Die Abschaffung des Bargelds - Vorgeschobene und tatsächliche Gründe

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Bislang galt es eher als (Verschwörungs-)Theorie hinter vorgehaltener Hand, doch mittlerweile ist das Thema im Mainstream angekommen: Die Bargeldabschaffung. Folgt man den Befürwortern, klingen die Argumente tatsächlich logisch, zumindest nachvollziehbar. Was spart sich die Volkswirtschaft nicht alles an zahlungstechnischem Aufwand, wenn selbst der Kaugummi mit EC- oder Kreditkarte bezahlt wird: In der virtuellen Geldwelt braucht man kein aufwendiges Kassenmanagement, keine kostspieligen Überwachungsinstrumente oder teure und gefährliche Geldtransporte.

Überhaupt, ist das Bargeldsystem erst einmal ad acta gelegt, wird auch der Sumpf der Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit und Drogenkriminalität trocken gelegt. Eine handwerkliche Leistung gegen Gegenleistung im DIN A-Umschlag - soll ja vorkommen - ist dann unmöglich. Denn eine Bargeld-vegane Tauschwirtschaft - z.B. Bad neu fliesen lassen gegen einen dicken Pastrami-Schinken und 200 Eier  - ist deutlich weniger attraktiv. Ohne Zweifel, der Schattenwirtschaft würden durch Bargeldlosigkeit die Zähne gezogen. Wenn so ziemlich alles auf Rechnung geht, käme Vater Staat aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Mit deutlich mehr Steuergeld würde der Bundeshaushalt nachhaltig schwarze Nullen schreiben. Ich höre schon heute wie aus den Finanzamtsstuben ein leicht veränderter Top-Schlager von 2014 erklingt: Bargeldlos durch die Nacht .  

Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese zwei dicken Argumente pro Bargeldabschaffung klingen doch nun wirklich überzeugend, um Bargeld fremdzugehen und zu Liebhabern von Plastikgeld zu werden, oder?

Datensicherheit ist eine Illusion, der gläserne Kunde wird Realität 

Allerdings verschweigen uns die Bargeld-Fleischlosen die Nachteile. Wer jemals an der Tankstelle oder an der Supermarktkasse in der Schlange gestanden hat, weiß, dass Kartenzahlung nicht die reine Freude ist. Wie oft wird die Karte vom Inhaber verkehrt herum in das Lesegerät gesteckt oder wie oft wird der falsche Pin-Code eingegeben, der neuerdings immer häufiger verlangt wird? Dagegen geht Bargeldbezahlung Ruckzuck. Aber wer weiß, vielleicht wird ja zukünftig jedem Erdenbürger ein Chip implementiert, der bei Verlassen des Supermarkts sofort die virtuelle Bezahlung der Rechnung veranlasst und nebenbei - als kostenlosen Zusatznutzen - auch noch Blutdruck und Cholesterinwerte misst.  

Und Datensicherheit? Wenn das amerikanische Justizministerium, die US-Armee und selbst das Smartphone der Kanzlerin gehackt werden, darf man durchaus die frevelhafte Frage nach der Datensicherheit virtueller Zahlungsströme stellen. Kommt das Geld wirklich dort an, wo es der Überweisende hinhaben wollte?

Apropos virtuell, wenn alle Zahlungen nur noch per Karte abgewickelt werden, sind Zahlungsleistende und -empfänger so durchschaubar wie Kirschen im Einweckglas. Und spätestens dann laufen die Marketing- und Vertriebsabteilungen zur Hochform auf. Wer z.B. sonntags ins Café geht und virtuell bezahlt, hat sich eindeutig zu seiner Neigung zu Kaffee und Kuchen bekannt. Wundert es da noch, wenn einem das Internet ungefragt Werbung von Dr. Oetker oder Tchibo zukommen lässt? Am Ende wird man beim Besuch im Café schon gar nicht mehr gefragt, was man bestellen möchte, sondern es kommt basierend auf zahlungstechnisch dokumentierten Essgewohnheiten unaufgefordert z.B. Erdbeertorte mit Schlag.

Die Geldpolitik ist zwar ultralocker, aber keiner will Kredit, dafür aber Zinsanlagen

Spaß beiseite. Um was es den Befürwortern der Bargeldabschaffung neben gläsernen Bankkunden und noch mehr Steuergroschen tatsächlich geht, ist die künstliche Konjunkturbeschleunigung, die auf normalem Weg nicht zu gelingen scheint. Denn bei der Bekämpfung der Euro-Staatsschuldenkrise war die EZB ohne Zweifel allmächtig, aber in punkto Bekämpfung der Konjunkturkrise bislang eher ohnmächtig. Die Leitzinsen sind zwar de facto null und Zentralbankgeld gibt es wie Sand am Meer, aber die Konjunktur in der Eurozone springt leider nur an wie frühere italienische Autos: Si, Si, No! Draghis zinspolitische Umschmeichelung wird von der Privatwirtschaft offenbar verschmäht: Viele Unternehmen bekommen entweder keinen Kredit wegen nicht vorhandener Bonität oder betreiben eine investitionsfeindliche Liquiditätshaltung. Und die Euro-Bürger horten trotz ultraniedriger Anlagezinsen weiter unbekümmert Geldberge bei Banken und Sparkassen. Und nicht nur das, sie sparen sogar noch mehr, um die niedrigen Zinsen zu kompensieren.

