Konjunkturzweifel beschäftigen jetzt die Aktienstrategen

Hermann Kutzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Vorab in eigener Sache: Ich behalte die Märkte auch während meines Urlaubs im Auge, werde allerdings vier Wochen lang keine Videos produzieren, sondern schriftliche Kolumnen liefern.

Schon der oberflächliche Blick auf den Jahreschart zeigt, wie lange sich unser Dax bereits im Bereich von 11.000 bis 12.000 Punkten aufhält. Und seine Zuckungen sind letztlich der Spiegel gegensätzlicher Tageseinflüsse. Bitte aber nicht vergessen, dass sich die Aktienkurse weiter deutlich über ihrem Jahresschlusstand von 2014 (rund 9.800 Punkte) halten. Und ich wiederhole mich gerne: Selbst wenn das historische Hoch in den kommenden Monaten nicht mehr angegriffen werden sollte - mit dem bisher Erreichten kann jeder zufrieden sein!

Auch wenn in den vergangenen Tagen plötzlich alle (nicht nur die Börsianer) zu China-Experten geworden sind - es gibt noch andere Faktoren, die wie nicht zur Seite schieben dürfen. Dazu sollten Profis und Private zwei Erkenntnisse berücksichtigen: Fundamentale und monetäre Entwicklungen können nicht mehr isoliert betrachtet werden, denn Geldpolitik der Notenbanken und Wechselkursveränderungen einerseits sowie die konjunkturellen Aussichten andererseits hängen eng zusammen. Zweitens bleibt es wohl dabei, dass die von den Finanzmärkten ständig beobachteten Indikatoren kein einheitliches, klares Bild ergeben und daher die Anleger immer wieder irritieren.

Ungeachtet der für meinen Geschmack übertriebenen China-Ängste habe ich einmal die mir vorliegenden Analysen nach ihren Beschreibungen der Risiken für den Aktienanleger untersucht. Ergebnis: Die bisher ziemlich einheitliche Einschätzung der Weltwirtschaft wird zunehmend differenziert, man wird eher vorsichtiger. Nicht selten werden frühere Wachstumsprognosen in Zweifel gezogen, wird die Konjunktur auf einmal als Stolperstein auch für die Börsen gesehen. Dann wird es aber ganz kompliziert: Wenn nicht einmal aus einer nur mäßigen Belebung der Weltwirtschaft etwas werden sollte, wenn die Energie- und Rohstoffpreise im Keller bleiben - wie soll da die Normalisierung des Inflations- und Zinsgefüges zustande kommen? Kommt etwa das Thema Deflation zurück?

Schon unser heimisches Konjunkturbild ist interpretationsbedürftig, wie die soeben veröffentlichten Zahlen fürs zweite Quartal zeigen. Denn es brachte einerseits die erhoffte Belebung gegenüber dem Jahresbeginn, doch blieb das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von April bis Juni mit 0,4 Prozent mäßig und auch hinter den Erwartungen. Gewiss, es gab eine Menge Belastungsfaktoren und es kam überhaupt nur wegen florierender Exporte und des guten Konsumklimas zustande. Allerdings reichte das nicht, um die Euro-Zone mitzuziehen: Deren Wachstum schwächte sich überraschend von 0,4 auf 0,3 Prozent ab, weil Frankreich stagniert und Italien schwächelt. Die Aussichten bleiben gedämpft.

Was heißt das? Welchen Reim können sich die Anleger darauf machen? Große Sprünge trauen die meisten Ökonomen der deutschen und europäischen Wirtschaft vorerst nicht zu. Dazu ist China jetzt zum Problemfall erklärt worden - wie überhaupt von den neuen Wachstums- und Schwellenländer nichts Positives zu erwarten ist. Zustimmung deshalb für Wirtschaftsrepräsentanten, die sich eher besorgt äußern. Die Anzahl konjunktureller Stolpersteine nimmt eher noch zu als ab. Die näher rückende Zinswende ist also nicht, wie es inzwischen den Anschein hatte, das alleinige, zentrale Thema. Denn mit den China-Turbulenzen nehmen die Wachstumssorgen wieder zu: Bleibt etwa eine nachhaltige Erholung des weltwirtschaftlichen Wachstums aus? Kommt es statt des gewünschten Anstiegs der Inflationsraten mit einer Zinsnormalisierung im Gefolge zu neuen Disinflationssignalen?

Neue Woche, neue Hoffnungen: Gespannt ist man in Börsenkreisen nicht nur auf neue Wirtschaftsdaten aus Asien, sondern auch auf die Veröffentlichung der Protokolle der jüngsten Fed-Sitzung am Mittwochabend. Hiervon erhofft man sich Hinweise, ob die US-Notenbank den Schlüsselsatz tatsächlich schon Mitte September oder erst im Dezember anheben wird.

Für viele Privatanleger ist das keine Zeit, sich an den Märkten neu zu positionieren. Wer von der Unsicherheit angesteckt worden ist, sollte den Sommer genießen - wo und wie auch immer. Unruhige Geister werden Dax-Stände um 11.000 Punkte herum dagegen als Okkasion ansehen und deshalb ihre Bestände sukzessive weiter aufstocken. Auch ich bin unruhig.

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