Scholz trifft auf Standortsorge und Protest bei IAA

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München (Reuters) - Die Bundesregierung hilft der Autoindustrie mit mehr Engagement beim Ausbau der Ladeinfrastruktur, muss sich aber dennoch viel Kritik von der Branche zur Eröffnung der Automesse IAA anhören.

Die Unternehmen investierten in Deutschland weniger wegen der immer schwierigeren Standortbedingungen, warnte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, am Dienstag bei der IAA-Eröffnung mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in München. Zu teure Energie, hohe Steuern, viel Bürokratie und ein immer engeres Korsett durch Regulierung seien "gefährliche wirtschaftspolitische Realität". Die Energiepreise müssten durch den Ausbau der erneuerbaren Energie stark sinken, das Ladestellennetz für E-Autos rasch verdichtet werden, stimmte Scholz zu, mahnte zugleich aber erschwingliche Elektroautos an.

Beim anschließenden Messerundgang kam es an mehreren Ständen zu Protesten von Greenpeace-Klimaaktivisten, die auf Autodächer sprangen und anprangerten, die Autoindustrie zerstöre die Zukunft des Planeten. Nach seinem von Gerangel zwischen Polizei und Kritikern begleiteten Rundgang sagte Scholz, Protest gehöre zur Demokratie, sei in diesem Fall aber anachronistisch und irritierend. Denn die Autoindustrie sei schließlich dabei, mit neuen Technologien die CO2-Emissionen zu reduzieren.

Der Regierungschef, der kürzlich beim Joggen gestürzt war und deshalb eine Augenklappe trägt, nannte einen weiteren Vorteil des Autos: "So schön Joggen ist – für manche Strecken nimmt man doch besser das Auto."

E-AUTOS ZU TEUER

Scholz warb für das Ziel der Bundesregierung, als Hebel zum Klimaschutz bis zum Ende des Jahrzehnts 15 Millionen E-Autos auf deutsche Straßen zu bringen. In Deutschland hat sich der Umschwung zu Elektroautos verlangsamt, da die Bundesregierung seit Anfang des Jahres staatliche Kaufprämien kürzt oder abbaut. Zugleich gibt es erst wenige neue Modelle unter einem Preis von 30.000 Euro mit respektabler Reichweite, die sich breite Käuferschichten leisten können. Experten warnten deshalb, bis 2030 wären womöglich erst sieben bis acht Millionen E-Autos auf der Straße, das Ziel der Regierung werde verfehlt. Manche fordern, der Staat solle Neuwagen noch länger bezuschussen.

Zur IAA kündigten Volkswagen, die deutsche Stellantis-Tochter Opel und Renault für die kommenden Jahre günstige Einstiegsmodelle an, teils unter Preisen von 25.000 Euro. Der Kanzler redete der Autoindustrie indirekt hier ins Gewissen. "Schon jetzt kostet Benzin im Vergleich zu Strom auf 100 Kilometern knapp das Dreifache. Ein durchschnittliches E-Auto amortisiert sich damit oft schon nach fünf Jahren", sagte er. Diese Zeit müsse aber weiter verkürzt werden, forderte Scholz in Anspielung auf den hohen Preis.

Nach dem im Oktober beschlossenen "Masterplan Ladeinfrastruktur" sollen bis 2030 eine Million öffentliche Ladepunkte neben privat betriebenen Stromzapfstellen entstehen. Dazu kündigte Scholz den nächsten Schritt an: "Wir werden als erstes Land in Europa in den nächsten Wochen ein Gesetz auf den Weg bringen, mit dem die Betreiber fast aller Tankstellen dazu verpflichtet werden, Schnelllademöglichkeiten mit mindestens 150 Kilowatt für E-Autos bereitzustellen." Derzeit gebe es 90.000 öffentliche und 700.000 private Ladestationen. Zudem werde die staatliche Förderbank KfW im Herbst ein Programm aufsetzen, das die Installation von privaten Ladestellen in Kombination mit Solaranlagen und Speichern fördere, sagte der SPD-Politiker.

KEINE ANGST VOR CHINA

Die VDA-Chefin verwies auf Länder wie die USA und China, die Klimaschutz und saubere Technologien mit Subventionen, Protektionismus, deutlich geringeren Energiepreisen oder der Absicherung von Rohstoffen förderten. "Wir wollen dem Standort Deutschland treu bleiben, ohne Frage", sagte sie, "aber der Druck steigt angesichts der schwachen Konjunktur und den international nicht mehr wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen."

Der Kanzler wies Ängste vor Konkurrenz durch chinesische E-Auto-Hersteller zurück, die auf der IAA zahlreich vertreten sind und in Europa Marktanteile gewinnen wollen. Es habe früher die Sorge vor der Konkurrenz mit japanischen, später dann koreanischen Autobauern gegeben, sagte er. Konkurrenz sollte die deutschen Konzerne eher anspornen. Scholz verwies zudem darauf, dass die Politik den Abschluss von Rohstoffpartnerschaften fördere und begleite, mit denen sich Firmen nötige Rohstoffe in anderen Teilen der Welt sichern sollen. Man müsse den Ländern etwa in Afrika eine faire Zusammenarbeit anbieten, was die Verarbeitung von Rohstoffen in den Herkunftsländern erfordere. Wachsender Wohlstand in Entwicklungsländern werde die Nachfrage nach Autos enorm steigern. "Dem riesigen, weiter steigenden Bedarf müssen wir ein nachhaltiges Angebot gegenüberstellen."

(Bericht von Jan C. Schwartz, Victoria Waldersee, Andreas Rinke, Ilona Wissenbach, Reuters TV; redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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