Steht ein griechisches Lehman-Wochenende vor der Tür?

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Bislang waren Aussagen wie Die Zeit läuft ab und Die Zeit wird knapp oder Der Ball liegt im Feld der Griechen feste Textbausteine eines jeden Kommentars über den griechischen Schuldenstreit. Irgendwie geriet jeder neue Tag zum alles entscheidenden Tag. Doch passiert ist dann immer wieder nichts. Das war der Mythos der immer wieder letzten Frist. Doch jetzt kommt es unweigerlich zur Stunde der Wahrheit. Denn die ordentliche Rückzahlung der Kredite an den IWF Ende Juni von ca. 1,5 Mrd. Euro wäre vielleicht für einen Helden der griechischen Mythologie möglich, aber in der schnöden griechischen Finanzrealität gibt es keine Wunder.

Frische Hilfsgelder zur Begleichung dieser Verbindlichkeit und damit zur Abwendung des Staatsbankrotts darf es eigentlich nicht geben. Der griechische Finanzminister hat in seiner unnachahmlich sympathischen Art gesagt, er werde der Euro-Gruppe keinen neuen Reformplan vorlegen. Damit haben eine ordentliche griechische Reformliste und das Bernsteinzimmer etwas gemeinsam: Sie wurden nie gefunden.

Reformversprechen sind gut, Reformumsetzungen viel besser

Die Diskussion um eine Reformliste war von Anfang an eine Phantomdiskussion. Es kann keine ordentliche Reformliste geben, ansonsten würde die griechische Regierung zu Hause zum Teufel gejagt. Überhaupt, was nutzt die vollmundigste Reformliste, wenn sie nicht umgesetzt wird.  Hilfsgelder an Griechenland kann es doch eigentlich nur gegen Reformumsetzung geben. Versprechen kann man aber viel, das Versprechen einzuhalten, das ist die Königsdisziplin. Denn schon zu oft kam bei griechischen Beteuerungen der deutsche Schlager von Andrea Berg Du hast mich tausend Mal belogen zur Anwendung. Glaubt man etwa einem Fuchs, wenn er verspricht, die Gänse in Ruhe zu lassen? Nicht zuletzt fehlt die Infrastruktur zur Umsetzung von Reformen. Selbst eine Mehrwertsteuererhöhung würde - was man hört - an mangelnden verwaltungstechnischen Voraussetzungen scheitern. Und da der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras jetzt auch noch meint, den IWF als kriminell zu bezeichnen, also die Hand beißt, die ihn füttert, riecht es verdammt nach einem baldigen Lehman-Wochenende, oder?

Athener Erpressungsversuche statt an das Land zu denken

Die griechische Seite pokert mit extrem hohem Einsatz und hatte damit angesichts der butterweichen, äußerst konzilianten Gegenseite auch lange Zeit Erfolg. Konkret versucht Athen, IWF, EU-Kommission und EZB mit seiner griechischen Angstkeule gleich zweifach zu erpressen. Laut Tsipras wäre der Austritt der Griechen aus der Eurozone der Anfang von ihrem Ende, da die Finanzmärkte sich sofort ein neues Euro-Land als Opfer suchen würden. Seinen besonderen Trumpf meint er in der Annäherung an Väterchen Frost Putin zu besitzen. Er weiß um die große Befürchtung der USA vor einer Annäherung des Nato-Landes Griechenland an Russland. Die Obama-Administration übt in der Tat massiven Druck auf Merkel & Co. aus, alles für den Verbleib der Griechen in der Eurozone zu tun. Dieses geostrategische Argument hat durchaus seine Berechtigung. Der gute Tsipras sollte allerdings wissen, dass ein Kranker einen Kranken auch wirtschaftlich nicht heilen kann. Aber wenn Tsipras seinem Land unbedingt den berühmten Putinschen Humanismus antun will, muss er auch die Verantwortung tragen.

Der Euro-Hund muss wieder mit dem Schwanz wedeln, nicht umgekehrt

Die Euro-Politiker können der Geopolitik nicht alles unterordnen. Es geht hier vor allem um Schadensbegrenzung für die Eurozone an sich. Unsere Euro-Stabilitätsseele dürfen wir nicht einfach so verkaufen, um Griechenland um jeden Preis vor der Pleite zu bewahren. Dieser Preis wäre viel zu hoch, auch weil damit die Krise nach der Krise droht. Zum einen würden die griechischen Schuldenprobleme noch größer. Und zum anderen: Was wir Griechenland gewähren, können wir anderen Euro-Ländern nicht verwehren. Zum Schluss verkäme die uns damals versprochene Europäische Stabilitätsunion zur tatsächlichen griechischen Schuldenunion. Das wäre der größte Etikettenschwindel in der neueren Finanzgeschichte. Und dann kommt es erst Recht zum geopolitischen Bedeutungsverlust. Oder glaubt irgendjemand, dass wir bei bröckelndem weltwirtschaftlichem Gewicht unseren geopolitischen Wert beibehalten können? Gelächter!

