Krim-Roulette generiert nur Verlierer

Holger Scholze · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Zauberhaftes Land
Schön ist sie - die Halbinsel Krim. Bei einem Blick auf die Landkarte wirkt sie wie ein riesiger Kronleuchter im „Opernsaal“ des Schwarzen Meeres. Und eine ähnliche Strahlkraft hat sie tatsächlich. Ich kenne dieses zauberhafte Fleckchen Erde. Einerseits aus den Reiseberichten meiner Großeltern, die mit viel Glück vor langer Zeit ein paar schöne Tage in Sevastopol verleben durften. Andererseits aber auch von meiner eigenen allerersten Flugreise. Meine Eltern hatten sie mir 1988 zum erfolgreichen Abschluss der zehnten Klasse in der Polytechnischen Oberschule geschenkt. Ich war gerade 17 Jahre alt geworden. Eine Tupolew Tu-154 brachte uns damals von Berlin-Schönefeld nach Simferopol. Von dort aus ging es mit einem abenteuerlustigen Busfahrer über nicht ungefährliche Serpentinenstraßen und durch schmale Tunnel nach Jalta. Da wohnten wir in einem ziemlich großen Hotel-Betonklotz mit Blick aufs Meer und direktem Zugang zum Strand. Es war wie ein Traum. Die grandiose Landschaft, das herrliche Wetter und die exotischen Pflanzen faszinierten mich. Es war ohnehin eine aufregende Zeit. Gerade hatte ich die Zugangsberechtigung für die Erweiterte Oberschule bekommen, um dort mein Abitur ablegen zu dürfen. Und dann überraschten mich meine lieben Eltern mit einer solch fantastischen Reise. Ich war einfach nur glücklich!

Glasnost und Perestroika
Dazu kam, dass Michail Gorbatschow durch seine Politik von Glasnost und Perestroika ganz neue, hoffnungsvolle Töne anschlug. Von diesen wollte uns die DDR-Regierung jedoch fernhalten. So wurde die Zeitschrift „Sputnik“, für die sich bis dahin kaum jemand interessiert hatte, plötzlich verboten. Doch dadurch wurden wir nur noch neugieriger. Und der eiserne Vorhang begann langsam zu schmelzen. Nur ahnten wir davon noch nichts. Letztlich führte dies aber einige Monate später zum legendären Ausspruch von Michail Gorbatschow zu Erich Honecker: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
In unserem Hotel wohnten auch einige westdeutsche Reisegruppen. Für diese wurden in abgeschlossenen Bereichen Vortragsveranstaltungen mit Vertrauten von Michail Gorbatschow organisiert, die den neuen Reformwind in der damaligen Sowjetunion thematisierten. In diese schlichen wir uns heimlich hinein. Da waren meine Eltern besonders schlitzohrig. Was wir dort zu hören bekamen, konnten wir kaum glauben. Ein völlig neues politischen Denken, was uns hoch erfreute und Hoffnung gab.

D-Mark statt Rubel - Englisch statt Russisch
Vieles in dem Hotel blieb für uns grundsätzlich verschlossen. Denn in den schönsten Restaurants, in der Hotelbar, ja sogar im Souvenir-Shop konnte man weder mit Rubel noch mit DDR-Mark sondern nur mit Dollar und D-Mark bezahlen. Andere tranken Heineken-Bier und Coca-Cola, für uns gab es nur scheußliche Nuss-Limonade und Wasser. Auch der Swimmingpool und die Diskothek blieben für uns verschlossen, obwohl wir zu diesen bald heimliche Zugangsmöglichkeiten fanden.

Sehr interessant war für mich damals, dass ich mit meinen in der Schule erlernten Russisch-Kenntnissen nicht sehr weit kam. Mit fast allen jungen Leuten unterhielten wir uns auf Englisch. Ein interessanter Fakt, an den ich in diesen Tagen oft denken muss, obwohl die Haltung unter den damaligen jungen Leuten auf der Krim sicher nicht repräsentativ war. Außerdem lebten wir in einer anderen Zeit.

Geschichtsträchtiger Ort
Bedeutende Geschichte wurde auf der Krim aber schon oft geschrieben. So erzählte man uns sagenumwobene Anekdoten um Katharina die Große, die Ihre Liebhaber nach vollzogenem Schäferstündchen angeblich die felsigen Klippen hinab stoßen ließ. Aber das gehört eigentlich nicht hierher.

Viel wichtiger war da schon der Februar 1945, als sich im Liwadija-Palast die alliierten Staatschefs Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin zur Konferenz von Jalta trafen, um über die Aufteilung Deutschlands und die Machtverteilung in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu sprechen. Ganz in der Nähe von diesem bedeutenden Ort ragt übrigens das berühmte Schwalbennest hervor, ein etwa vierzig Meter über dem Meer auf einer Klippe erbautes Schlösschen.

Referendum am Sonntag
Das Parlament der autonomen Republik Krim will nun am Sonntag darüber entscheiden, ob die Halbinsel künftig zu Russland oder weiterhin zur Ukraine gehört. Dieses Referendum widerspricht der ukrainischen Verfassung. Aber widerspricht es auch dem Völkerrecht, wenn die Bürger selbst bestimmen möchten, zu wem sie gehören wollen? Eine äußerst schwierige Frage, die wohl nur Experten auf diesem Gebiet beantworten können.

