammengebrochenen Zahlungsabwickler.

Nach mehr als eineinhalbjährigen, umfangreichen Ermittlungen erhob die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen Braun und zwei weitere Wirecard-Manager, wie eine Sprecherin am Montag sagte. Die Ermittler werfen Braun, seinem Bilanzchef Stephan von Erffa und dem Statthalter von Wirecard in Dubai, Oliver Bellenhaus, in der 474 Seiten starken Anklageschrift Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue in mehreren Fällen und gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Braun, der seit Juli 2020 in Untersuchungshaft sitzt, wies die Vorwürfe erneut zurück. Er sieht sich als Opfer einer Bande, "die Millionensummen hinter seinem Rücken veruntreut hat", wie ein Sprecher seiner Verteidiger mitteilte.

Nun ist das Münchner Landgericht am Zug. Wenn es die Vorwürfe für plausibel hält und die Anklage zulässt, könnte der Prozess - einer der spektakulärsten der Wirtschaftsgeschichte - vor der Wirtschaftsstrafkammer im Herbst beginnen. "Wir gehen von mehrjährigen Haftstrafen aus", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen seien aber noch nicht ganz abgeschlossen. Sie richteten sich gegen eine zweistellige Zahl von Beschuldigten.

Der Anklage zufolge haben Braun und seine Manager über Jahre hinweg darauf hingearbeitet, die Firma erfolgreicher aussehen zu lassen, als sie tatsächlich war. "Hierzu erfanden sie angeblich äußerst ertragreiche Geschäfte, vor allem in Asien." Dabei hätten sie spätestens seit 2015 gewusst, dass Wirecard im realen Geschäft mit der Abwicklung von Zahlungen im Internet Verluste erwirtschaftete, und die Zahlen geschönt. Die Jahresabschlüsse von 2015 bis 2018 seien falsch gewesen. Mit der Vorspiegelung angeblich florierender Geschäfte hätten sie von Banken 1,7 Milliarden Euro an Krediten und 1,4 Milliarden Euro in Form von Anleihen erschlichen. Eine Milliarde Euro, die angeblich auf dem Konto eines Treuhänders in Singapur lag, habe es nie gegeben.

Das Geld sollte aus dem sogenannten Drittpartner-Geschäft (TPA) stammen, das Wirecard in Asien vor allem für Kunden aus der Porno- oder Glücksspielbranche betrieb. Auch Insolvenzverwalter Michael Jaffe geht davon aus, dass das Geld nie existierte. Braun besteht darauf, dass es das TPA-Geschäft und die damit verbundenen Erlöse gab. Die Manipulationen an den Geschäftszahlen hätten nur dazu gedient, die Veruntreuung von Milliardensummen zu verschleiern - ohne sein Wissen. "Der weit überwiegende Teil dieser Zahlungen wurde über von Dritten geschaffene Schattenstrukturen veruntreut und auf Briefkastengesellschaften im Ausland verschoben", erklärte der Sprecher Brauns. In den Akten und den Aussagen gebe es keinen Beweis dafür, dass Braun an der Bande beteiligt war, von der die Staatsanwaltschaft ausgeht.

WO IST MARSALEK?

Der langjährige Wirecard-Chef sieht sich als Opfer seines Vorstandskollegen und Vertrauten Jan Marsalek, der seit Juni 2020 auf der Flucht ist. Nach dem Österreicher wird weltweit gefahndet, er wird in Russland vermutet. Wegen eines Bilanzlochs von 1,9 Milliarden Euro musste Wirecard im Juni 2020 Insolvenz anmelden, der Kurs der im Dax notierten Aktie stürzte ins Bodenlose. Mit 24 Milliarden Euro war die Firma zeitweise mehr wert als die Deutsche Bank. Braun habe damit "faktisch sein gesamtes Vermögen" verloren, erklärte der Sprecher. Er warf den Ermittlern vor, sich zu früh auf Braun als Täter festgelegt zu haben, statt nach dem veruntreuten Geld zu suchen.

Die Staatsanwaltschaft verwies auf die Sonderkommission "Treuhänder", die sich in 450 Vernehmungen, 40 Durchsuchungen allein in Deutschland, mit Rechtshilfeersuchen von Belarus bis Singapur und der Sichtung von 42 Terabyte Daten ein umfassendes Bild von der Milliardenpleite und ihren Ursachen gemacht hatte. 340 Firmen und 1100 Konten seien unter die Lupe genommen worden, die Unterlagen umfassten 700 Aktenordner. Die Staatsanwälte legen Braun auch zur Last, teilweise eigenmächtig Kredite in dreistelliger Millionenhöhe an dubiose Firmen veranlasst zu haben. Ein Teil davon sei auf den Konten von Marsalek gelandet. Von Erffa wollte sich nicht zu der Anklageschrift äußern, der Anwalt von Bellenhaus war für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar.

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