Ein einziger Wunsch

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo Leute! Gestern hat mich ein Jahresausblick der besonderen Art erreicht. Er geht weit, weit über die Themen der Finanzmärkte hinaus. Larry Hatheway, der Autor, hat mich wirklich sooo tief beeindruckt, dass ich seine Gedanken und Hoffnungen für 2017 unbedingt an Euch, meine Freunde, weiterleiten will. Sie passen in diese Tage! Larry Hatheway ist Chefökonom bei GAM, die zu den führenden unabhängigen Vermögensverwaltungsgruppen der Welt gehört.

Eingangs schreibt er: „Leider wurden nur wenige meiner letztjährigen Wünsche in diesem Jahr wahr. Natürlich sind Wünsche keine Vorhersagen. Doch nach reiflicher Überlegung kam mir der Gedanke, dass ich es möglicherweise übertrieben hatte. Ist weniger vielleicht mehr? Daher findet sich auf meinem Wunschzettel in diesem Jahr nur ein einziger Wunsch: mehr Empathie.“

Es folgen seine Gedanken für 2017, die Ihr gründlich lesen solltet. Vielleicht geht es Euch dann ähnlich wie mir: Man möchte (fast) alles dick unterstreichen! Hier also die Bestandsaufnahme und der Wunschzettel des Larry Hatheway.

„Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die Chancengleichheit nachhaltig zu verbessern, gewaltsame Konflikte zu bewältigen und Bedrohungen für das Ökosystem zu bekämpfen - das sind nur einige der Ziele auf der globalen Agenda. Doch wie die diesjährigen politischen Entwicklungen in Großbritannien, den USA oder auch Italien zeigen, sind die Gräben, die uns trennen, deutlich größer und tiefer geworden. Die Gesellschaft ist so stark gespalten wie zuletzt in den 1960-er oder vielleicht sogar in den 1930-er Jahren.

Aufgrund dieser Spaltung fällt es zunehmend schwer, eine konkrete Vorstellung zu entwickeln, wie wir diese Herausforderungen meistern können. Doch die Unterschiede, die uns trennen, gehen häufig auf die Unfähigkeit zurück, über die Grenzen unserer eigenen abgeschotteten Welt hinauszublicken und die Dinge aus der Sicht anderer zu betrachten. Nachfolgend daher ein paar Vorschläge aus Sicht eines Ökonomen und Anlegers, wie wir mehr Einfühlungsvermögen an den Tag legen können:

Der Kapitalismus bleibt die beste Möglichkeit, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Er ist aber auch eine Kraft, die unnachgiebig Brüche und Risse verursacht, die nicht immer für alle gut sind. Diese Kraft zu bändigen - und sei es teilweise sogar auf Kosten der wirtschaftlichen Effizienz - bleibt der beste Weg für die Zukunft.
Technischer Fortschritt ist die Grundlage dafür, dass der Lebensstandard weltweit steigt - doch Innovation bringt immer auch Zerstörung mit sich. Die den Menschen eigene Erfindungsgabe darf nicht eingeschränkt werden. Doch genauso wenig dürfen diejenigen übersehen werden, für die Innovationen negative Folgen haben.
Bildung führt zu wirtschaftlicher und persönlicher Weiterentwicklung. Da die Kosten für Bildung jedoch steigen, ist zunehmend der finanzielle Status entscheidend dafür, wer in den Genuss von Bildung kommt und wer nicht. Dadurch verfestigen sich Klassenunterschiede und Chancenungleichheit. Doch Bildung hat auch positive externe Effekte - wer sie hat, profitiert davon, wenn auch andere sie erwerben. Daher profitieren alle, wenn der Zugang zu Bildung erleichtert wird.
Zuwanderung ist nicht erst angesichts der aktuellen Weltlage ein besonders wichtiges Thema. Auch für die Zuwanderungsländer ist sie sinnvoll. Sie wirkt der Alterung der Bevölkerung entgegen und lindert so die Probleme des demografischen Wandels. Zudem fördert sie Pluralismus und Offenheit und verlangt uns ab, Unterschiede zu respektieren und wertzuschätzen. Daher stärkt Zuwanderung die gesellschaftliche und wirtschaftliche Vitalität. In Verbindung mit Ungleichheit, stagnierenden Lebensstandards für die Mittelschicht und Sicherheitsbedenken kann Zuwanderung aber auch Ängste verursachen. Eine unbegrenzte Zuwanderung ist nicht machbar. Doch Mauern zu errichten ist für alle Seiten schädlich. Bessere Lösungen lassen sich nur im konstruktiven Dialog finden.
Freier Handel ist für alle Seiten vorteilhaft. Die Summe aller Teile ist positiv, nicht null. Doch ähnlich wie beim Kapitalismus oder einem hohen Innovationstempo kann freier Handel Arbeitsplätze zerstören und Gemeinschaften wirtschaftlichen Risiken aussetzen. Eine nachhaltige Freihandelspolitik muss daher Wege finden, wie der Nutzen gerechter verteilt werden kann, um Chancen für jene zu schaffen, denen der freie Handel schaden könnte.
Bei allen Errungenschaften der modernen Welt, höheren Lebensstandards und dem Zugang zu einer beispiellosen Masse an Informationen - Fehlwahrnehmungen liegen trotzdem in der Natur des Menschen. Daher sollte der Mensch immer im Mittelpunkt stehen. Die bereichernden Unterschiede des Gegenübers kann nur erkennen, wer sich auf andere Menschen einlässt und ihnen zuhört.