Erste Sanktionen gegen Russland
Erste Sanktionen haben die USA und die Europäer bereits verhängt. Sie missbilligen das Vorgehen Russlands im Konflikt um die Ukraine. Allerdings dürften die ergriffenen Maßnahmen bisher kaum ökonomische Bedeutung haben. So wurden die Gespräche über Visa-Erleichterungen ausgesetzt. Dies treffe Experten zufolge aber vor allem normale Reisende. Wirtschaftsvertreter oder Politiker werden dadurch kaum eingeschränkt. Und die Blockade des nächsten G8-Gipfels in Sotschi ist wohl auch eher ein symbolischer Akt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

G7-Länder drohen mit schärferen Maßnahmen
Für den Fall einer Krim-Annexion haben gestern die G7-Staaten gemeinsam weitere schärfere Strafmaßnahmen in die Richtung von Russlands Präsident Wladimir Putin angedroht. Das Einfrieren von Konten, die Mitgliedern der russischen Elite im Ausland gehören, ist für die Betroffenen sicher schmerzhaft. Die USA hat damit bereits begonnen. Die EU hat solche Reaktionen im Rahmen der zweiten Stufe ihres Sanktionskonzepts geplant. Auch Einreiseverbote für bestimmte Mitglieder der russischen Führung sind Teil des EU-Konzepts in der nächsten Stufe. Doch welche Wirkung würde dies haben?

Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft
Bedenken Sie, dass gerade die wohlhabenden Kreise der russischen Gesellschaft sehr reisefreudig sind. Berlin, Dresden und andere deutsche Städte zählen zu ihren bevorzugten Zielen. Sollten diese konsumfreudigen finanzstarken Kunden ausfallen, würde das den Tourismus, die Hersteller und Anbieter von Luxusgütern sowie die Gesundheitswirtschaft u.a. in Deutschland treffen.

Ein Abbruch der Öl- und Gasimporte aus Russland wäre ebenfalls ein zweischneidiges Schwert. Natürlich ist Russland mit seinem Staatshaushalt massiv von den Einnahmen aus dem Energiegeschäft abhängig. Andererseits beziehen wir in Deutschland rund ein Drittel unserer Öl- und Gasimporte aus Russland. Könnten wir drohende Lieferengpässe kompensieren? Die Bundesregierung hat zumindest kürzlich versichert, dass die Gas-Speicher gut gefüllt seien. Somit hätten wir ein paar Monate Zeit, um alternative Bezugsquellen zu suchen und zu finden. Deshalb glauben führende deutsche Wirtschaftsvertreter, dass sich die Deutschen und auch die anderen Europäer Zwangsmaßnahmen eher leisten können als die Russen. Dort würde sich der Ausfall der Einnahmen aus Energiegeschäften in dreistelliger Millionenhöhe bereits kurzfristig auswirken. Somit könnte dem Staat schnell das Geld für viele Leistungen fehlen.

Allerdings müssten die deutschen Verbraucher mit weiteren deutlichen Preiserhöhungen bei Öl und Gas rechnen. Denn zum vergleichsweise günstigen russischen Öl und Gas wären preislich kaum adäquate Alternativen verfügbar.

Die Russen drohen auch
In der russischen Duma soll im Gegenzug bereits ein Gesetz zur Enteignung ausländischer Unternehmen im Gespräch sein. Eine solche Maßnahme würde unsere Wirtschaft zweifelsohne hart treffen. Gleichermaßen würde sich auch Russland ins eigene Fleisch schneiden. Denn damit würde man für lange Zeit bei ausländischen Investoren in Ungnade fallen. Dies wiederum dürfte die dringend notwendige Modernisierung der heimischen Wirtschaft deutlich verzögern.

Kein Platz für Sieger
Am Ende wären alle Beteiligten beschädigt. Es gebe nur Verlierer. Zudem würde die Weltwirtschaft darunter leiden. Und dabei wird hier seit dem Ausbruch der Finanzkrise mühsam um eine konjunkturelle Erholung gekämpft. Unternehmen mit stärkerem Russland-Bezug hätten an den Börsen unter überdurchschnittlichen Kursverlusten zu leiden. Banken mit entsprechenden Aktivitäten müssten hohe Wertberichtigungen vornehmen. Öl- und Gaspreise könnten deutlich steigen.

Wie stark die Auswirkungen wären und wie lange sie anhalten würden, lässt sich aus heutiger Sicht schwer beurteilen. Und eine Beruhigung des Konflikts ist aktuell nicht in Sicht. So haben die Vereinigten Staaten von Amerika gestern erstmals seit fast 25 Jahren einen Teil ihrer strategischen Ölreserven zum Verkauf angeboten. Angeblich sei der Schritt seit Monaten geplant. Experten gehen allerdings davon aus, dass die US-Regierung damit ihre Einflussmöglichkeiten auf die Energiemärkte demonstrieren will. Ölhändlern zufolge waren im Zuge des Krim-Konflikts Forderungen laut geworden, die Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas mit der aktuell boomenden Ölproduktion in den USA zu verringern.

Besonnenheit auf politischem Parkett gefragt  
Es ist sicherlich die schwerste politische Herausforderung für Deutschland seit 1989. An der Börse heißt es zwar, politische Börsen hätten kurze Beine, aber hier könnten sich bei einer Verschärfung der Krise handfeste und unangenehme ökonomische Folgen ergeben. Gerade die exportorientierte deutsche Volkswirtschaft würde im Falle schärferer Sanktionen gegen Russland zunehmend leiden. Deshalb hoffe ich sehr, dass die verantwortlichen Politiker mit Augenmaß, größter Sorgfalt und kühlem Kopf agieren werden, um eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern. 

Fortsetzung der Aktien-Hausse möglich
Die Hausse an der Börse kann höchstwahrscheinlich nur bei einer Lösung der beschriebenen Probleme weitergehen. Voraussetzung hierfür ist außerdem, dass die Marke von 8.950 Punkten beim DAX nicht nach unten gerissen wird. Sollte dies passieren, müssten wir uns tatsächlich vollkommen neu orientieren. 

Ihr Holger Scholze

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