China verfehlt Wachstumsziel klar - "Fühlt sich an wie Rezession"

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China hat 2022 mit einem Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 3,0 Prozent das staatliche Planziel klar verfehlt und fällt als Wachstumslokomotive der Welt aus.

2021 war das BIP in der zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA noch um 8,4 Prozent gewachsen. Für 2022 hat die Führung in Peking ein BIP-Plus von rund 5,5 Prozent angestrebt, konnte es angesichts der lange Zeit verfolgten Null-Covid-Strategie mit strikten Lockdowns aber nicht halten. Mit Ausnahme der 2,2 Prozent Wachstum nach der ersten Corona-Welle im Jahr 2020 ist 2022 sogar das schwächste Jahr seit 1976, wie aus den am Dienstag vorgelegten Daten des Nationalen Statistikamts hervorgeht.

Hinzu kommt, dass sich das BIP-Wachstum im vierten Quartal erheblich verlangsamte. Mit 2,9 Prozent fiel der Zuwachs im Vergleich zum Vorjahreszeitraum weit niedriger aus als im Sommer mit damals 3,9 Prozent. Zum Vorquartal stagnierte die Wirtschaft im Reich der Mitte zum Jahresende sogar. "Für die chinesische Wirtschaft war das Jahr 2022 desaströs. Für ein Industrieland mag ein Wachstum von 3,0 Prozent sehr gut sein - für China fühlt es sich an wie eine Rezession", so das Fazit von Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank.

Laut einer Reuters-Umfrage wird sich das Wachstum im laufenden Jahr wohl wieder auf 4,9 Prozent erholen, da die Führung die Null-Covid-Strategie mittlerweile kassiert hat. Peking will überdies auch die Krise im Immobiliensektor in Angriff nehmen. Die meisten Wirtschaftsexperten erwarten, dass das Wachstum ab dem zweiten Quartal wieder zulegen wird.

Die kommunistische Führung hatte im Dezember unter dem Druck der lahmenden Wirtschaft und nach regierungskritischen Protesten eine abrupte Abkehr von ihrer strikten Null-Covid-Politik verkündet. Seither schlagen viele Corona-Tests an und zeigen ein positives Ergebnis. Mit Blick auf den regen Reiseverkehr zum chinesischen Neujahrsfest am 22. Januar könnte sich die Situation noch verschärfen. Diese brisante Corona-Lage kann nach Ansicht von Wirtschaftsexperten das Wachstum in China kurzfristig weiter beeinträchtigen.

"Mit der Unterstützung von Politik und Notenbank dürfte die Wirtschaft ab dem Frühjahr aber die Kurve bekommen", meint Chefökonom Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Höhere Zuwachsraten würden sich dann aber kaum halten, da China vom Ziel der Wachstumsmaximierung abgerückt sei. Die einstige Wachstumslokomotive der Welt werde dauerhaft deutlich weniger Zugkraft entwickeln.

Bevölkerung schrumpft

Hinzu kommt die Demographie: Erstmals seit der Großen Hungersnot ist die Bevölkerung geschrumpft. Das Nationale Statistikbüro gab die Zahl Ende 2022 mit 1,41 Milliarden an, etwa 850.000 weniger als im Jahr zuvor. "Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind viel düsterer als erwartet", bewertete der Demographie-Experte Yi Fuxian die neuen Daten. "China wird seine Sozial-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Außenpolitik anpassen müssen." Damit dürfte Indien noch in diesem Jahr das bevölkerungsreichste Land der Erde werden.

Die chinesische Bevölkerung war zuletzt 1961 geschrumpft, dem letzten Jahr der Großen Chinesischen Hungersnot. Zu der Entwicklung 2022 trug eine historisch niedrige Geburtenrate von knapp 6,8 je 1000 Einwohner bei. Gleichzeitig stieg die Todesrate mit 7,4 je 1000 Einwohner auf den höchsten Stand seit der Kulturrevolution 1974. Die weitere erwartete Entwicklung lässt sich auch am Rückgang der Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter herleiten: Sie fiel um etwa vier Millionen. Die Vereinten Nationen gehen inzwischen von einem Schrumpfen der Bevölkerung um 109 Millionen bis 2050 aus. Das ist mehr als drei Mal so viel wie noch 2019 vorhergesagt.

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