Standpunkte

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo, Leute! Als hätte ich’s geahnt: Crash-Propheten und Verschwörungstheoretiker sind wieder unterwegs, reißen die Klappe wieder auf. Ihnen sind die Börsen einfach zu fest. Alles schlecht, unnatürlich, krank usw. Einen alten Fuchs stört daran eigentlich nur der Ton. Denn da wird nix angezweifelt oder in Frage gestellt - nee, man kennt den ganzen Mist dieser Welt ganz genau und wundert sich selbstgefällig, dass die anderen das nicht auch so sehen oder nicht kapieren. Das erinnert an einen legendären Werbespot der britischen Tageszeitung „The Guardian“, bewusst in schwarz-weiß gedreht. Eine Szene mit unterschiedlichen Kamerapositionen am Rand einer Straße. Dahinter eine Kreuzung. Baugerüst an einem Haus. Ein Auto biegt langsam ums Eck, da rennt der Hauptdarsteller - Typ Schläger mit Lederjacke - auf dem Bürgersteig zu dem Haus mit dem Baugerüst los. Flieht er vor dem Auto? Dann von der Gegenseite aus gesehen. Jetzt entsteht der Eindruck, als würde sich der vermeintlich Wegrennende auf einen gepflegten älteren Herrn stürzen, der ihn auf sich zukommen sieht und ängstlich seine Aktentasche schützend vor die Brust hält. Schließlich das Ganze in der Totalen von oben mit der Auflösung: Der Schlägertyp reißt den älteren Herrn mutig zur Seite und rettet ihn damit vor herabstürzendem Baumaterial - eine an einem Kran hängende Palette mit Steinen hatte sich gelöst.

Ein kurzer Spot, unheimlich eindrucksvoll. Denn eine ruhige Stimme kommentiert, dass man Ereignisse je nach Standpunkt ganz unterschiedlich sehen kann. Und nur wer das ganze Bild sieht, kann auch erkennen, worum es wirklich geht. Das passt genau zum aktuellen Börsenumfeld, meine Freunde. Die aktuelle Nachrichtenlage ist voller Gegensätze und mitunter widersprüchlich. Aber wer hat da schon den vollen Durchblick?

Selbst wenn man den Dauerbrenner US-Geldpolitik (wann kommt sie denn, die Zinswende?) einmal in die Ecke stellt - die Fragen nach den Perspektiven  der Wirtschaft kannst du doch so oder so - oder auch so! - beantworten. Momentan hagelt es wieder Konjunkturdaten und Wachstumsprognosen von allen Seiten, gibt’s fast täglich Korrekturen des früher Gesagten. Genau wie erwartet muss jetzt auch der Internationale Währungsfonds seine Einschätzungen neu schätzen (und was taugen die?). „Das globale Wachstum bleibt moderat”, heißt es im World Economic Outlook. Und: „Die Aussichten sind in den wichtigen Ländern und Regionen uneinheitlich.” Aha. Der IWF warnt zugleich vor hohen Risiken für die Weltwirtschaft. Eine weitere starke Dollar-Aufwertung könne anderswo finanzielle Spannungen auslösen, besonders in den Schwellenländern. Auch geopolitische Risiken könnten sich verstärken und wichtige Volkswirtschaften treffen. (Wer hätte das gedacht!) Was uns betrifft, ist der Währungsfonds viel zuversichtlicher als bisher - klar, wegen niedriger Ölpreise und der Euro-Schwäche. Und so haben die Oberexperten ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 1,3 auf 1,6 Prozent angehoben. Allerdings bleibt der IWF damit vorsichtiger als die meisten Forschungsinstitute und Bankvolkswirte, die uns mittlerweile  ein Plus von 2  Prozent zutrauen.

Das nur als Beispiel dafür, dass kaum einer den vollen Durchblick beim Ausblick hat. Überhaupt, alles scheint sich zu differenzieren, wenn man nach den Ländern auch auf einzelne Branchen und Unternehmen blickt. Beispiel Rohöl: Man könnte heute problemlos einen Marktbericht mit Tendenz „Preise werden sich erholen“ schreiben, gleichzeitig aber auch eine Analyse „Öl dürfte noch billiger werden“. Nehmen wir unsere Autobauer: Die einen melden Rekordzahlen fürs erste Quartal, Volkswagen sorgt dagegen für fette Negativ-Schlagzeilen. Und institutionelle Investoren signalisieren ihre Besorgnis darüber, dass sich derzeit Bewertungsblasen bei Aktien und Anleihen bilden (Große Umfrage unter 177 Fondsmanagern auf der ganzen Welt). Guckt man genauer hin: Die befragten Investoren sehen zunehmende Überbewertungen in beiden Märkten, vor allem in Amerika. Alle anderen Regionen einschließlich Europa und Japan gelten dagegen noch als unterbewertet. Und jetzt wird’s voll kompliziert: In Europa herrsche ein „rationaler Überschwang”, hieß es (was heißt das denn?). Ein positives Bild vom Aktienmarkt werde von den Fundamentaldaten gestützt, doch die Anleger glaubten nicht mehr daran, dass die Aktien günstig bewertet seien.

Mit ist das, ehrlich gesagt, zu kompliziert. Und morgen sieht die Welt wieder anders aus, zumindest ein bisschen. Mein Standpunkt ist unverändert: Bleibt cool, Leute, und kümmert Euch um Kurse und Trends, weniger um das Drumherum Meine Vorhersage für heute: Vorsicht! Die Gefahr eines Sonnenbrands ist größer als die Wahrscheinlichkeit eines Aktien-Crashs!

boersenfuchs@onvista.de

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