Wie kommt das Spargeld in die Wirtschaft?

Damit Investitionen und Konsum wieder in die Gänge kommen, denken die Bargeldabschaffer an ein unkonventionelles Konjunkturprogramm: Die EZB müsste ihre Leitzinsen deutlich unter null fallen lassen und über üppige Liquiditätspolitik auch die Renditen von Staatspapieren und Unternehmensanleihen nachhaltig in negatives Territorium bringen. Auf diese Weise würde man den Unternehmen und selbst den sparwütigsten Bürgern der Eurozone die Lust an Kassenhaltung und Sparen gründlich vermiesen. Wenn sie das Geld stattdessen ausgeben, tun sie was für die Konjunktur. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise hatte bereits die US-Notenbank überlegt, Negativzinsen von vier oder fünf Prozent einzuführen, damit nicht mehr gespart, sondern konsumiert und investiert wird. Bei uns wäre diese Maßnahme besonders wirkungsvoll, denn bei uns wird im Gegensatz zu den USA wirklich viel gespart. Was für ein Schwellenland ähnliches Wirtschaftswachstum könnte erreicht werden, wenn auch nur Teile der 6,4 Billionen Euro Spargeld in den Konsum gelangten? Eine herrliche Vision.

Es gibt aber einen dicken Haken: Leider ist in unserem Papiergeldsystem bei null Schluss mit zinspolitisch lustig. Würden die Zinsen und Renditen deutlich unter null fallen, geht das Geld nicht mehr als Spargeld zur Bank oder Sparkasse, sondern findet als Bargeld den Weg in den Keller oder unter die Matratze. Denn nur so entkämen die Sparer dem Zinsnachteil einer Spareinlage bzw. kämen in den Genuss eines Zinsvorteils. Dann ginge unsere Finanzwelt ein wie ein Primelchen in der Urlaubszeit, wenn es nicht gegossen wird. Der Bank Run, der Ansturm auf die Banken, die Schlacht um das wenige Bargeld, das nur ca. sechs Prozent der gesamten Geldmenge des Euro-Währungsraums ausmacht, würde zur Pleite des gesamten Bankensystems führen. Und die Realwirtschaft ginge am Ende auch völlig leer aus.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Unser Papiergeldsystem ist also das entscheidende Hindernis, Zinsen und Renditen unter die Nullmarke zu senken. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Bargeld muss weg! Dann lassen sich Negativzinsen auch ohne Bank Run und ohne Bargeldhortung umsetzen. Wer sieht, dass sein Sparguthaben bereits nominell - also vor Inflation - weniger wird, dürfte sein Geld retten, indem es für Immobilien, Autos oder Möbel ausgegeben wird. 

Das wäre doch eine smartere Version von Der Staat will an unser Geld als Steuern oder Sozialabgaben zu erhöhen. Was ist uns wohl lieber: Steuern zahlen oder Geld ausgeben?    

Liebe Leserinnen, liebe Leser, Sie halten die Bargeldabschaffung für utopisch? Hätten Sie vor 2008 gedacht, dass unser Finanzsystem schulden-, geld- oder stabilitätspolitisch dort steht, wo es heute steht?

Bleibt die Frage, wann es so weit ist. Ich glaube, es wird kommen, wenn auch nicht über Nacht. So hat die Politik Zeit, die Bevölkerung an die Bargeld-Fleischlosigkeit zu gewöhnen. Zum Vergleich, wenn der Schwiegersohn 10 Mal am Tag das Wort Schwiegermutter ausspricht, verliert es früher oder später auch an Dramatik. Der 500 Euro-Schein ist der erste, der entsorgt wird, dann der 200er und dann der 100er. Das Klimpergeld ist ohnehin frühzeitig weg. Gleichzeitig wird die Möglichkeit der Bargeldabhebung zunehmend erschwert.

Zum Schluss hätte die Bargeldlosigkeit die Konjunktur dramatisch stabilisiert. Selbst der eiserne deutsche Sparer würde zu einem Konsumenten der US-amerikanischen Machart.  
Und was machen die Anleger?

Auch unter der Perspektive der Bargeldabschaffung wird Zinssparen nicht attraktiver, im Gegenteil. Auf unterirdische Zinsen, die meine Altersvorsorge schneller altern lassen als ich selbst, habe ich keine Lust.  Ich habe mein Zinsvermögen längst auf ein erträgliches Maß gestutzt. So erspare ich mir nicht zuletzt zukünftige Streiche der Geldpolitik. Zum Glück gibt es ja Ersatzbefriedigungen: Aktien, deren Dividenden ich langfristig immer wiederanlege, sichern mir einen alternativen Zinseszinseffekt.

Überhaupt, ist die Konjunktur durch mehr bargeldlosen Konsum und Investition gesund, freut sich der Aktienmarkt auch fundamental.

Sollen sie doch das Bargeld abschaffen, ich habe mein Refugium!

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG:
http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen

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