Aktiendämmerung - Haben die Notenbanken ihr Pulver verschossen?

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Aktienmärkte scheinen durch gleich mehrere Folterknechte heimgesucht zu werden: Chinas Börsenkrise und Zweifel an seiner Wirtschaftskraft, die unselige Diskussion über die US-Leitzinswende, ein sich zuletzt abschwächendes Konsumklima in Deutschland und die aktuell saisonal schlechte Zeit für Aktien. Müssen sich die Anlegerinnen und Anleger also auf noch mehr Schmerzen einstellen?

In China ist mehr als ein Sack Reis umgefallen

Lange Jahre galt China vor allem für die deutsche Exportwirtschaft als Gesundbrunnen. Diese zugkräftige Weltkonjunktur-Lokomotive hat uns gut durch die Euro- bzw. Russlandkrise gebracht. Doch zeigen sich jetzt Risse in dieser makellos schönen Wirtschaftsfassade. Und daran muss man sich als Anleger erst einmal gewöhnen. Ohnehin hat der chinesische Immobilienmarkt seine besten Zeiten hinter sich und der fallende Aktienmarkt hinterlässt bei den chinesischen Konsumenten einen Neuen Markt-ähnlichen, bitteren Beigeschmack. Wer über Immobilien und Aktien einen negativen Vermögenseffekt erlitten hat, wird in seiner Konsum- und Investitionsneigung sicherlich nachlassen. Bereits jetzt steht beim chinesischen Wirtschaftswachstum - wenn man es ehrlich messen würde - schon längst nicht mehr die Sieben, sondern eher die Vier vor dem Komma. Gemeinsam mit dem Land der Mitte sitzen die asiatischen Handelspartner in einem Boot und haben bereits nasse Füße bekommen. Auch deren Aktienmärkte sind vom China-Schock betroffen.

Janet Yellen: Von der Mutti zur Stiefmutter

Ebenso ist für die Aktienanleger die Geldpolitik der US-Notenbank schwer verdaulich. Lange Zeit hatte Frau Yellen bei mir einen Stein im Brett, weil sie sich mit einer behutsamen Geldpolitik um die Konjunktur in Amerika und in der Welt verdient gemacht hat. Mittlerweile jedoch zeigt sie mit ihrer planlosen Ich erhöhe die Zinsen, ich erhöhe sie nicht-Politik Schwächen, wo eigentlich Stärken gefragt sind. Die US-Notenbank ist nicht irgendein Karnickelzuchtverein, sondern die entscheidende Institution in unserer Finanzwelt. Wenn schon die Fed in Zeiten wie diesen schwankt, wie sollen dann Aktienmärkte oder nachfolgend die Realwirtschaft stabil sein?

Liebe Janet, lass die Hände weg von der US-Leitzinswende. Es gibt keinen wirklichen Grund dafür. Inflation ist doch auch kein Thema. Steigende Zinsen würden zu höheren Kreditzinsen, einem teureren Dollar und damit schwächeren US-Exporten führen.

Auch würde ein aufwertender US-Dollar die wirtschaftsschädliche Kapitalflucht aus den Emerging Markets verstärken und die Bedienung ihrer mehrheitlich auf US-Dollar-Basis aufgenommenen Kredite erschweren. Außerdem führt ein starker US-Dollar zu schwachen Rohstoffpreisen, damit zu sinkenden Staatseinnahmen und schließlich einer schwachen Kaufkraft der Rohstoffländer zulasten der Weltwirtschaft. Damit droht ebenso ein weltweites Deflationsszenario.

Und nicht zu vergessen: Das Volumen der Wertpapierkredite an der New Yorker Börse ist weit größer als zur Hochzeit der Dotcom- bzw. Immobilienblase. Was passiert, wenn Zinsen steigen, ist doch klar: Die teurer werdenden Kredite werden mit erzwungenen Verkäufen von Aktien zurückgeführt. Und sinkende Kurse steigern die Konsumlaune von Peter, Paul and Mary gewiss nicht.

