Kolumne von Stefan Riße

Die Aktien sind in den Händen der Zittrigen

Stefan Riße · Uhr
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Auf der Suche nach einem Instrument für das kurzfristige Markttiming wurde ich Mitte der Neunzigerjahre mit den Stimmindikatoren fündig. Ich komme ja aus der Schule des Börsenaltmeisters André Kostolany. Dieser teilte die Anleger in die sogenannten „Hartgesottenen und Zittrigen“ ein. Befinden sich die Papiere in den Händen der Hartgesottenen, was stets dann der Fall ist, wenn die Börsen korrigiert haben, kann man gelassen in den Aktienmarkt einsteigen.

Liegt die überwiegende Zahl der Aktien aber in den Händen der Zittrigen, dann ist ein großer Rückschlag vorprogrammiert, so seine Theorie. Denn im Gegensatz zu den Hartgesottenen lassen sich die Zittrigen erst von stark steigenden Kursen anziehen, als sei dies eine Art „Proof of Concept“. Es wächst ihre Angst, etwas zu verpassen. Sind sie dann eingestiegen und es kommt ein stärkerer Rückschlag, haben sie aber weder die Geduld noch die mentale Kraft durchzuhalten, bis sich die Lage bessert.

Ihre Panikverkäufe lösen dann den Crash aus. Anschließend sind die Aktien wieder deutlich günstiger und die Hartgesottenen greifen zu. Aber wie soll man herausfinden, in welcher der beiden Gruppen sich die Aktien gerade befinden? Das war die Herausforderung. Ein exaktes Ergebnis wird man nie bekommen, aber die Stimmungsindikatoren drücken es ganz gut aus. Die meisten von Ihnen spiegeln nämlich nur die Stimmung der Zittrigen wider, weil sie die Stimmung der Massen messen. Und die Mehrheit der Marktteilnehmer gehört zu den Zittrigen. Das gilt auch für die Mehrheit der institutionellen Anleger.

Die Hartgesottenen sind hingegen eine verhältnismäßig kleine Gruppe, die aber viel Vermögen auf sich vereint. Warren Buffett dürfte wohl der berühmteste Hartgesottene sein, dazu zählen aber eben auch Pensionskassen oder Vermögensverwalter wie wir, die sich nicht von Börsenschwankungen leiten lassen, sondern sich als Investoren in gute Unternehmen verstehen. Die Conclusio ist einfach: Je optimistischer die Stimmung, desto stärker hat die Masse der Anleger bereits ihr Geld in Aktien investiert.

So fehlt entsprechendes Kaufpotenzial, denn die Hartgesottenen kaufen nicht, wenn Aktien teuer sind. Umgekehrt, je pessimistischer die Stimmung, auf desto größeren Cash-Reserven sitzt die Mehrheit der Anleger und entsprechend groß ist das Kaufpotenzial. Stimmungsindikatoren sind daher antizyklisch zu lesende Kontraindikatoren.

Trotz Euphorie können die Kurse noch lange weiter steigen

Über rund 30 Jahre verfolge ich eine Vielzahl von ihnen. Die meisten werden aus dem Verhältnis von Umsätzen von Puts zu Calls, den Empfehlungen von Börsenbriefen und durch Umfragen unter institutionellen Anlegern, Anlageberatern und Privatanlegern ermittelt. Wenn ich eines in dieser Zeit auch manchmal schmerzlich gelernt habe, dann die Tatsache, dass trotz Euphorie die Kurse manchmal noch lange weiter steigen. Viel besser funktioniert das Timing auf der Unterseite, wenn Panik herrscht. Erreichen gewisse Stimmungsindikatoren Tiefstwerte, ist die Wende meist nicht mehr weit entfernt. Börsen können dagegen noch Monate weiter klettern, auch wenn schon Euphorie herrscht. Was sich aber auch gezeigt hat: Steigt der Optimismus auf historisch betrachtet gefährlich hohe Niveaus, kommen die Kurse irgendwann wieder auf das Niveau zurück, das sie hatten, als die Stimmungsindikatoren die Verkaufszone erstmals erreichten. Zwischenzeitlich kann es nur eben noch länger aufwärts gehen.

Optimismus herrscht fast ausschließlich im Technologiesektor

Die Gefahrenzone haben wir aktuell längst überschritten. Zuletzt ist der Sentimentindikator von Goldman Sachs, der die aktuelle Positionierung zum Durchschnitt der letzten zwölf Monate misst, geradezu nach oben geschossen. Der in dieser Kolumne oft erwähnte Hulbert-Newsletter-Index für die Nasdaq erreichte mit 98 Prozent Optimisten in den 24 Jahren seiner Existenz einen nie dagewesenen Rekord. Ohnehin ist auffällig, dass die Euphorie sich eigentlich nur auf eine Aktiengattung bezieht, nämlich den Infotech-Sektor. Man sieht es gut an den Mittelzuflüssen in Sektorfonds.

Nur dieser Bereich erfährt derzeit Zuflüsse. Er hat damit einen weiter steigenden Korrekturbedarf. In einer ersten Abwärtsbewegung dürfte auch der ganze Aktienmarkt leiden, die Verluste in anderen Sektoren sollten aber begrenzt bleiben, weil hier keine übermäßige Positionierung erkennbar ist und auch die Bewertungen sich im Rahmen historischer Durchschnitte bewegen, bei Small- und Mid Caps sogar darunter. Das Kurspotenzial von Titeln aus der zweiten Reihe, so sie eine starke Bilanz und ein starkes Geschäftsmodell haben, ist langfristig hoch. Aber immer daran denken, es kann dauern.

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