Wirtschaftsweise kappen Konjunkturprognose - "Sind schlechte Zahlen"

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- von Christian Kraemer und Klaus Lauer und Rene Wagner

Berlin (Reuters) - Die Wirtschaftsweisen und die EU-Kommission haben ihre Konjunkturprognose für Deutschland im laufenden Jahr gesenkt.

Statt der noch im Herbst erwarteten 0,7 Prozent Wachstum sagen sie in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Frühjahrsgutachten nur noch ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,2 Prozent voraus. Die EU-Kommission geht gar nur von einem Plus von 0,1 (bisher: 0,3) Prozent aus - von allen EU-Staaten würde damit nur das stagnierende Finnland noch schlechter abschneiden. Im kommenden Jahr soll es dann zu einem Anstieg von 0,9 Prozent reichen, so der fünfköpfige Sachverständigenrat Wirtschaft um die Vorsitzende Monika Schnitzer. "Das sind schlechte Zahlen", sagte dessen Mitglied Martin Werding bei der Vorstellung des Gutachtens für die Bundesregierung in Berlin. Zum Vergleich: 2023 war Europas größte Volkswirtschaft noch um 0,2 Prozent geschrumpft.

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht dennoch konjunkturell bessere Zeiten aufziehen. "Ein stabiler Aufschwung ist möglich", sagte er auf dem Industrie- und Handelskammertag in Berlin angesichts der zuletzt gesunkenen Inflation, verbesserter Geschäftsaussichten und der im ersten Quartal gestiegenen Produktion. "Aber ohne strukturelle Veränderungen geht es nicht", mahnte Scholz zugleich. So könne man nicht nur die konjunkturellen Schwächen überwinden, sondern langfristig für mehr Wachstum sorgen. Als nötiges Element nannte der SPD-Politiker etwa den Bürokratieabbau.

Die Wirtschaftsweisen setzen darauf, dass die Verbraucher wieder mehr kaufen. "Die privaten Haushalte konsumieren aktuell noch zurückhaltend, die Industrie und die Baubranche verzeichnen nur geringfügig neue Aufträge", erklärte Werding die gedämpften Aussichten. "Wir erwarten allerdings, dass die deutsche Wirtschaft im Verlauf des Jahres 2024 etwas an Fahrt gewinnt." Dazu sollen die privaten Verbraucher mit höheren Konsumausgaben beitragen, da die Realeinkommen deutlich steigen dürften. Ein Grund dafür ist die sinkende Inflation: Die Teuerungsrate soll zunächst auf 2,4 Prozent fallen, 2025 dann auf 2,1 Prozent. 2023 lag sie noch bei 5,9 Prozent.

Frische Impulse sollen der Welthandel und die globale Industrieproduktion liefern. "Im laufenden und im kommenden Jahr werden die deutschen Exporte vom steigenden Welthandel profitieren", sagte die Sachverständige Veronika Grimm dazu. "Allerdings sehen sich die exportorientierten Unternehmen mit einem scharfen Wettbewerb, steigenden Arbeitskosten und weiterhin erhöhten Energiepreisen konfrontiert." 2024 sei noch mit einem Exportrückgang von 0,3 Prozent zu rechnen, 2025 dann aber wieder mit einem moderaten Wachstum von 1,8 Prozent.

EZB-ZINSSENKUNG SOLL ERST 2025 FRÜCHTE TRAGEN

Etwas Rückenwind dürfte von der Europäischen Zentralbank (EZB) kommen. "Wir gehen davon aus, dass die EZB noch in diesem Sommer die Leitzinsen senken wird", sagte die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier. "Die damit verbesserten Finanzierungsbedingungen für Unternehmen werden die privaten Investitionen ankurbeln." Allerdings: Die Zinssenkung dürfte frühestens 2025 die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stützen, so das Gremium.

Kritisch sehen die Expertinnen und Experten den Arbeitsmarkt. Dort hätten sich die strukturellen Bedingungen verschlechtert, da der demografische Wandel fortschreite und die durchschnittlichen Arbeitszeiten zurückgehen. "Unternehmen fällt es zunehmend schwer, offene Stellen zu besetzen", heißt es in dem Gutachten für die Bundesregierung. "Gleichzeitig verzichten viele Unternehmen trotz einer schlechten wirtschaftlichen Lage darauf, Beschäftigte zu entlassen."

Der Sachverständigenrat wurde 1963 per Gesetz mit dem Mandat eingerichtet, aus unabhängiger Expertensicht regelmäßig die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik zu bewerten. Außer Schnitzer, Werding, Grimm und Malmendier gehört auch Achim Truger dem Gremium an.

(Mitarbeit: Andreas Rinke, geschrieben von Rene Wagner, redigiert von Sabine Ehrhardt - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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