Kurzum: Sollen Ursachen für Spaltungen konstruktiv angegangen werden, müssen wir uns alle bemühen, Klischees abzustreifen, um die Diskussion wieder auf Basis von Fakten zu führen und zu vorurteilsfreien Schlüssen zu kommen. Wir müssen uns klarmachen, dass viele der Herausforderungen, vor denen wir stehen, nur gemeinsam bewältigt werden können. Öffentliche Güter wie der Schutz durch Polizei und Feuerwehr oder die nationale Sicherheit, aber auch die Erhaltung des globalen Ökosystems erfordern unbedingt gegenseitige Einigkeit und Zusammenarbeit.

Während ich diese Zeilen schreibe, herrscht an den Finanzmärkten Optimismus. Die Aktienindizes klettern auf neue Höchststände und die Anleiherenditen steigen in Erwartung eines erstarkten Wachstums. Der Optimismus der Anleger ist nicht unberechtigt. Steuersenkungen, höhere Staatsausgaben und eine stärkere Deregulierung, für die sich der künftige US-Präsident Trump ausspricht, dürften das Wachstum in den USA und weltweit stützen. Die Volkswirtschaften in Nordamerika, Großbritannien, Nordeuropa, Japan und China haben sich als widerstandsfähig erwiesen. Auch die Volkswirtschaften der europäischen Peripherie legen wieder zu. Die Rezession in Russland und Brasilien scheint sich dem Ende zu nähern. Die Rohstoffpreise haben sich stabilisiert, was wiederum vielen Schwellenländern hilft.

Doch mehr Kapitalismus allein wird nicht genügen - dauerhafter Wohlstand setzt auch gesellschaftlichen Zusammenhalt und Chancen für alle voraus. Und er muss mit dem Schutz der Umwelt vereinbar sein. Die Aussicht auf eine kurzfristige Verbesserung kann an den Märkten zwar zu Gewinnen führen - doch als langfristig orientierter Anleger bin ich gespannt, ob im Jahr 2017 ein gemeinsames Verständnis entwickelt werden kann, das uns Grund für dauerhaften Optimismus gibt. Und Empathie ist die Grundvoraussetzung für Verständnis … und daher mein einziger Wunsch für das nächste Jahr.“

Nach dem ersten Lesen hatte ich einen Klos im Hals. Es gibt sie also doch noch: Börsianer, die über den Tellerrand der eigenen Tagessuppe hinweg blicken. Chapeau, Larry!

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