Gegen den griechischen Trojaner hat die EZB ein Anti-Virus-Programm entwickelt

Noch fürchten die Euro-Politiker die Konsequenzen einer Veränderung des Status Quo wie Eheleute die Folgen einer Scheidung. Aus Furcht vor dem Verlust des Hauses will man es um jeden Preis miteinander aushalten. Dabei sollte man eher die Entwicklung der Kinder im Kopf haben, die durch den ermüdenden Dauerstreit deutlich mehr Schaden nehmen als bei einem Beziehungsende. Lieber ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende. Sich zu trennen, kann sogar befreiend sein.

Im Übrigen ist die griechische Angstmacherei, wonach der Grexit zur Auflösung der Eurozone führe, dummes Zeug. Denn die EZB hat vom Europäischen Gerichtshof die höheren Weihen empfangen, Staatsanleihen der Eurozone aufkaufen zu dürfen. Das Bundesverfassungsgericht wird dagegen nicht intervenieren. Ihre Richter wollen nicht an einer Wiederbelebung der Euro-Krise schuld sein. Damit ist gegen ein Überschwappen der griechischen Schuldenkrise auf andere Euro-Länder ein geldpolitisches Kraut gewachsen.

Hellas ante portas - Die Kanzlerin könnte erneut als Mutter Courage der Finanzmärkte brillieren

Dennoch, aufgrund drohender sozialer Unruhen in Hellas, des Drucks Amerikas und der dann für alle klar erkennbaren Unfähigkeit Europas, die eigenen eurozonalen Probleme zu lösen, hatte sich Angela Merkel bislang immer wieder auf den griechischen Beistandspakt festgelegt. Das nutzte Tsipras schamlos aus und ließ ihn auf eine politische Lösung sogar mit griechischem Schuldenerlass hoffen. Damit würde er in Griechenland zulasten vor allem der Kanzlerin unsterblich, ja zur Legende.

Mittlerweile bekommt das Pokerface von Tsipras jedoch Sorgenfalten. Der politische Kompromisswille in Deutschland hat sich gegen Athen gedreht. Das liegt auch am Aufmucken der Wähler. Das verleiht der Kanzlerin deutlich mehr Beinfreiheit für eine härtere Gangart gehen Athen. Einer massiven Abwertung ihrer Stabilitäts-Reputation kann sie ohnehin nicht tatenlos zusehen. Als entscheidende Gegenspielerin von Alexis Tsipras wird sie jetzt die Kosten einer finanzpolitischen Lösung (= Grexit) gegen die Kosten einer geopolitischen Lösung (= Verbleib) abwägen. Dabei kann sie weiterhin den Mitgläubiger IWF - der sich Griechenland gegenüber knallhart zeigt - als starkes Argument für sich nutzen, ohne den sie grundsätzlich keine Vereinbarung mit Griechenland treffen will.

Steht der Grexit also unmittelbar vor der Tür? Vielleicht kann die deutsche Regierung Athen ein wirklich konsequent angedroht letztes Mal entgegenkommen. Vielleicht findet man in den Niederungen der Kreditverträge mit Hellas noch masochistische Interpretationsspielräume für eine kurze Fristverlängerung zum Beweis, nichts unversucht gelassen zu haben. Bei ihrem nächsten sadistischen Angriff müssten die Griechen dann aber austreten.

Bei diesem Grexit würden die Aktienkurse zwar zunächst sinken. Da die Rettungs-Schotten jedoch halten und kein dramatischer Lehman-Effekt zu befürchten ist, sind das Kaufkurse. Der Austritt Griechenlands wäre der Anfang vom Ende der Stabilitätskrise in der Eurozone sein. 

Der Grexit ist unter den aktuellen Gegebenheiten das Beste, was der Eurozone und ihren Finanzmärkten passieren kann. Frau Merkel sollte wie bereits 2008  - bei der staatlichen Sicherung der Spareinlagen - zum zweiten Mal ihre Qualitäten als Mutter Courage der Finanzmärkte beweisen.

Alexis, Du hast zwar hoch gepokert aber unsere Angela hat gewonnen!

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