Das Joch der Stopp-Loss Order

Stefan Riße · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Wenn man so wie ich häufiger als Vortragsredner unterwegs ist und vor Publikum Erfolgsrezepte für ein erfolgreiches Agieren an der Börse verraten soll, dann bietet sich fast nichts besser an als der Ratschlag: Setze Sie immer einen Stopp-Loss! Meistens hat das Publikum ja schon etwas Börsenerfahrung und auch schon böse Abstürze erlebt. Wem ging es nicht so in den bewegten vergangenen Jahren? Doch die bösen Abstürze ließen sich zukünftig vermeiden, so der Ratschlag. Man müsse sich nur überwinden, auch mal mit Verlust zu verkaufen und schon würde man die großen Verluste vermeiden, während man die Gewinne laufen lassen solle. Das ist immer eingängig und erntet Zustimmung. Jüngst auf einer Veranstaltung, auf der sich Vermögensverwalter präsentierten, wurden diese vom Moderator dann auch gefragt, wie sie denn Verluste begrenzen würden. Stopp-Loss lautete der Tenor, der allgemein begrüßt wurde. Ich tat mich schwer mit der Antwort.

Stopp-Loss ist heute mehr die Regel als die Ausnahme

Dann ist Börsenerfolg also ganz einfach. Man begrenzt Verluste und lässt Gewinne laufen. Diejenigen, die das nicht schaffen, sind die Verlierer? Diejenigen, die es hinbekommen, die Gewinner? Weil es manchmal zu verlockend ist, einen Gewinn zu sichern und oft schmerzhaft, Verluste zu realisieren, tun sich manche Anleger damit tatsächlich schwer. Es ist aber naiv zu glauben, dass deren Verluste automatisch diejenigen zu Gewinnern macht, die die Disziplin aufbringen. An unseren vor allem von institutionellen Anlegern geprägten Kapitalmärkten gibt es ausreichend viele Anleger, die erfahren genug sind, diesen Ansatz auch umzusetzen. Da gibt es Gremien, die so etwas beschließen und dann werden solche Konzepte auch befolgt. „Bei Erreichen Stopp-Loss streichen“ mag der geneigte Privatanleger tun können, der angestellte Händler einer Fondsgesellschaft oder eines Hedgefonds ist sein Job los, wenn er die Vorgaben nicht umsetzt. Und was hätte er auch davon, es ist ja gar nicht sein Geld.

Die Computer haben das Risikomanagement übernommen

Im IT-Zeitalter ist es aber noch einfacher geworden. Der Computer hat keine Emotionen und so ist es an ihm, die Stopp-Marken setzen und überwachen zu lassen. So hat kein Mensch mehr – geleitet vom Prinzip Hoffnung - die Chance an der Strategie etwas zu ändern.

Viele Anlagekonzepte sind heute so ausgelegt, dass sie mit automatischen Verlustgrenzen arbeiten. Das lässt sich bei privaten wie institutionellen Anlegern gut verkaufen. In sogenannten Backtests schaut man sich an, wie die Strategie in der Vergangenheit funktioniert hätte. Das sieht immer gut aus. Im Lehman-Crash hätte man sich dann mit Verlusten von beispielsweise nur zehn Prozent begnügt, gegenüber mehr als 30 Prozent bei anderen Anlegern. Doch erzielen diese Produkte Gewinne und bessere Renditen als zum Beispiel solche, die dauerhaft investiert sind? Leider nicht. Das heißt nicht, dass sie schlecht sind, doch so einfach wie es aussieht, ist es wie immer an der Börse nicht.

Was alle machen, funktioniert selten

Es ist davon auszugehen, dass die jüngste Abwärts- und anschließend genauso schnelle Aufwärtsbewegung ein Werk dieser ganzen Stopp-Loss Orders war. Die Aktien fallen und wenn der Index einen gewissen Stand erreicht hat, wird verkauft, ob fundamental gerechtfertigt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Die Verkäufe lösen neue Verluste aus, die zum Erreichen weiterer Stopp-Marken führen. So geht das Spiel munter weiter, bis alle, die dieses Konzept verfolgen, ausgestiegen oder abgesichert sind. Doch nun sind die Kurse vermutlich fundamental unberechtigt tief und erste mutige Käufer wagen sich aufs Feld. Die Kurse steigen und nun geht das Spiel in umgekehrter Weise los. Denn Stopp-Loss ist heute längst nicht nur bei fallenden Kursen angesagt, sondern auch bei steigenden. Denn auch Short-Spekulationen wollen im Verlust begrenzt sein. Irgendwann sind dann nach oben hier die ersten Marken erreicht, das löst weitere Käufe aus und all diejenigen institutionellen Anleger, die eine Benchmark verfolgen, müssen nun ihre Absicherungen wieder auflösen, damit sie nach oben nicht alles verpassen. Im Ergebnis sind sie dann relativ weit unten ausgestiegen und weiter oben wieder eingestiegen. Nerven behalten und einfach drin bleiben, wäre besser gewesen.

Die Marktteilnehmer verändern die Märkte

Sollte man also auf Stopps verzichten? Nein, sicher nicht generell, aber begreifen, dass sie nicht das Allheilmittel sind. Dadurch, dass es sie heute so zahlreich gibt, entstehen wahrscheinlich erst Marktbewegungen wie diese. Der Blick in die Vergangenheit kann daher trügerisch sein. Manchmal ist es vielleicht doch besser, Nerven zu bewahren und durchzuhalten, was fundamental richtig ist.

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