EU will kein generelles Visa-Verbot für Russen

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Prag/Berlin (Reuters) - Die Europäische Union sieht von einem generellen Einreiseverbot für Russen vorerst ab, setzt aber ein Abkommen für eine erleichterte Visa-Vergabe vollständig aus. Darauf verständigten sich die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten bei Beratungen am Mittwoch in Prag, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mitteilte. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warb bei dem Treffen für ein solches Vorgehen. Einige EU-Staaten wie etwa die baltischen Republiken forderten ein komplettes Einreiseverbot für alle Russen.

Dagegen sprach sich neben Deutschland auch Frankreich aus. Baerbock machte das Argument geltend, dass die EU regimekritische Russen nicht im Stich lassen dürfe. Mit dem Aussetzen des Abkommens für erleichterte Visa werden Anträge von Russen künftig eingehender geprüft und die Gebühren dafür steigen. Dann können die EU-Staaten jeweils vor Erteilung einer Einreise-Erlaubnis auch in Erfahrung bringen, welche Nähe ein Antragsteller zur Regierung in Moskau hat. Neben den Balten hatten auch Finnland, Dänemark und die Niederlande ein komplettes Einreiseverbot gefordert.

Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte von der EU ein Ende der Visa-Vergabe. "Die Zeit der halben Maßnahmen ist vorbei", erklärte Kuleba in einer E-Mail an die Nachrichtenagentur Reuters. Ein solches Verbot sei angemessen, da die Mehrheit der Russen den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstütze. "Nur eine harte und konsequente Politik kann zu Ergebnissen führen." Er schlug zudem eine Sonderregelung für russische Soldaten vor, die nicht mehr in der Ukraine kämpfen wollten. Die Botschaft solle lauten: "Rette dich und geh. Legt die Waffen nieder, ergebt euch den ukrainischen Streitkräften und erhaltet die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen."

"AUF UNSEREN GESELLSCHAFTLICHEN FRIEDEN ABGESEHEN"

Am Rande der Beratungen in Prag schlugen Deutschland und Frankreich eine Neuausrichtung der Russland-Politik der Europäischen Union vor. "Die harte Wahrheit ist: (Präsident Wladimir) Putins Russland wird absehbar eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit bleiben", schrieb Bundesaußenministerin Baerbock auf Twitter. "Daher werbe ich mit Frankreich für eine Neuausrichtung der EU-Russland-Politik."

Konkret nannte Baerbock vier Punkte: Erstens dürfe es kein Nachlassen in der Reaktion auf den russischen Angriffskrieg geben, "weder bei der Unterstützung der Ukraine noch bei Sanktionen". Dies sei "kein Selbstzweck, sondern Ausdruck dafür, dass Brutalität und Regelbruch Konsequenzen haben". Zweitens müsse die europäische Wehrhaftigkeit gestärkt werden. "Putin hat es auf unseren gesellschaftlichen Frieden abgesehen", mahnte Baerbock. Gebraucht würden neue Technologien und Ausrüstung. Aber auch die Gesellschaft müsse "auf allen Ebenen resilienter werden".

Drittens müsse die EU ihre Partnerschaften weltweit stärken, vor allem im globalen Süden. "Auf sie zielt Putins Propaganda - hier will er seinen Einfluss ausdehnen", erklärte Baerbock. "Wir hören ihnen zu, bieten verlässliche Partnerschaften und faire Investitionen." Viertens dürfe sich Europa nicht abwenden von der russischen Zivilgesellschaft, die nicht "Putins Würgegriff" überlassen werden dürfe. "Mut findet oft im Kleinen statt: am Küchentisch, dem Arbeitsplatz, im Bus", betonte Baerbock. "Wir unterstützen die, die sich gegen das Regime stellen."

All dies werde Putins Weltbild nicht ändern. "Aber im Falle des größten Bruchs mit internationalen Regeln muss die EU Farbe bekennen", forderte Baerbock. "Europa ist ein Riese, wenn wir solidarisch zusammenstehen."

(Bericht von Sabine Siebold, Robert Muller, Alexander Ratz; Redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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