Auch China ist gezwungen, geldpolitisch zu sündigen

Während die Fed sich nicht bewegen darf, muss die Notenbank in China zu einem wahren Bewegungswunder werden. Sie mag sich offiziell zwar noch gegen eine zügellose, lasterhafte Geldpolitik wie die der Fed, der EZB oder der Bank of Japan sträuben. Aber der Finanzmarkt wird sie dazu zwingen bzw. hat es bereits getan: Die Leitzinsen und die Anforderungen für die Mindestreservehaltung der chinesischen Banken wurden erneut gesenkt. Und falls die Finanzmärkte in China weiter crashen und das Risiko schwerer realwirtschaftlicher und sozialpolitischer Schäden droht, wird die Peoples Bank of China neben weiteren Zinssenkungen, notleidende Kredite und ebenso indirekt über Pensionsfonds massenhaft Aktien aufkaufen. In der Not frisst man auch in China Fliegen, um nicht das zweite Japan zu werden.

Die Notenbanken müssen wieder die Lufthoheit über den Börsen-Stammtischen erringen

Die internationale Geldpolitik muss das verunsicherte Kopfkino der Anleger wieder in den Griff bekommen, damit aus einer finanzwirtschaftlichen Mücke kein die Volkswirtschaft zertrampelnder Elefant wird. Zur Erinnerung: Die Pleite der Lehman-Bank allein betrachtet war nicht schlimm, fatal wirkte sich erst die anschließende Risikoaversion aus. Damals wollte man nur noch Cash halten, nicht konsumieren bzw. investieren, weder in die Finanz- noch in die Realmärkte. Die Notenbanken hüben wie drüben müssten mit der Muffe gepufft sein, wenn sie diese Gefahr nicht offensiv bekämpften. Sie werden sich daran erinnern, wie mühsam es war, nach dem Platzen der Immobilienblase gegen die negative Stimmung von Anlegern, Konsumenten und Investoren anzustinken. Wir sind eben alle keine programmierbaren Maschinen, sondern Menschen mit Ängsten. Wenn es hart auf hart kommt, verstecken wir uns wie das scheue Reh gerne im Wald und kommen erst dann wieder heraus, wenn die Luft rein ist. Bis dahin allerdings kann die Wirtschaft längst eingebrochen sein.
Und was sollen die Anleger nun tun?
Mir ist es lieber, die Aktienmärkte toben sich jetzt als später im Herbst aus. Vorerst wird die Schwankungsbreite bei Aktien hoch bleiben. Doch wird die internationale Geldpolitik einen nachhaltigen Bärenmarkt verhindern (müssen). Ihre langjährige Allmacht in der Finanzwelt kann sie nicht durch plötzliche Impotenz ersetzen. Das wäre so, als würde man bei einem Schwerkranken die Lebenserhaltungsmaschinen abschalten. Die geldpolitische Illusion muss aufrecht erhalten werden. Das mag wie ein Stoßgebet klingen. Aber jetzt mal ehrlich: Kennen Sie eine Alternative? Aus dieser geldpolitischen Nummer kommen wir nie mehr heraus.

Überhaupt, die fundamentale Lage in der Eurozone - das zeigen die letzten ifo-Zahlen und die Einkaufsmanagerindices auf nationaler EU-Ebene - ist stabiler als man mit Blick auf die Aktienmärkte annehmen könnte. Interessanterweise werden von den globalen Investoren Deutschland und die Eurozone zurzeit als vergleichsweise stabil betrachtet. Aus den negativen Schlagzeilen mit Griechenland sind wir einstweilen heraus. Außerdem hat Europa aufgrund der Euro-Krise konjunkturelles Nachholpotenzial und eine der Konjunkturstützung verpflichtete EZB. Die Chancen, dass Anlagegelder den Weg von Amerika und Asien nach Europa finden sind gut. Auch hiesige Investoren bringen das Anlagegeld wieder nach Hause.
Anleger sollten ihre regelmäßigen Aktienansparpläne unbedingt weiterführen oder damit beginnen. Immerhin bekommen sie bei schwächeren Kursen für den gleichen Euro-Anteil mehr Aktienanteile. Im Übrigen kann man die Aktienbestände mit Teilschutzzertifikaten, die aufgrund der dramatisch gestiegenen Kursschwankungen günstige Konditionen bieten, gut absichern. Grundsätzlich glaube ich, dass wir uns wieder Kaufkursen nähern. Ich rechne nicht mit einem langen Abwärtstrend wie z.B. nach der Dotcom-Krise. Heutzutage arbeiten Finanzmärkte vermeintliche Übertreibungen deutlich zügiger ab als früher. Die Aktienmärkte sind deutlich beweglicher geworden. Und die Zinsmärkte bleiben eins: Unattraktiv.
Gehen Sie mit den Notenbanken, bleiben Sie Aktien treu! Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen

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